Wenn die S7 den Alltag bestimmt – Pendeln zwischen Chaos und Hoffnung

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Die Geschwister Julian und Louisa Hofmann pendeln jeden Tag mit der S7. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2024 wollte die Deutsche Bahn die S7 pünktlicher machen. Statt wie bisher über die Stammstrecke fährt sie seitdem nur noch bis zum Hauptbahnhof. Doch wer zwischen Wolfratshausen und München pendelt, erlebt wenig Besserung: Verspätungen, Ausfälle und verpasste Anschlüsse bestimmen den Alltag.

Wolfratshausen– Der Familien-Chat auf WhatsApp liest sich an vielen Tagen wie eine Fahrgastinfo: Wenn Louisa Hofmann von der Schule nach Hause fahren möchte, oder ihr Bruder Julian seine Feierabendfahrt nach der Ausbildung antreten will, steht zu oft der Zug oder die beiden wartend am Gleis. „An meiner Schule ist das mittlerweile ein Witz“, erzählt die 17-jährige Gymnasiastin. Wenn die Lehrer morgens in halbleere Klassenzimmer blicken, ist schnell klar, woran es liegt: selten an einer Grippe, meistens an der Bahn. An Klausurtagen raten manche Lehrer mittlerweile sogar ausdrücklich davon ab, mit der S-Bahn anzureisen.

Selbst ein Zeitpuffer von 30 Minuten reicht nicht immer

Julian hat seinen Tagesrhythmus längst angepasst: „Ich nehme immer zwei bis drei Verbindungen früher“, erzählt er. Täglich plant der Auszubildende einen Zeitpuffer von mindestens 30 Minuten ein, um seine Berufsschule pünktlich zu erreichen. Selbst das reicht nicht immer – denn oft fährt der Zug gar nicht erst los. Alle 20 Minuten soll die Bahn abfahren. Eigentlich. Doch bei langen Verspätungen werden einzelne Fahrten gestrichen. „Die Bahn denkt sich wohl, dass sich das Fahren nicht mehr lohnt, wenn der nächste Zug eh bald kommt“, vermutet Julian. Kürzlich fielen an einem Werktag vier Züge innerhalb von zwei Stunden aus – mitten im Berufsverkehr.

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Eingleisige Strecken als Problem

„Die S7 ist durch den langen eingleisigen Abschnitt anfälliger für Verspätungen als andere, zweigleisige Strecken“, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Bahn. Sie würden sich schneller zu Kettenreaktionen ausweiten, die kaum noch aufgefangen werden könnten. Norbert Moy, der Leiter des Fahrgastverbands ProBahn der Regionalgruppe Oberland, hält diese eingleisigen Passagen für „infrastrukturelle Schwachstellen“. Die Situation sei „absolut unbefriedigend“.

Fahrplanwechsel mit gemischten Ergebnissen

So sehen das die Geschwister Hofmann auch: „Meine Freunde, die außerhalb von Wolfratshausen wohnen, verpassen wegen der Bahn oft ihren Anschlussbus und müssen dann zwei Stunden auf den nächsten warten“, berichtet Louisa. Im Dezember keimte Hoffnung. Damals stellte die Bahn die S7 um, die seither nicht mehr über die Stammstrecke fährt und viel pünktlicher werden sollte. Hat der Fahrplanwechsel eine Verbesserung gebracht? Die 17-Jährige hat „das Gefühl, es ist sogar noch schlimmer geworden“.

Die Bahn zieht hingegen eine positive Bilanz: „Die Pünktlichkeit der S7 hat sich seitdem spürbar verbessert“, betont die Unternehmenssprecherin. Laut Statistik sind die Züge teilweise zu bis zu zehn Prozent pünktlicher. Aktuell liege man vier Prozentpunkte über dem Vorjahreswert. Julian führt keine Statistik, fährt aber täglich mit. Er sagt: „So schlimm habe ich es noch nie erlebt.“

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Statistik und Realität

Laut Zahlen der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG) zählt die S7 im ersten Halbjahr 2025 zu den zuverlässigsten Linien im Münchner S-Bahn-Netz. Die durchschnittliche Pünktlichkeitsquote lag demnach bei 93,1 Prozent. Bei den Zugausfällen verzeichnete die Linie laut BEG lediglich eine Quote von 0,2 Prozent– also gerade einmal zwei von tausend.

Enttäuschte Fahrgäste

Der Pendlerverband weiß: Die Fahrgäste sehen immer noch viele Probleme: „Die Enttäuschung ist vorprogrammiert, weil man nur an Symptomen herumdoktert“, erklärt ProBahn-Leiter Moy. Kollege Andreas Barth ergänzt: „Die Versprechen im Dezember 2024 waren groß.“ So wie die Enttäuschung heute. Andreas Frank, zuständig für Fahrgastmeldungen bei ProBahn, schildert ein Beispiel: Eine Frau habe sich beschwert sich, dass die S7 an der Donnersberger Brücke abfuhr, noch bevor Pendler aus einer ankommenden S-Bahn aus der Innenstadt umsteigen konnten. Die Folge: 20 Minuten Wartezeit. „Die Leute fühlen sich verarscht, wenn sie den Türtaster noch drücken können, die Tür aber nicht mehr aufgeht – und der Zug trotzdem noch ein paar Momente am Bahnsteig steht, bevor er ohne sie losfährt“, so Frank.

Ruf um Hilfe in den Familien-Chat

„Natürlich ist die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der S7 noch nicht dort, wo sie sein soll“, räumt die Bahn-Sprecherin ein. Man arbeite jedoch intensiv daran, die Situation zu verbessern. „Wir wollen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, dafür müssen wir uns aber auch darauf verlassen können“, betont Julian. Immer wieder greift er aufs Auto zurück, fährt ein Stück seines Arbeitswegs selbst, weil das zuverlässiger klappt. Manchmal muss er trotzdem im Familien-Chat um Hilfe bitten – so wie letztens. Der Zug blieb ein paar Stationen vor Julians Pendler-Parkplatz einfach stehen. Seine Mutter musste einspringen, fuhr nach München und brachte ihn zum Auto. 

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