Wurzelwerk in Gefahr
Sind Filmfestivals nötig? Diese provokante Frage stand im Mittelpunkt des Filmgesprächs am See am Sonntag in Tutzing. Filmregisseur Hans Steinbichler brachte es auf den Punkt: „Ich bin ohne Festival nicht denkbar.“
Tutzing - „Brauchen Filmschaffende Filmfestivals?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt des 11. Filmgesprächs am See, das am Sonntagnachmittag im Rahmen des Fünf-Seen-Filmfestivals (FSFF) in der Akademie für politische Bildung in Tutzing stattfand.
Rund 400 Filmfestivals gibt es in Deutschland. Einige, vor allem kleinere, kämpfen ums Überleben. So auch das derzeit laufende Fünf-Seen-Filmfestival, das vor einem Jahr noch Rekordbesucherzahlen verzeichnete und jetzt aufgrund von Budgetkürzungen einer ungewissen Zukunft entgegensieht. „Wie wichtig sind diese Festivals überhaupt als Plattform für Filmschaffende und generell?“, fragte Akademie-Direktorin Professor Ursula Münch bei der Begrüßung im vollbesetzten Auditorium. Sie richtet das traditionelle Filmgespräch gemeinsam mit FSFF-Leiter Matthias Helwig aus. Sein Grußwort fiel jedoch aus, da er dieses Mal selbst auf dem Podium saß. Gemeinsam mit Filmregisseur Hans Steinbichler, der zahlreiche preisgekrönte Filme gedreht hat („Die zweite Frau“, „Winterreise“, „Landauer – Der Präsident“, „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder „Ein ganzes Leben“).
Auf die Frage von BR-Moderatorin Anna-Elena Knerich, was für ihn persönlich ein Filmfestival bedeute, antwortete Steinbichler kurz und knapp: „Ich bin ohne Festival nicht denkbar.“ Er sei ein Kind des Münchner Filmfests, wo er zum ersten Mal seine Filme habe zeigen dürfen. Und auch beim jetzigen 18. Starnberger Filmfestival „komme ich durch meine Werkschau komplett neu ausgerichtet aus diesen Tagen“. Matthias Helwig sei für ihn „ein ständiges Korrektiv“ und durch die Darstellung seiner Filme im DCP-Format (Konvertierung des Films zur Vorführung im Kino, Anm. d. Red.) sehe er die 20 Jahre alten Produktionen in ganz neuem Licht. „Ein unfassbarer Gewinn für mich.“ Und dass der Kino-Schaffende Helwig es geschafft habe, den Film „In Liebe, Eure Hilde“ von Andreas Dresen nach Starnberg zu holen, „dafür muss man ihm auf Knien danken“, ergänzte der 57-Jährige. Es gebe viele Filme, die über die direkte Nähe eines Festivals ans Publikum herangetragen werden müssten, weil sie übers Fernsehen oder Social Media nicht den gleichen Effekt hätten.
Das Starnberger Publikum war für mich immer eine Offenbarung. Kluge, normale Menschen, die in diese Kultur hineinerzogen wurden.
Für Matthias Helwig ist seit 1986 die Biennale in Venedig sein prägendes Filmfestival. „Man sieht dort tolle Filme und weiß, woanders wird man sie nie wieder sehen.“ Aber auch einmalige Retrospektiven und Werkschauen würden geboten. Helwig betrachtet das Fünf-Seen-Filmfestival als Event für ein normales Publikum, das diese besonderen Filme genießen möchte. Hans Steinbichler präzisiert es: „Das Starnberger Publikum war für mich immer eine Offenbarung. Kluge, normale Menschen, die in diese Kultur hineinerzogen wurden.“ Ein „Wurzelwerk“, das mit dem Tod des Filmfestivals zerstört würde. Auch als Experimentierfeld für den Nachwuchs seien Filmfestspiele von unschätzbarem Wert. Und sie seien eine gegenseitige Bereicherung für Kino- und Filmschaffende.
Steinbichler erinnerte daran, dass sogar in der Verfassung stünde, „Bayern ist ein Kulturstaat“. Doch dafür würde viel zu wenig Geld in Kultur investiert. Bei der Filmförderung flössen nur 20 Prozent des Budgets in Filmfestivals, ergänzte Helwig. „Da muss sich was ändern, schließlich gibt es Filme, die gemacht werden müssen, und die laufen alle auf Festivals.“ Wo man auf kulturaffine Verantwortliche treffe, funktioniere es. Steinbichler nannte als Beispiel das Filmfestival von Toronto, „wo die Schlangen der Kinobesucher um ganze Häuser gehen“. Es gehe um die Balance aus Glamour und zentralem Inhalt.
„Ohne Filmfestivals können Filmschaffende nicht existieren“, brachte es Steinbichler nochmals auf den Punkt. „Doch wir müssen aus der Ecke der Hilflosigkeit raus.“ Helwig fügte hinzu: „Und aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen“ (nicht zwingend vorgeschriebene Ausgaben der Kommunen). Von Kulturschaffenden werde wie selbstverständlich erwartet, dass sie alles ehrenamtlich machten. Doch das funktioniere auf Dauer nicht.
Der Unterschied zwischen Kulturschaffenden und Politik sei sehr groß geworden. An Akademie-Direktorin Münch richtete Steinbichler den Wunsch, sie möge helfen, einen Runden Tisch mit der Politik zu organisieren. Was Münch positiv aufnahm: „Es wird Zeit für eine Tagung Kultur und Politik“, sagte sie überzeugt.
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Ilona Ramstetter