Bürokratie-Minister im Unternehmen: So geht eine Managerin mit Regulierung um

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

KommentareDrucken

Eine Unternehmerin beklagt den „Bürokratie-Berg“, der die Wirtschaft zum Ächzen bringt. Die Politik scheitere und gebe die Verantwortung weiter. Führungskräfte würden dadurch gebunden.

Berlin – Aus Sicht der Unternehmen nimmt die Bürokratie überhand. Und das zu einer Zeit, in der die Lage ohnehin schwierig ist. Die Bundesregierung mache dagegen wenig. Unternehmer würden „reichlich wenig von irgendwelchen Entlastungen merken“, erklärte etwa Marine-Christine Ostermann, geschäftsführende Gesellschafterin beim Lebensmittelgroßhandel Rullko Großeinkauf GmbH. Sie ist zudem Präsidentin des Verbandes „Die Familienunternehmer“ gegenüber dem Focus. „Der Bürokratie-Berg bringt jedes einzelne Unternehmen auf seine Art zum Ächzen.“

„Das sogenannte Bürokratieentlastungsgesetz, mit dem die Bundesregierung eine Trendwende versprochen hat, wird unseren Erwartungen nicht ansatzweise gerecht“, sagte die Verbandschefin. „Das Bürokratie-Belastungsmoratorium“ gelte in der Wirtschaft nur noch als „Verhöhnung der Unternehmerschaft“, hatte sie bereits Mitte Juni in einer Mitteilung kritisiert.

Unternehmerin schafft „Innenminister“ für Umgang mit Bürokratie-Berg

In ihrem eigenen Unternehmen gebe es eine Führungskraft, „die jetzt fast nichts anderes mehr machen kann“, als sich um bürokratische Vorgaben zu kümmern, sagte Ostermann im Focus-Interview. Konkret gehe es um Formulare zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie nenne ihn deshalb spaßeshalber ihren „Innenminister“. „Er muss nun Leute aus allen Abteilungen im Unternehmen zusammenbringen, damit die Vorgaben umgesetzt werden“, erklärte die Verbandschefin, die früher als Landesschatzmeisterin in der FDP in Nordrhein-Westfalen aktiv war.

Die Nachhaltigkeitsberichterstattung sei für ihr Unternehmen, das Lebensmittel für die Gastronomie liefere und 20.000 Produkte im Sortiment habe, ein „enormer Zeitaufwand“. Über „Wesentlichkeitsanalysen“ müsse der CO2-Fußabdruck für sämtliche Bereiche ermittelt werden, sagte Ostermann dem Focus.

Marine-Christine Ostermann hat einen pinken Pullover an und blickt in die Kamera.
Marine-Christine Ostermann beklagt den „Bürokratie-Berg“, der „jedes einzelne Unternehmen auf seine Art zum Ächzen“ bringe. © Anne Großmann Fotografie

Als weiteres Beispiel nannte Ostermann die Entwaldungsverordnung der EU, die ab dem 30. Dezember 2024 angewendet werden muss. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Rohstoffe und Erzeugnisse nur dann in die EU eingeführt werden, wenn sie nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen. Für Ostermanns Unternehmen bedeute das etwa im Fall von argentinischem Rindfleisch, dass sie das sicherstellen müsse.

Unternehmen ärgert sich über Politik: „Gibt die Verantwortung nach unten weiter“

Auch das Lieferkettengesetz sei eine Belastung. „Wie sollen wir als Handelsunternehmen mit 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern denn bitte sicherstellen, dass in Argentinien oder sonst wo auf der Welt niemand ausgebeutet wird? Das ist eine unmögliche Aufgabe“, sagte die Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ dem Focus. Das ist laut Ostermann nur für große Unternehmen möglich. Es gilt ohnehin erst für Unternehmen ab einer Größe von 1000 Beschäftigten, Ostermanns Firma hat 200. „Wenn Aldi solche Nachweise verlangt, dann wird bei den Zulieferern nicht lange überlegt, egal was es kostet. Aber diese Marktmacht haben wir nun mal nicht“, sagte die Unternehmerin.

„Überall da, wo die Politik scheitert, gibt sie die Verantwortung nach unten weiter“, schilderte Ostermann ihren Eindruck. „Im Ergebnis muss ich für die staatlichen Aufgaben Mitarbeiter bezahlen, die sich nicht mehr ums Kerngeschäft kümmern. Ich muss Wirtschaftsprüfer für die zusätzlichen Prüfungen zahlen und meine Mitarbeiter und ich zahlen mit unseren Steuern auch noch die zusätzlichen Beamten, die alle unsere Berichte auswerten und archivieren sollen“, erklärte sie. „All das Geld ist völlig unproduktiv und fehlt bei den Investitionen.“

Präsidentin des Verbands „Die Familienunternehmer“ beklagt „Misstrauen der Wirtschaft gegenüber“

Es geht laut Ostermann dabei jedoch „um etwas viel Größeres“. Alles basiere „gefühlt auf einem großen Misstrauen der Wirtschaft gegenüber“. Dabei erwähnt sie das Mindestlohn-Dokumentationspflichtgesetz. „Wie kann es denn sein, dass regelmäßig Beamte vom Zoll bei uns auflaufen und uns diese gewisse Ablehnung spüren lassen? Als ob wir unsere Leute ausbeuten würden“, erklärte Ostermann. „Produktivität und ein Klima des Misstrauens – das passt nicht zusammen.“ Die Politik solle darüber nachdenken, wenn „Deutschland wieder wettbewerbsfähig werden will“. Die Ampel-Koalition sei jedoch völlig planlos, erklärte Ostermann bereits Mitte Juni.

Ostermann steht mit ihrer Kritik an der Politik nicht alleine da. Immer wieder beklagen sich Unternehmer, darunter auch von Familienunternehmen, über die politischen Begebenheiten. Vom Bundesverband der Industrie gab es Ende Juni eine Forderung nach mehr Investitionen. „Das geht aber nicht mit angezogener Handbremse“, erklärte BDI-Chfef Siegfried Russwurm dabei.

Andere Traditionsunternehmen erwägen den Wegzug aus Deutschland – wegen der schlechten Rahmenbedingungen. Darunter sind auch Familienunternehmen wie Miehle.

Auch interessant

Kommentare