Koalitionspoker nach Österreich-Wahl – ÖVP macht erste Zugeständnisse an FPÖ

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Koalitionspoker nach Österreich-Wahl – ÖVP macht erste Zugeständnisse an FPÖ

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Bundeskanzler Nehammer will die FPÖ sondieren lassen und gesteht ihr den Posten des Parlamentspräsidenten zu. Kickl formiert derweil ein Sondierungsteam.

Wien – Nach der Österreich-Wahl am Sonntag (29. September) machte die konservative ÖVP unter Bundeskanzler Karl Nehammer erste Zugeständnisse an die FPÖ und ihren rechtsradikalen Parteichef Herbert Kickl. Nach ihrem Wahlsieg solle die FPÖ als Erstes Sondierungsgespräche führen und den Parlamentspräsidenten stellen, das gebiete „die Tradition“, sagte Nehammer am Dienstag nach einer Sitzung des ÖVP-Vorstandes. Mit Kickl koalieren wolle man weiterhin nicht. Nehammers Partei ist der Schlüssel zu einer demokratischen Mehrheit im österreichischen Nationalrat.

Nationalratswahl in Österreich
Kanzler Nehammer hat auch bei einer knappen Niederlage gute Chancen, nächster Regierungschef Österreichs zu werden. © Roland Schlager/APA/dpa

Nach Österreich-Wahl: Parlamentarier aus SPÖ und ÖVP wenig begeistert über knappe Mehrheit

Um eine Regierung ohne die FPÖ, die mit 29 Prozent klarer Wahlsieger ist, müsste die mit 26 Prozent zweitplatzierte ÖVP entweder mit knapper Mehrheit regieren oder sich mehrere Partner suchen. Eine Koalition mit den drittplatzierten Sozialdemokraten, die lediglich auf 21 Prozent der Stimmen kamen, hätte eine Mehrheit von genau einer Parlamentsstimme. Nach Informationen der Tageszeitung Die Presse sollen führende Parlamentarier beider Parteien davon wenig begeistert sein.

Dritter im Bunde: Tragen NEOS oder Grüne nach Österreich-Wahl Koalition der Demokraten

Wahrscheinlicher dritter Partner wären die liberalen NEOS, die mit etwa neun Prozent der Stimmen leicht gestärkt aus der Wahl hervorgingen. Die Grünen, die mit acht Prozent der Stimmen deutliche Verluste hinnehmen mussten, wären eine Option, jedoch scheint dies aufgrund des Dauerstreits in der noch geschäftsführend regierenden Koalition mit der ÖVP unwahrscheinlich. Die Parteispitzen von SPÖ, NEOS und Grünen zeigten sich am Dienstag alle bereit für Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen mit allen Parteien außer der FPÖ.

Mächtiger Wiener Bürgermeister nach Österreich-Wahl zu ÖVP-SPÖ-Koalition bereit

Vor der Sitzung des Bundesvorstands betonte die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, gegenüber der Nachrichtenagentur APA, die ÖVP sei eine Partei, „die immer regieren will“. Gegen Mikl-Leitners Widerstand, heißt es in Wien, sei jedes politische Vorhaben in der ÖVP aussichtslos. Mikl-Leitner regiert in Niederösterreich gemeinsam mit einem FPÖ-Landesverband, der Kickl in Radikalität kaum nachsteht. Selbiges gilt für die ÖVP-Landeshauptmänner in Salzburg und Oberösterreich.

Eine ähnliche Veto-Macht auf sozialdemokratischer Seite hätte der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der sagte der Presse, eine Koalition mit der ÖVP sei möglich, „aber nicht um jeden Preis“ erstrebenswert. Österreichs Konservative rückten in den vergangenen Jahren inhaltlich weit nach rechts. Während SPÖ-Parteichef Andreas Babler versuchte, das linke Profil der Sozialdemokratie zu schärfen. Die SPÖ-Forderung nach einer Erbschaftssteuer und die Verweigerung der ÖVP gegenüber Umverteilungspolitik könnte etwa zum Koalitionshindernis werden.

FPÖ schickt nach Österreich-Wahl wohl deutschnationale Burschenschafter in Koalitionsverhandlungen

Der Wahlsieger Kickl soll unterdessen bereits sein Verhandlungsteam beisammen haben, berichtete die APA. Neben Kickl sollen Fraktionsdirektor Norbert Nemeth, die Abgeordneten Susanne Fürst und Dagmar Belakowitsch sowie der ehemalige Bahnmanager Arnold Schiefer etwaige Mehrheiten sondieren. Das Team kann stellvertretend für vier Säulen der FPÖ und ihr Verhältnis zum extremen Rechten und verschwörungsideologischen Szene gesehen werden.

Nemeth und Schiefer sind nach eigenen Angaben deutschnationale Burschenschafter. Nemeth wurde, laut eines Berichts der Tageszeitung Standard, zwei Tage vor der Wahl auf einer Beerdigung eines Verbindungsbruders gefilmt, auf der das Treuelied der Nazi-Verbrecherorganisation SS gesungen wurde. Er bestreitet, dass auf dem Begräbnis die Version der SS gesungen wurde, im Video des Standards, ist die entsprechende Zeile allerdings zu hören. Die FPÖ behauptete, dass auf dem Begräbnis eine ältere Version des Liedes „Wenn alle untreu werden“ gesungen wurde, die in Verbindungskreisen üblich sei, und nicht von der SS verwendet worden sei.

FPÖ-Sondierungsteam zeigt Nähe zur „Identitären Bewegung“ – die feiert nach Österreich-Wahl

Dagmar Belakowitsch ist gesundheitspolitische Sprecherin der FPÖ. Während der Corona-Pandemie fiel sie wiederholt mit Falschnachrichten zu angeblichen Schäden durch die Corona-Impfung auf, berichtete etwa das Nachrichtenmagazin Profil. Fürst gilt als Vertraute Kickls. Die Oberösterreicherin gab vor der Wahl etwa einem in Linz ansässigen rechtsextremen Medienprojekt ein Interview. Sie wurde von der FPÖ nach der EU-Wahl als „Remigrationskommissarin“ vorgeschlagen. „Remigration“ ist ein von der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ popularisierter Kampfbegriff, hinter dem sich die organisierte Vertreibung von Migranten verbirgt.

Am Wahlabend zeigte sich die Verbindung zwischen den „Identitären“ und der von Altnazis gegründeten FPÖ auf der Wahlparty. In einem privaten Biergarten mitten auf dem Campus der Universität Wien feierten wohl Kader der „Identitären“ mit der FPÖ. Das geht aus Fotos hervor, die die „Rechercheplattform zur Identitären Bewegung“ auf X verbreitete und deckt sich mit Beobachtungen der Wochenzeitung Falter. Für den kommenden Donnerstag (3. Oktober) sind bereits erste Demonstrationen gegen eine mögliche Regierungsbeteiligung der FPÖ in Wien angemeldet. Ein etwaiger FPÖ-Parlamentspräsident würde in der konstituierenden Sitzung des neugewählten Nationalrates Ende Oktober gewählt werden. (kb)

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