Wengen: Im „Engel“ sollen Geflüchtete unterkommen. Gemeinde klagt über fehlende Kommunikation
Aus dem früheren Gasthof Engel in Wengen soll eine Asylbewerberunterkunft werden. Das Landratsamt Oberallgäu bestätigt das aber erst auf Nachfrage.
Wengen/Sonthofen– Eigentlich wollte Florian Schmid am 1. Mai in Wengen nur ein bisschen feiern, den Maibaum bewundern und mit den Leuten ratschen. Das Wetter war herrlich, die Stimmung bestens. Bis ihn eine Bürgerin auf das hinwies, was zu Füßen des Maibaums offenbar im Gange war: „Florian, da drüben werden Stockbetten ins ehemalige Gasthaus reingetragen, was ist denn da los?!“, sagte die Frau. Dem Bürgermeister blieb die Bratwurst im Halse stecken: Der seit Jahren vor sich hingammelnde frühere „Gasthof Engel“, ehemals ein Schmuckstück inmitten des Pfarrdorfes soll offenbar zu einer Unterkunft für Asylbewerber umfunktioniert werden. Dies bestätigte das zuständige Landratsamt (LRA) in Sonthofen – aber erst auf Nachfrage der Marktgemeinde. Und das sorgt jetzt dort für Riesen-Empörung und helle Aufregung. Das Dorf wehrt sich.
„Ein Unding, schlechtes Demokratieverständnis“
„Am 1. Mai hab ich zufällig von den Plänen des LRA gehört, am 3. Mai hat mir der Eigentümer der Immobilie versichert, noch keinen entsprechenden Mietvertrag unterschrieben zu haben, am 5. Mai kommt aus Sonthofen die Bestätigung: ‚Ja, wir haben den ehemaligen Gasthof als Asylunterkunft angemietet.‘ Mit uns hat niemand gesprochen“, empört sich Florian Schmid, „ein solches Vorgehen schafft kein Vertrauen, sondern führt zu größtem Misstrauen.“ Er kritisiert die Kommunikation des Landratsamtes scharf: „So geht das nicht – wir wünschen uns eine offene Kommunikation und eine gute Zusammenarbeit.“
Inzwischen reagieren auch die Menschen im Ort. Aus Protest gegen das intransparente Vorgehen des LRA kursieren Listen mit bisher mehr als 200 Unterschriften (Wengen hat etwa 450 Einwohner), am Stammtisch im lokalen „Zollerwirt“ wird heftig diskutiert, auch im gerade wieder eröffneten Dorfladen ist die Zukunft des „ Engel“ das Thema schlechthin. Dabei geht es nicht um die möglichen neuen Mitbürger aus Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan, mit denen hat man in Wengen überwiegend gute Erfahrungen gemacht, seit 2015 die erste Flüchtlingswelle auch ins Oberallgäu schwappte. Heute leben Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine im Ort, etwa im Gästehaus von Alois.
Tasch: „Alles läuft gut“, sagt der und schließt sich der allgemeinen lokalen Bewertung der Behörde in Sonthofen an: „So was geht gar nicht, das ist ein Unding, ein schlechtes Demokratie-Verständnis!“ Auch die Wengener Gemeinderätin Ulrita Holz schüttelt den Kopf: „Die reden einfach nicht mit uns, das war in einem ähnlichen Fall vor drei Jahren schon mal so.“ Holz hatte sich in den Zehnerjahren ebenfalls engagiert, „aus den meisten unserer Flüchtlinge ist was geworden“. Jetzt hat sie mit dem kompletten Marktgemeinderat einstimmig einen Bebauungsplan und eine Veränderungssperre für das Areal des früheren Gasthofes erlassen, den manche im Ort als „sanierungsbedürftige Schrottimmobilie“ bezeichnen. Der Erlass soll das Landratsamt vorerst stoppen.
Berechnungen werfen Fragen auf
Bürgermeister Schmid treibt aktuell die Frage um, warum Wengen überhaupt als Standort für eine weitere Asylbewerberunterkunft infrage kommen soll. „In der Gemeinde stehen bei einer Einwohnerzahl von 5.400 Menschen derzeit 94 Plätze zur Verfügung, dazu sind noch 63 Flüchtlinge aus der Ukraine bei uns privat untergebracht. Nach Adam Riese sind das insgesamt 157 Asylbewerber und Flüchtlinge, also eine Unterbringungsquote von drei Prozent unserer Bevölkerung“, rechnet er vor, „damit haben wir die für die Verteilung als Richtzahl benutzte Quote von zwei Prozent deutlich übererfüllt.“ Das Landratsamt rechnet anders: „In Weitnau liegt die Quote aktuell bei lediglich 1,74 Prozent, „heißt es in einem Statement, das dem Kreisboten vorliegt. „Sind Menschen, die vor dem Angriffskrieg aus der Ukraine geflüchtet sind, also keine Flüchtlinge?“, fragt der Bürgermeister, „rechnet das Landratsamt anders als wir, um den ‚Engel‘ als Unterkunft durchdrücken zu können?!“ Bemerkenswert ist die Tatsache, dass das LRA vor wenigen Tagen eine bislang angemietete Unterkunft in Weitnau zur Überraschung der Eigentümerin teilweise gekündigt hat und somit die bisher erfüllte Zwei-Prozent-Aufnahmequote unterschritten worden ist. „Was ist da eigentlich los?“, rätselt Schmid. Er ist sauer.
Weitnau erwägt rechtliche Schritte
Seit dem 5. Mai hat er keine Informationen oder Nachrichten mehr aus Sonthofen bekommen, es herrscht Funkstille. „Grundsätzlich wird eine Gemeinde erst dann offiziell eingebunden, wenn ein Mietvertrag abgeschlossen ist“, schreibt das Landratsamt, „eine frühzeitige Information würde zu unnötiger Verunsicherung führen.“ Weitnau könnte demnach frühestens vier bis sechs Wochen vor dem Einzug der ersten Asylbewerber in den „Engel“ mit einer Info aus Sonthofen rechnen. Man spricht von bis zu 50 Personen. Inwieweit das zur unzureichenden Infrastruktur und der schlechten ÖPNV-Anbindung passen soll, ist vielen schleierhaft. Ein Vorgehen, das die Verantwortlichen in Weitnau und Wengen auf die Palme bringt: „Hier wird versucht, auf dem Verwaltungsweg Tatsachen zu schaffen, dazu noch an einem völlig ungeeigneten Standort!“
Schmid verweist darauf, dass Weitnau sich seit Jahren „vorbildlich und solidarisch verhält“ sowie nun „erneut große Lasten“ tragen solle. „Die kommunale Selbstverwaltung ist zu achten!“, fordert der Bürgermeister und weiß dabei die große Mehrheit seiner Bürger hinter sich. „Wir lassen das rechtlich prüfen.“ Eine Anwaltskanzlei ist beauftragt. „Weitnau ist nicht einverstanden, notfalls ziehen wir bis vors Verwaltungsgericht“, so der Bürgermeister.
kb
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