Attacken auf SPD-Kandidatinnen - Historiker sieht in Richter-Streit Strategie der AfD
Die Attacken auf die SPD-Kandidatinnen für das Bundesverfassungsgericht folgen nach Einschätzung eines Historikers einer Strategie der AfD. Das Ziel sei die Zerstörung der Koalition und letztlich Machtgewinn für die AfD, sagte der Historiker Volker Weiß der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
„Bei der AfD findet Selbstverharmlosung nach außen und Radikalisierung nach innen statt“, erläuterte Weiß. „Die Kampagne gegen die SPD-Kandidatinnen folgt einer bewussten Strategie.“ Weiß verwies auf ein internes AfD-Strategiepapier, aus dem Anfang des Monats das Portal „Politico“ zitiert hatte. Dort heißt es: „Unser Ziel ist es, eine Situation zu schaffen, in der die politische Kluft nicht mehr zwischen der AfD und den anderen politischen Strömungen verläuft, sondern sich ein bürgerlich-konservatives Lager und ein sich radikalisierendes linkes Lager gegenüberstehen, vergleichbar mit der Situation in den USA.“
Warum die Vorwürfe zum Thema Abtreibung?
Weiß sagte: „Dafür will sie Streit und die Betonung der Gegensätze in der Koalition bewirken und dafür um die konservativen Kräfte in der CDU werben.“ Die SPD solle nach links, die Union nach rechts gezwungen werden. „Vor allem Milieus in Westdeutschland, wo die AfD weniger fest verankert ist als im Osten, sollen für die Partei erschlossen werden.“ Kein Zufall sei es daher, dass bei Frauke Brosius-Gersdorf das Thema Schwangerschaftsabbruch skandalisiert worden sei.
„Das ist im Osten kein großes Thema, die Neurechten erhoffen sich im Westen aber, damit an den katholisch-konservativen CDU-Kern heranzukommen.“ Die Haltung der SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu Schwangerschaftsabbrüchen war von einigen Unionsabgeordneten kritisiert worden; vorher war die Rechtsprofessorin in den sozialen Netzwerken mit Falschdarstellungen hierzu angegangen worden.
Gibt es in der CDU Resonanz für die Neue Rechte?
„Es gibt eine Plattform in der CDU für diesen Kurs“, stellte Weiß fest. „Das wird nicht der letzte Angriff gewesen sein, denn die Kampagne ist Teil eines Kulturkampfs, der – siehe Trump – längst international geführt wird. Er zielt auf die Liberalisierungen, die durch die 68er Generation gekommen sind, und auf alles, was heute als woke diffamiert wird. Es geht um den liberalen Charakter der Demokratie.“ In der zuvor konservativer geprägten deutschen Gesellschaft war die sogenannte 68er Generation ab etwa 1968 für mehr Liberalität und Partizipation eingetreten.
Was die Koalition tun kann
Machtlos ist die Koalition gegen die AfD-Strategie nach Ansicht von Weiß nicht. „Die Koalition kann der AfD aber etwas entgegensetzen. Dazu müsste die CDU die Contenance bewahren und nicht über die Stöckchen springen, die ihr hingehalten werden“, sagte der Historiker.
Das Amt der Verfassungsrichterin sei „durch die teils schrillen Vorwürfe gegen Frau Brosius-Gersdorf und die totale Polarisierung dadurch“ bereits beschädigt, meinte Weiß. Denn: „Nimmt sie das Amt an, dürften ihre Gegner zukünftig jede Gerichtsentscheidung, an der sie beteiligt ist, als ideologisch motiviert desavouieren. Verzichtet sie, würde das diese heftige Kampagne durch einen Erfolg krönen.“