„Bitterkeit essen“ – Xis perfider Werkzeugkasten im US-Zollstreit
Chinas Exportwirtschaft floriert, trotz der von Donald Trump eingeführten Strafzölle. Im Juli sind die Ausfuhren im Vergleich zum Vorjahresmonat um 7,2 Prozent gestiegen. Dabei ist der Export in die Vereinigten Staaten um 21,7 Prozent gesunken, die Einfuhr in die Länder Südostasiens und nach Deutschland um 16,6 und 13,1 Prozent gestiegen.
Die Volksrepublik hat also relativ schnell einen Ausgleich für den wegbrechenden US-amerikanischen Markt gefunden. Immerhin kappte die Trump-Administration eine letzte Ausnahme: Bislang war die Einfuhr von Bestellware von Chinas E-Commerce Plattformen im Wert von unter 800 US-Dollar zollfrei. Damit ist jetzt Schluss.
Seit der Pandemie läuft es in China nicht mehr rund
Dazu kommt: Die Länder Südostasiens wollen sich, genauso wie die Europäische Union nun dagegen wehren, dass billige Ware aus China bei ihnen abgesetzt wird. Ihre heimische Wirtschaft soll nicht unter Druck geraten.
Schon in der Vergangenheit erhöhten Indonesien und Vietnam daher ihre Zölle für Einfuhren aus der Volksrepublik. Es ist zu erwarten, dass sie dieses Vorgehen besonders in Industrien, die für sie selbst wichtig sind, wiederholen werden.
Spätestens dann werden die Menschen in China merken, dass der Handelskrieg zwischen Peking und Washington nicht spurlos an ihnen vorübergehen wird. Schon seit der Corona-Pandemie läuft es in der Wirtschaft der Volksrepublik nicht mehr rund.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf einem Höchststand, die geplatzte Immobilienblase hat die Ersparnisse der Mittelklasse vernichtet. Die Menschen geben das, was ihnen geblieben ist, nicht mehr aus.
Xi schwört die Chinesen auf harte Zeiten ein
Damit gerät ein wichtiges politisches Ziel von Machthaber Xi Jinping außer Reichweite: die Unabhängigkeit der Volksrepublik von anderen Ländern. Eigentlich ist der chinesische Markt mit 1,4 Milliarden Teilnehmern so groß, dass er sich selbst erhalten und tragen können müsste.
Doch in der gegenwärtigen Lage ist Peking so verflochten und abhängig vom Betrieb der Weltwirtschaft, dass das Land mehr Rücksicht walten lassen muss, als es Xi recht ist.
Dem chinesischen Präsidenten ist bewusst, dass es der Bevölkerung heute nicht mehr so gut geht wie vor zehn Jahren. Er schwört die Einheimischen daher schon seit längerem auf schwere Zeiten ein und erinnert an die Härte der Mao-Ära.
"Bitterkeit essen" wird zum Prinzip
Man müsse bereit sein, wie es damals hieß, "Bitterkeit zu essen" und dabei das große Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Das große Ziel, von dem Mao sprach, war der Sieg über die Besatzungsmacht Japan, die China überfallen und die Menschen brutal geknechtet hatte.
Heute ist der äußere Feind die USA. Xi sprach schon oft, meist kryptisch und verklausuliert, von der Gefahr, die von äußeren Mächten ausgehe. Gemeint war immer Amerika. Xi erklärte außerdem direkt nach seinem Amtsantritt 2013, dass der Westen im Abwind, die Volksrepublik hingegen im Aufschwung sei.
Donald Trump ist in Xis Vorstellung kein Ausrutscher, sondern der Endpunkt des amerikanischen Niedergangs. Für ihn sind die USA unter dem 79-Jährigen nicht mehr regierbar.
Als Weltmacht zerlegt sich Amerika gerade selbst, was die Strafzoll-Orgie wie nichts anderes für Xi illustriert. Für Trump gibt es keine Freunde mehr - ein Vorwurf, den sich der chinesische Präsident vor einem Jahrzehnt selbst gefallen lassen musste.
So funktioniert die Wiederauflage der Mao-Strategie
Xis Wiederauflage der Mao-Strategie besagt, den Gegner so lange hinzuhalten, bis er in seinem eigenen Lager nicht wieder gut zu machenden Schaden angerichtet hat. Donald Trump, der davon ausgeht, dass sein Talent zum Deals machen göttliche Qualität hat, bettelt förmlich um ein Treffen mit Xi.
Die Delegationen beider Länder verhandeln, Washington wähnt sich in der Oberhand, wird allerdings von Peking nur hingehalten. In der Tat hat Trump jetzt schon mehrfach klein beigegeben, ohne dafür eine Gegenleistung aus China erhalten zu haben. Zuletzt erlaubte er dem US-amerikanischen Konzern Nvidia, wichtige Computerchips nach China zu exportieren.
Trump macht seinen mächtigsten Gegner stärker
Damit unterstützt Trump nun den Aufbau des chinesischen Militärs und die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Er macht also seinen mächtigsten Gegner sehenden Auges stärker. Besser könnte es für den chinesischen Machthaber nicht laufen.
Wer jetzt "Bitterkeit isst", dem winkt in einer fernen Zukunft die Belohnung für Entbehrung. China wird eine fette Dividende einstreichen, während die Vereinigten Staaten wirtschaftlich ärmer und diplomatisch isoliert dastehen werden, wenn Donald Trump das Weiße Haus verlässt.
Bis dahin wird Peking Trump hofieren und ihn mit Ankündigungen abspeisen. Sollte es zu einer persönlichen Begegnung zwischen Xi Jinping und Donald Trump kommen, wird sich Peking dies vergüten lassen, etwa mit Konzessionen Trumps, was das demokratische Inselland Taiwan angeht.
Trump ist schon eingeknickt
Auch hier ist Trump bereits eingeknickt: Um ein Treffen mit Xi im Herbst zu bekommen, hat er dem taiwanischen Präsidenten jüngst verboten, bei einem Flug in den USA Station zu machen. In der Vergangenheit war das taiwanischen Politikern gestattet, auch, um zu zeigen, dass Taiwan ein Verbündeter der USA ist.
Für Xi wäre es der Höhepunkt seiner Karriere, wenn er das Land ohne Krieg mit den USA einnehmen könnte. Nie war er diesem Ziel so nahe wie heute. Dafür wird Xi die Chinesen auch noch eine Weile "Bitterkeit essen" lassen.
Über den Gastautor
Alexander Görlach unterrichtet Demokratietheorie und -praxis an der New York University. Zuvor hatte er verschiedene Positionen an der Harvard Universität und dem Carnegie Council for Ethics in International Affairs inne. Nach einer Zeit als Gastprofessor in Taiwan und Hongkong hat er sich auf den Aufstieg Chinas konzentriert und was dieser für die Demokratien in Ostasien im Besonderen bedeutet. Von 2009 bis 2015 war Alexander Görlach der Herausgeber und Chefredakteur des von ihm gegründeten Debatten-Magazins The European. Er lebt in New York und Berlin.