Xis vielleicht mächtigste Waffe im Zoll-Streit: Die "chinesische Atombombe"
In Fachkreisen wird sie die "nukleare Option" oder die "chinesische Atombombe" genannt: Die letzte Karte, die Chinas Präsident Xi Jinping ziehen könnte, im Handelskrieg gegen Donald Trump und seine Administration.
Peking hält US-amerikanische Staatsanleihen im Wert von über 759 Milliarden Dollar. Sollte Xi Jinping sich dazu entscheiden, diese teilweise oder gar ganz zu veräußern, würde die Zinstilgung, die die Vereinigten Staaten auf ihre immensen Staatsschulden (insgesamt, Ende März: 28 Billionen US-Dollar) zu leisten haben, explodieren.
"American Dream" hat die Fantasie beflügelt
Die USA konnten bislang unter anderem deshalb so astronomisch hohe Schulden aufbauen, weil fast die ganze Welt auf das Land vertraute und an seine Vision glaubte. Ein Land der unbegrenzten ökonomischen Möglichkeiten, offen für Innovation und Handel, offen für jene, die einwandern und richtig ranklotzen wollen.
Nirgendwo sonst konnte man, der Redensart zufolge, "vom Tellerwäscher zum Millionär werden". Der "American Dream" hat die Fantasie von Generationen beflügelt, und das nicht zu unrecht. Doch nun, unter Donald Trump, wird all das abgeräumt. Immer mehr Investoren, Unternehmer und Wissenschaftler blicken mulmig nach Washington: heute frische Strafzölle, die morgen ausgesetzt werden.
Mit gültigen Dokumenten auf dem Weg zu einem Krebsforschungszentrum an einer US-amerikanischen Uni, morgen in Einzelhaft der gefürchteten Grenze-Brigade ICE. Heute noch völlig legal von seiner im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung garantierten freien Redefreiheit gebraucht gemacht. Morgen abgeschoben, weil die Meinung dem Präsidenten nicht passt.
Nicht nur die Börsen werden erschüttert
Amerika ist für viele in nur drei Monaten der zweiten Amtszeit von Donald Trump von einem verlässlichen Partner zu einem unlauteren Gesellen geworden. Das Vertrauen in das Land, seine wirtschaftliche Handlungsfähigkeit, seine an Freihandel orientierte Prosperität, all das hat der 47. Präsident der Vereinigten Staaten massiv erschüttert.
Nicht nur die Börsen werden davon erschüttert, auch der Handel mit Bonds, Staatsanleihen, ist davon betroffen. Wer solche Staatsanleihen kauft, also ein Land über Schulden finanziert, erhält dafür Zinszahlungen.
Und diese sind, seit Anfang April, seit die aktuellen Runden des Strafzoll-Zoffs begannen, an nur einem Tag um knapp 4,5 Prozent gestiegen, was übersetzt heißt, dass die Anlage als weniger sicher gilt als noch zuvor. Anders formuliert: Das Risiko, dass unter Donald Trump die Staatsanleihen an Wert verlieren, ist merklich gestiegen. Der Anstieg im April war der höchste in 40 Jahren!
Zündet Xi die "chinesische Atombombe"?
Wenn die Volksrepublik, der Donald Trump mit seinem Handelskrieg besonders zusetzen will, ihre Papiere verkauft, wird das im Markt als ein Zeichen gewertet, dass weiteres Vertrauen in die USA verloren gegangen ist. Mit der Folge, dass die Zinsen, die Washington zahlen muss, deutlich steigen.
Diese Möglichkeit, von der China (genauso wie Japan und Großbritannien) seit Ende des vergangenen Jahres bereits in kleinen Portiönchen, Gebrauch gemacht hat (von 768,6 auf 759 Milliarden), blieb bis Anfang April ein Stückweit unter der Wahrnehmungsgrenze.
Die Explosion eines Totalverkaufs hätte viel härtere Konsequenzen: Sie wird deshalb "Nuklear-Option" oder "chinesische Atombombe" genannt, weil sie sofort Schockwellen um den gesamten Erdball schicken würde. Die Amerikaner selbst werden diesen "Nuklearkrieg" sofort spüren, denn die Zinsen auf Hypotheken und Konsumer-Kredite orientieren sich an den Zinsen, die für Staatsanleihen zu zahlen sind.
Peking hat bereits Ausfuhrstopp für seltene Erden verhängt
China kann diesen Schritt sogar paaren mit weiteren Antworten gegen Trumps Bully-Zölle: So hat Peking bereits einen Ausfuhrstopp für seltene Erden verfügt, ohne die in den USA vielerorts die Produktion stillstehen wird. Ebenso hat die Kommunistische Partei den geplanten Kauf von US-amerikanischen Boeing-Flugzeugen durch chinesische Fluggesellschaften untersagt.
Es gibt auch Auswirkungen der Anleihen-Explosion, die die Volksrepublik China selber treffen würden. Denn Peking würde, sollte es die Staatsanleihen zu einem günstigeren Preis verkaufen als es sie eingekauft hat, Geld verlieren.
Das würde Chinas Machthaber Xi Jinping nur dann hinnehmen, wenn er der Auffassung wäre, dass ihm Donald Trump keine andere Möglichkeit mehr lässt. Je nachdem, wie hoch die Ausfälle sein würden, würden es die normalen Menschen in China sicher auch zu spüren bekommen. Denn Peking würden dann Ressourcen fehlen.
Trump wird mit seinem Vorgehen das Gegenteil seines Ziels erreichen
Die chinesische Wirtschaft hat sich nach dem Ende der Pandemie nicht völlig erholt. Der Immobilienmarkt liegt am Boden, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch und die Menschen konsumieren einfach nicht genug, um die Wirtschaft über den Binnenkonsum zu konsolidieren.
Xis Ausweg, die Welt mit billigen Produkten zu fluten, die Geld in die Kassen daheim spülen sollen, geht spätestens jetzt mit den Strafzöllen nicht mehr auf. Die Frage des Tages ist nun, ob Chinas Machthaber die nukleare Option auch wirklich ziehen würde?
Das wird dann geschehen, wenn Trump versucht, nach Ablauf des 90-tägigen Strafzoll-Moratoriums, andere Länder zu zwingen, entweder ganz oder zu großen Teilen auf den Handel mit China zu verzichten. Wenn es soweit kommt, werden sicher genügend Staaten artikulieren, dass sie Xi dankbar für sein Eingreifen wären.
Donald Trump jedenfalls sind diese Mafia-Methoden durchaus zuzutrauen. Er wird damit allerdings das genaue Gegenteil dessen erreichen, was er eigentlich vorhat. Anstelle einer Isolation Chinas wird ein gestärkter Xi Jinping aus diesem Handelskrieg hervorgehen und die Volksrepublik wird, auch in der freien Welt, so beliebt sein wie sie es seit Xis Amtsantritt im Jahr 2013 nicht mehr war.
Über den Gastautor
Alexander Görlach unterrichtet Demokratietheorie und -praxis an der New York University. Zuvor hatte er verschiedene Positionen an der Harvard Universität und dem Carnegie Council for Ethics in International Affairs inne. Nach einer Zeit als Gastprofessor in Taiwan und Hongkong hat er sich auf den Aufstieg Chinas konzentriert und was dieser für die Demokratien in Ostasien im Besonderen bedeutet. Von 2009 bis 2015 war Alexander Görlach der Herausgeber und Chefredakteur des von ihm gegründeten Debatten-Magazins The European. Er lebt in New York und Berlin.