Dr. Patrick Lechner, Bürgermeisterkandidat der FDP, stellt sich gegen Pläne zur S7-Verlängerung nach Geretsried. Im Interview erläutert er seine Zweifel.
Wolfratshausen - Seit Jahrzehnten wird geplant und gerechnet. Entscheidungsträger, Ministerien und Verkehrsunternehmen sind sich einig: Die S-Bahn-Verlängerung nach Geretsried ist sinnvoll. Einer sieht das völlig anders. Dr. Patrick Lechner traut dem Braten nicht. Der Bürgermeisterkandidat der Wolfratshauser FDP hat jüngst auf einem Parteitreffen gegen die Verlängerung argumentiert. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt er seine Sicht der Dinge – und auch, warum das alles gar nichts mit dem Wahlkampf zu tun hat.
Herr Lechner, können Sie besser rechnen als die Experten der Bahn?
Nein, das glaube ich nicht. Ich bin Mathematiker und kann rechnen. Aber um die vollständige Berechnung nachzuvollziehen, fehlen mir ja alle Annahmen und Zahlen, die die Deutsche Bahn hat. Wovon die Bahn und die Verkehrsplaner ausgehen, das erfährt ja leider niemand, und diese fehlende Transparenz ärgert mich sehr.
Sie haben sich immer wieder skeptisch zu den Plänen geäußert. Inzwischen sind Sie der einzige lautstarke Gegner der Bahn-Verlängerung nach Geretsried.
Ich bin aktuell noch einer von wenigen, die das laut aussprechen in der Öffentlichkeit, ja. Aber es gibt deutlich mehr Zweifel an dem Projekt. Ich höre sehr viel Zustimmung zu meinen Argumenten – in Wolfratshausen und übrigens auch in Geretsried. Viele sehen die Situation genau so, wie ich sie sehe, und das freut mich natürlich.
Was sehen Sie denn?
Ich bin natürlich für einen stärkeren öffentlichen Nahverkehr und eine bessere Anbindung von Geretsried. Ich finde es sehr wichtig, dass man diese Themen schnell und mit hoher Priorität voranbringt. Aber ich bin der Meinung, dass man eine Lösung finden muss, die keinen riesigen ökologischen Schaden bringt und auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Das sehe ich bei der S-Bahn-Verlängerung nicht. Da werden riesige Flächen versiegelt, die Bahntrasse hat teilweise 20 Meter Breite. Dafür müssen drei Bahnhöfe mit Parkplätzen und Zubringerstraßen gebaut werden. Da werden Wiesen und Felder zugebaut. Wir reden ständig im Stadtrat darüber, hier oder dort ein paar Bäume zu pflanzen, und es wird bei so vielen Fällungen diskutiert, ob der Baum nicht doch hätte gerettet werden können. Aber sobald es um die S-Bahn geht, stört es die sonstigen Umweltschützer nicht, wie viele hundert Bäume gerodet werden müssen. Das verstehe ich nicht. Und ein Satz zum Wirtschaftlichen: Ich kann mir nicht erklären, wie jemand glauben kann, dass Ausgaben von 433 Millionen Euro dafür ökonomisch sinnvoll sein können. Wir sprechen von Steuergeldern! Und ich bin gespannt, welche Ergebnisse rauskommen, wenn die aktuellen Zahlen für die Berechnung genommen werden. Es ist zu befürchten, dass es hier – ähnlich wie bei der zweiten Stammstrecke in München – noch ein ganz böses Erwachen gibt.
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Das ist doch erst vor ein paar Monaten gemacht worden. Und die Kosten-Nutzen-Analyse hat festgestellt: Die Bahn-Verlängerung wäre wirtschaftlich so sinnvoll wie noch nie.
Wie genau diese Analyse berechnet wurde, das möchte ich schon einmal wissen. Die Kosten haben sich um 160 Prozent erhöht – rein mathematisch betrachtet muss sich der Nutzen also noch mehr erhöht haben, damit diese Rechnung aufgeht. Ich würde wirklich gerne wissen, welche Annahmen und welche Prognosen da zugrunde gelegt wurden, um am Schluss mit einem so positiven Ergebnis rauszukommen.
Sie glauben das nicht?
Nein. Wenn wir – wie im Verkehrsgutachten von Experten festgestellt – davon ausgehen, dass der Autoverkehr zwischen Wolfratshausen und Geretsried durch die Bahn-Verlängerung nur um ungefähr zwei Prozent abnimmt, dann können ja nicht wahnsinnig viele Menschen umsteigen. Für die Stadt Wolfratshausen sehe ich die Verlängerung sogar sehr negativ. Dadurch gehen Einkäufer am Endbahnhof verloren und unsere Bahnhofsgegend wird weiter an Attraktivität einbüßen. Das darf man als Wolfratshauser nicht übersehen, finde ich. Ich glaube, man kann mit deutlich einfacheren Mitteln denselben oder mehr Nutzen erzielen.
Wie zum Beispiel?
E-Busse wären eine Maßnahme. Wir sehen doch bei den Expressbussen, wie gut so ein Angebot angenommen wird. Die Busse sind ökologischer als eine Bahn. Sie sind deutlich günstiger. Und sie wären sogar pünktlicher. Noch dazu fahren Busse viel flexibler bis vor die Haustüren als eine Bahn. Zum S-Bahnhof oder von dort nach Hause müssen viele Leute auch umsteigen – zum Beispiel in einen Bus. Wenn sie gleich den Bus nehmen, ist es doch einfacher und oft schneller.
Es fahren doch jetzt schon alle 20 Minuten Busse von Wolfratshausen nach Geretsried. Wo wäre denn dann die Verbesserung?
Man kann gerade an den Wochenenden und in den Abend hinein sicher noch nachbessern. Und man könnte sich Vorrangrechte für die Busse überlegen. Wenn die B11 bei Geretsried verbreitert wird, wäre es wirtschaftlich und ökologisch sinnvoller, eine Busspur anzudenken, als Kilometer Gleise und drei Bahnhöfe zu bauen. Die Bahn sollte bitte dringend an der Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der bestehenden S7-Strecke arbeiten und dafür mehr investieren. Dann würden sicher viel mehr Menschen auf die Bahn umsteigen.
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Herr Lechner, wenn alle Türen zu sind und sie vor Entscheidungsträgern diese Ideen äußern: Was gibt das für ein Echo?
Ein geteiltes. Einige verstehen meine Argumente, manche teilen sie. Andere lehnen das komplett ab. Ich habe den Eindruck: Manche lehnen das deshalb ab, weil sie seit vielen Jahren für die Bahn-Verlängerung abgestimmt haben. Für die würde es sich so anfühlen, als würden sie sich selbst widersprechen, wenn sie jetzt meine Argumente teilen. Ich versuche, diese Bedenken zu zerstreuen.
Wie?
Ich sage ja auch: Wenn ich die Berechnung der Bahn-Planer sehe, und sie richtig ist und die Annahmen stimmen, dann nehme ich meine wirtschaftlichen Einwände selbstverständlich zurück.
Herr Lechner, nachdem sie zuletzt das Bahn-Thema wieder in die Öffentlichkeit gebracht haben, hätte ich noch eine Frage: Wie läuft denn der Bürgermeister-Wahlkampf?
(lacht) Ich verstehe Ihre Anspielung. Aber ich habe wirklich nicht vorgehabt, die Bahn-Verlängerung zum Wahlkampf-Thema zu machen. Ich vertrete diese Meinung ja schon deutlich länger, und das Thema ist mir einfach wichtig.