Sexstreik im Kugelhagel: Aristophanes‘ „Lysistrata“ in Kempten brandaktuell inszeniert
Chris Comtesse inszeniert Aristophanes’ „Lysistrata“ in Kempten als ungeschönte Konfrontation: zwischen Witz und Wunden, zwischen Körperlust und Kriegstrauma.
Kempten – Seit 2.400 Jahren streiken Aristophanes’ Frauen gegen den Krieg – diesmal auf der Bühne des Theaters in Kempten, denn so alt ist die Komödie. Das Thema ist brandaktuell – und das nicht erst, seit es wieder Krieg in Europa gibt. In der Inszenierung von Chris Comtesse wird der Stoff auf zwei Ebenen erzählt: auf der einen Seite die Komödie – überzeichnet, lustvoll und albern. Auf der anderen Seite brutale Berichte über grausame Kriegserlebnisse. Die Idee klingt gut, bleibt jedoch ein Balanceakt.
Schon das Setting (Bühnenbild und Kostüme: Michael S. Kraus) macht klar: Diese Welt ist aus den Fugen. Auf der Bühne stehen Fragmente – eine ruinöse Burg, angedeutete Gebäude, ein improvisiertes Kriegslager. Dazwischen bewegen sich die Körper der Künstlerinnen und Künstler. Comtesse bleibt nicht beim Sprechtheater, sondern choreografiert Sprache, Schmerz und Widerstand.
Streik für den Frieden: Aristophanes’ „Lysistrata“ am Theater in Kempten
Corinne Steudler als Lysistrata bringt die Verbindung von Sprache und Bewegung mit großer Präsenz auf die Bühne. Ihre Stimme ist fest – so wie ihr Entschluss, den Krieg zu beenden. Und so überzeugt sie die Frauen der Kriegsparteien (Julia Jaschke, Paula Herzig, Sandra Schmidbauer, Gamze Alakus), ihren Männern den Liebesakt zu verweigern – bis diese die Waffen niederlegen. Die Folge: schwerer sexueller Entzug auf beiden Seiten.
Das hat viel Potenzial für Komödiantisches. So führen Myrrhine (Paula Herzig) und der Mann (Alexander Sichel) einen überaus lustigen Liebestanz auf, bei dem ihre Körper zueinander wollen, aber nicht dürfen. Das Geschlechterthema wird von vielen Seiten befeuert: so auch beim Bewegungschor der alten Männer und Frauen. Der Versuch der Männer, die von den Frauen besetzte Burg zu stürmen, gerät zum körperlichen Schlagabtausch. In wellenartigen Formationen prallen sie aufeinander – ziehen sich an, stoßen sich ab, ringen miteinander.
Die brutale Realität bleibt nicht außen vor
Doch die Inszenierung will mehr als das Komödiantische. Sie will den Brückenschlag zur Realität. Der Klang lauter Schüsse und Bombeneinschläge untermalt jeweils den Wechsel der Ebene. Frauen berichten, wie die Sieger des Krieges gewaltsam in sie eindrangen, während ihre Kinder im Nebenraum schrien, oder wie sie die zerfetzten Körper ihrer Männer von der Treppe wischten.
Es war Chris Comtesse wichtig, den konkreten Konflikt, aus dem die Berichte stammen, nicht zu benennen. Krieg ist immer gleich. Eine scheinbar logische Schlussfolgerung, die jedoch Fragen aufwirft: Reicht die bloße Illustration der Grausamkeit aus, um Frieden zu erreichen? Wenigstens eine kleine szenische Sequenz beleuchtet Kriegsinteressen.
Mutige Inszenierung
„Lysistrata“ am Theater in Kempten ist keine glatte Inszenierung. Sie will viel – und sie ist mutig. Sie zeigt starke schauspielerische Momente, eine ausgefeilte Choreografie und eine klare Haltung gegen Krieg. Aber sie steht sich auch selbst im Weg. Die Ebenen – Satire und Schrecken – laufen oft nebeneinander her. Es wirkt, als stünden zwei Produktionen auf der Bühne, die sich nur zögerlich berühren.
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Lysistrata wird noch bis zum 17. Mai gespielt. Weitere Informationen finden Sie unter www.theaterinkempten.de
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