Opfer im Krieg - 300.000 Russen verstümmelt? Aleksandr weiß nicht mal, welche Miene ihm das Bein nahm

Wenn im Ukraine-Krieg von heimkehrenden Soldaten die Rede ist, die Körperteile verloren haben oder mit schweren Traumata kämpfen müssen, dann sind Opfer auf beiden Seiten gemeint.

Die „New York Times“ hat Aleksandr gesprochen, der im Sommer 2023 von Russland an die Front geschickt wurde, nach nur zwei Wochen Training in Russland. 

Einen Monat später musste sein Bein amputiert werden. Die Zeitung traf den Mann in einem Sanatorium in einem Moskauer Vorort.

Mindestens 300.000 russische Veteranen sollen schwer verletzt sein, wie aus Berechnungen der unabhängigen russischen Medien "Mediazona" und "Meduza" sowie der "BBC" hervorgeht.

Aleksandr sagt, er sei in die ukrainische Region Charkiw geschickt worden und habe dort Schützengräben ausheben müssen, wo Rekruten am Tag zuvor Minen gelegt hatten. 

Er weiß nicht, ob die Mine, auf die er getreten war, ukrainisch oder russisch war. 

Aleksandr arbeitet eigentlich als Schweißer in Russland

Sein linkes Bein musste amputiert werden. Ein halbes Jahr habe er damit verbracht, von Krankenhaus zu Krankenhaus zu fahren, bevor er eine Prothese bekam.

Eigentlich arbeitet Aleksandr als Schweißer in Russland, muss zwölf Stunden am Tag stehen. Dabei sollen Menschen mit Prothesen dem Bericht zufolge diese nur ein paar Stunden am Stück tragen. 

Die Einrichtung, in der sich Aleksandr behandeln ließ, soll im vergangenen Jahr etwa 100 Prothesen hergestellt haben. Dabei seien aus Deutschland importierte Materialien und einige einheimische Technologien verwendet worden. Aber nur eine Handvoll der Prothesen seien für Veteranen des Krieges bestimmt gewesen.

Große Probleme bei Rehabilitation von Kriegsveteranen

Viele Veteranen kehrten außerdem mit einer posttraumatischen Belastungsstörung zurück, sagen Psychologen und Experten, mit denen die „New York Times“ gesprochen hat. 

„Jeder hier leidet ein wenig unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, egal ob er verwundet oder psychisch verletzt ist oder ob er Familien hat, deren Geschwister, Söhne oder Väter gestorben sind“, sagt Oberst Andrei V. Demurenko, der während der monatelangen Schlacht um Bachmut stellvertretender Kommandeur einer Freiwilligenbrigade war. 

Im Mai 2023 kehrte er nach einem Schädelbruch nach Moskau zurück und musste feststellen, dass es an psychologischer Hilfe für Veteranen mangelte.

Derzeit gebe es nicht genügend ausgebildete Fachkräfte, um Veteranen zu behandeln, sagt Svetlana Artemeva. Sie arbeitet an einem Projekt zur Ausbildung von Therapeuten. 

„Man muss ihnen von Grund auf beibringen, wie man lebt; sie müssen wieder lernen, wie man schläft, denn sie schlafen nachts nicht“, sagt sie. „Die Rehabilitation eines Menschen muss ein Leben lang dauern, denn die Erfahrung wird ihn für den Rest seines Lebens begleiten.“

Von Julia Hoene

Das Original zu diesem Beitrag "Ukraine-Invasion, Tag 1049: Schwierige Bedingungen für Veteranen in Russland" stammt von Tagesspiegel.