„Riviera des Nahen Ostens“ - Nahost-Experten watschen Trumps Gaza-Plan ab und warnen vor „Hirngespinst“-Idee
Die Journalisten und Besucher im East Room des Weißen Hauses blickten sich verdutzt an. Einige wirkten geschockt von dem, was sie gerade vernommen hatten. Vom Blatt abgelesen, sagte Donald Trump, wiedergewählter Präsident der USA, am Dienstagabend bei einem Besuch von Israels Premierminister Benjamin Netanjahu: „Die USA werden den Gaza-Streifen übernehmen. Er wird uns gehören.“
Trump zeigte sich überzeugt von jener Idee, über zwei Millionen Menschen aus dem Gaza-Streifen in Nachbarstaaten umzusiedeln: „Jeder, mit dem ich gesprochen habe, liebt die Idee“, so Trump. „Wir werden Tausende und Tausende Jobs schaffen. Ich möchte hier nicht den weisen Typen spielen, aber es könnte die Riviera des Nahen Ostens werden“, sagte er.
Kurz darauf folgte eine Welle der Empörung. Palästinenservertreter kritisierten Trumps Vorschlag scharf und bezeichneten ihn als ethnische Säuberung. Sie betonten, dass sie ihr angestammtes Land nicht verlassen würden.
Gaza-Vorstoß von Trump: „Das kam völlig überraschend“
Bereits jetzt ist aber klar: Der Vorstoß des US-Präsidenten hat historischen Charakter. Ob und in welcher Form er tatsächlich realisiert wird, bleibt ungewiss.
Ben Segenreich, Israel-Korrespondent des Nahost-Thinktanks „Mena Watch“ und fast 30 Jahre lang Israel-Korrespondent des ORF (österreichisches Fernsehen und Radio) und der Wiener Tageszeitung „Der Standard“, bestätigt im Interview mit FOCUS online, dass die Ankündigung Trumps auch in Israel für große Aufregung sorgt. „Das kam völlig überraschend. Aber wir wissen, dass Trump oft inkohärent ist.“
Die Welt und vor allem die Staaten und Akteure der Region fragen sich nun: Wie ernst ist diese Ankündigung zu nehmen? „Wenn man sich die Situation im Nahen Osten ansieht, erscheint diese Idee wie ein Hirngespinst“, sagt Segenreich. Doch in Washington spreche man offenbar bereits von einer „neuen Vision“ Trumps für die Region.
„Zwei Millionen Menschen kann man nicht einfach umsiedeln“
Der US-Präsident, so Segenreich weiter, fordere schon seit längerer Zeit, dass die Palästinenser den Gaza-Streifen verlassen und in anderen Ländern aufgenommen werden sollen. Doch dieser Gedanke würde schon an der praktischen Umsetzbarkeit scheitern. „Zwei Millionen Menschen kann man nicht einfach umsiedeln – abgesehen davon, dass sie das selbst nicht wollen“, sagt Segenreich.
Trumps Plan brachte indes in Israel vor allem das rechte politische Lager zum Jubeln. Bereits nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 haben einige rechtsgerichtete Minister in Israel wiederholt laut über dieses Szenario nachgedacht. Die israelische Regierung hat jedoch mehrfach betont, dass dies nicht ihre offizielle Politik sei.
Weniger begeistert zeigten sich auch die Nachbarstaaten Jordanien und Ägypten. Insbesondere diese sollen laut Trump große Teile der Menschen aufnehmen. „Obwohl sie jetzt nein sagen, habe ich das Gefühl, dass Jordanien und Ägypten uns Land geben werden, damit die Palästinenser darauf in Frieden leben können“, sagte Trump. Später ergänzte er, dass es auch andere Länder geben könnte. Welche das konkret sein sollen, sagte er nicht.
„Trumps Vorstoß verstößt gegen die Genfer Konventionen“
Hinzu kommt ein zentrales Problem: „Trumps Vorstoß verstößt gegen die Genfer Konventionen, die die zwangsweise Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen verbieten“, sagt Markus Bickel, Nahostexperte und Autor von „Der vergessene Nahostkonflikt“ sowie „Die Profiteure des Terrors“, gegenüber FOCUS online. Trumps Idee würde also als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten.
Hinzu komme, dass Trump, abgesehen von Israel, von keiner regionalen Macht in Nahost unterstützt werde – „obwohl ohne Saudi-Arabien, Ägypten, die Türkei und Jordanien eine politische und humanitäre Übergangsregelung für den Gazastreifen kaum gefunden werden kann“, so der Experte.
Außerdem bleibe in seinem Vorschlag völlig offen, mit welchen Mitteln Trump die Entwaffnung Zehntausender Hamas-Kämpfer durchsetzen würde. Trump scheint diese Fakten offenbar zu ignorieren.
Nahost-Experte: „Weder Jordanien noch Ägypten würden Millionen Palästinenser aufnehmen“
Nahost-Korrespondet Ben Segenreich macht zudem deutlich, wie die Erfolgsaussichten der Trump-Idee ganz praktisch wären: „Weder Jordanien noch Ägypten würden Millionen Palästinenser aufnehmen.“ Erstens sei das physisch kaum machbar. Und zweitens würde es die Stabilität dieser Länder gefährden, sagt der Nahost-Experte.
Die ägyptische Regierung lehnte den Vorschlag bereits vehement ab. Ägypten unterstütze das „unerschütterliche Bestehen des palästinensischen Volkes auf sein Land“. Die Regierung in Kairo lehne „jegliche Einmischung in diese unveräußerlichen Rechte ab, sei es durch Besiedlung oder Annexion von Land oder durch Entvölkerung dieses Landes durch Vertreibung“.
Ebenso der Tenor in Jordanien. Ajman Safadi, jordanischer Außenminister, erklärte, sein Land lehne jegliche Vertreibung von Palästinensern „fest und unerschütterlich“ ab.
„Dies würde Ägypten innenpolitisch destabilisieren“
Im Gaza-Streifen herrsche faktisch die Hamas, eine Organisation, die von vielen Menschen in der Region ideologisch unterstützt wird. „Die Hamas ist ein Ableger der ägyptischen Muslimbruderschaft, einer Bewegung, die in Ägypten ansässig ist und dort als Gegner des Regimes gilt“, sagt Segenreich. Zwischen der Muslimbruderschaft und der ägyptischen Regierung bestehe eine tief verwurzelte Feindschaft.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum sollte die ägyptische Führung bereit sein, eine große Zahl palästinensischer Flüchtlinge aufzunehmen, wenn viele von ihnen ideologisch mit der Hamas und damit der Muslimbruderschaft sympathisieren? „Dies würde Ägypten innenpolitisch destabilisieren“, meint Segenreich. Und dasselbe gelte für Jordanien, wo eine große palästinensische Bevölkerung bereits existiere und eine solche Maßnahme ebenfalls zu politischen Spannungen führen könnte.
Segenreich hält den Plan zur Umsiedlung unterm Strich daher für „unrealistisch“. „Auch die Hamas würde sich nicht einfach auflösen und kapitulieren. Auch wenn sie militärisch geschwächt ist, lässt sich die Organisation nicht einfach eliminieren“, erinnert der Experte.
Zwei-Staaten-Lösung scheint für Trump vom Tisch
Auch die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung scheint damit für Donald Trump vom Tisch. Ein bedeutender Akteur in der Region hat bereits starken Widerstand gegen Trumps Umsiedlungspläne signalisiert. Saudi-Arabien stellte klar, dass es ohne eine Zwei-Staaten-Lösung keinen Friedensvertrag mit Israel geben werde.
Derzeit sei aber eine andere Frage viel dringlicher, sagt Segenreich. „Aktuell sucht man nach einer Nachkriegsordnung. In Israel wurde die Regierung immer wieder gefragt, was nach dem Krieg passieren soll. Und klar ist: Israel will den Gaza-Streifen nicht regieren, die Hamas soll dort aber auch nicht mehr sein. Doch wer übernimmt dann die Verwaltung?“
Die bisher ins Spiel gebrachten Szenarien seien keine realistische Option, so der Experte. „Eine Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde aus dem Westjordanland wurde diskutiert, aber diese gilt als korrupt, unpopulär und unreformierbar.“ Auch eine internationale oder pan-arabische Friedenstruppe wurde vorgeschlagen, doch auch das bleibe eine bloße Idee ohne Grundlage.
Nun gebe es eine neue Idee: „Könnte der Gaza-Streifen eine Art 51. Bundesstaat der USA werden?“ Das klinge utopisch. „Die USA könnten theoretisch Soldaten schicken, um die Region zu stabilisieren – aber Trump ist nicht dafür bekannt, dass er gerne US-Soldaten in solche Einsätze schickt.“
Heißt: „Letztlich müsste also weiterhin Israel für die Sicherheit garantieren“, so der Nahost-Experte.
Am Ende scheint Trumps Idee zwar fernab jeder Realisierbarkeit. Aber es ist inzwischen bekannt, dass er zu Maximalforderungen neigt, um aus seiner Sicht gute Deals zu erzielen. Möglicherweise bringt sein Vorstoß Bewegung in die Suche nach einer Lösung des Konflikts. Genauso gut könnte er aber auch die Spannungen verschärfen.