Aufruhr im Wohnungsbau: Es stehen „definitiv weitere Insolvenzen“ bevor

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Der deutsche Wohnungsbau steckt in der Krise. Zwar gibt es hochgesteckte Ziele, aber die Unternehmen kommen mit dem Bau nicht hinterher. Im Gegenteil: Immer mehr Bauunternehmen geraten in Geldnot.

Berlin – 400.000 Wohnungen will die Regierung pro Jahr bauen. Fachleute gehen davon aus, dass allein 2024 rund 600.000 Wohnungen fehlen werden, das Pestel-Institut sieht gar eine Lücke von über 900.000 Wohnungen – und das sind nur die Sozialwohnungen. Sicher ist nur eines: Es gibt nicht genügend Wohnraum. Der deutsche Immobilienbau steckt in einer tiefen Krise. Insolvenzen von Wohnungsbauunternehmen sollen diese Entwicklung auch noch verschärfen.

Von der Regierung angepeilte Neuwohnungen pro Jahr 400.000
Abgabenquote im deutschen Wohnungsbau 37 Prozent
Tatsächlich gebaute Wohnungen im Jahr 2023 Rund 270.000 (Bundesregierung)

Finanzierungen laufen aus – weitere Insolvenzen im Wohnungsbau zu erwarten

Einer der Treiber für die aktuelle Entwicklung ist der Niedergang von René Benkos Signa-Gruppe. Seitdem die ersten Unternehmen letztes Jahr die Insolvenz anmeldeten, folgten nach und nach viele weitere, ein Ende ist bis jetzt nicht in Sicht. Allein in Baden-Württemberg sind über 8000 Mitarbeiter von Insolvenzen ihrer Unternehmen betroffen. „Es werden definitiv weitere kommen“, zitierte das Handelsblatt den Berliner Immobilienberater Markus Viering. „Es laufen in nächster Zeit viele Finanzierungen aus.“ Entweder müssten die Unternehmen dann neues Kapital erhalten, oder es folgen zwangsläufig Insolvenzen. Viering zufolge dürfte das vorrangig „viele kleine“ Projektentwickler betreffen.

Eine Baustelle mit einem Schild der Signa-Gruppe.
Aufruhr im Wohnungsbau – „Definitiv weitere Insolvenzen“ stehen bevor © IMAGO/photonews.at/Georges Schneider

Eine solche Welle wäre eine Katastrophe für Wohnungskäufer, vor allem für diejenigen, die schon einen Teil – wenn nicht sogar die komplette Wohnung – bereits abbezahlt haben. „Gerade, wenn es um den Neubau von Eigentumswohnungen geht, können schnell 100 oder mehr Käufer betroffen sein“, erklärte der Experte. Zwar könnten die Bauunternehmen solche Projekte, die bereits einen gewissen Grad des Baus erreicht haben, durchaus noch komplettieren, doch falls nicht, kann das für die Käufer einen Totalverlust bedeuten. Diese hätten meist schon einen Teil ihres Geldes für erbrachte Leistungen bezahlt.

Zwei Monate Verzug bei Insolvenz

Viering zufolge lassen sich solche Wohnbauprojekte durchaus über einen Kompromiss fertigstellen. Dazu müssten allerdings alle Beteiligten bereit zu einem solchen sein, und zwar vom Insolvenzverwalter bis zu den Wohnungskäufern. „Es gibt Projekte, die bereits zu 95 Prozent fertiggestellt sind, wenn der Projektentwickler in die Insolvenz geht.“

In solchen Fällen sei es möglich, nach einem Chancen-Risiken-Abgleich den Status des Projekts festzustellen und dann fertigzustellen. Wenn alle Beteiligten mitarbeiten, „sprechen wir vielleicht von zwei Monaten Verzug“, erklärte Viering. Bei „regulären“ Insolvenzen könne man von zwei bis drei Jahren ausgehen, wenn überhaupt.

Deutsche Baubranche steckt in der Krise

Welche Ausmaße die Krise im deutschen Wohnungsbau angenommen hat, zeigt die wachsende Zahl der Insolvenzen. Zuletzt hatte der Projektentwickler Schoofs Immobilien GmbH aus Frankfurt Insolvenz angemeldet und sich damit hinter dem Luxuskaufhausprojekt der Signa-Gruppe, dem Elbtower und vielen weiteren eingereiht. Von der „größten Krise seit den 1990ern“ sprach der Zentralverband Deutsches Baugewerbe im Februar. Es gebe immer weniger Auftragseingänge, die Baugenehmigungszahlen sinken ebenfalls.

„Natürlich ist die Stimmung am Bau unter solchen Vorzeichen schlecht“, sagte Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer der BAUINDUSTRIE, in einer Verbandsmeldung dazu. „Angesichts der desolaten Lage am Wohnungsbaumarkt ist das kein Wunder.“ Allerdings bleiben die Unternehmen „zweckoptimistisch“. Kaum ein innenpolitisches Thema werde in den kommenden Monaten und im Wahlkampf 2025 eine solch „brisante“ Rolle spielen.

Abgaben und Baukosten erdrücken Hausbauer

An der düsteren Lage sind neben den deutlich gestiegenen Materialkosten maßgeblich die hohen staatlichen Abgaben verantwortlich. Laut Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien-Ausschusses, ist Deutschland der europäische „Meister bei der Staatsquote“. Damit sind staatlich bedingte Kosten beim Wohnungsbau gemeint, zum Beispiel Grunderwerbsteuer, Umsatzsteuer oder technische Baubestimmungen. In Deutschland liege die Quote bei 37 Prozent und damit deutlich über dem europäischen Schnitt.

In Österreich sind es zum Beispiel sieben Prozent, in Frankreich 19 Prozent. Mattner schlug vor, die Quote auf 22 Prozent zu senken, dann lägen auch die Mieten entsprechend tiefer. Tanja Gönner vom Bundsverband der deutschen Industrie e.V. (BDI) bläst ins selbe Horn; Deutschland könne im Wettbewerb der Steuersysteme nicht mithalten. Bei anderen Standortfaktoren, etwa der steuerlichen Förderung von Forschung, hinke die Bundesrepublik ebenfalls „deutlich“ hinterher.

Aktuell befindet sich die Stimmung in der deutschen Baubranche auf einem Tiefpunkt. Der BDI verlangt eine zügige Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes. „Die Modernisierung und Digitalisierung der Unternehmenssteuern sind längst überfällig“.

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