Erster Veteranentag in Deutschland: „Einführung mehr als überfällig“
Am 15. Juni steht der erste Veteranentag in der Geschichte der Bundesrepublik an. Was bedeutet der Tag, wie kann er mit Leben erfüllt werden? Ein Interview in Fursty, der Wiege der Luftwaffe.
Fürstenfeldbruck - Klaus Pokatzky ist Journalist, war Kriegsdienstverweigerer und ist heute Flieger der Reserve. Der 70-Jährige ist seit mehr als zwanzig Jahren auch Medientrainer bei der Luftwaffe und arbeitet an einem Buch über den Fliegerhorst. Als Mitglied des Beraterkreises Veteranenangelegenheiten beim Stellvertretenden Generalinspekteur hat er sich intensiv mit dem Veteranentag beschäftigt, der heuer erstmals am 15. Juni stattfindet. Pokatzky spricht darüber an einem bedeutungsvollen Standort – in Fursty, der Wiege der Luftwaffe.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es am 15. Juni einen Veteranentag. Ist die Einführung dieses Tages aus Ihrer Sicht überfällig?
Sie ist mehr als überfällig. Allein hunderttausende Soldaten und Soldatinnen haben ihn verdient, die seit Anfang der neunziger Jahre in Auslandseinsätzen ihr Leben riskiert (und 119 von ihnen auch geopfert) haben. Und viele – vor allem die, die an Gefechten beteiligt waren – werden immer traumatisiert sein; werden gemeinsam mit ihren Angehörigen ihr ganzes Leben darunter leiden. Das alles für die Interessen und die internationale Verantwortung unseres Landes: Menschen auf der ganzen Welt zu schützen – zu verhindern, dass unschuldige Menschen, dass Frauen und Kinder ermordet werden.
Was erwarten Sie sich von diesem Tag?
Da der Bundestag den Veteranentag ja erst vor wenigen Wochen, am 25. April, endlich beschlossen hat, kann es nicht sehr viele Veranstaltungen geben. Mir sind rund zwanzig in ganz Deutschland bekannt. Ich erwarte aber, dass der Veteranentag eine gewisse Medienaufmerksamkeit erfährt. Und dass sich dadurch viele Menschen damit beschäftigen, warum es ihn geben sollte. Und, wenn ich erzählen darf, wie ich ihn in Fürstenfeldbruck begehen werde: Ich als alter Katholik werde abends in die Kirche auf dem Fliegerhorst gehen und dort eine Kerze anzünden. Für den Unteroffizier Matthias Koch (damals 23 Jahre alt) und den Hauptgefreiten Torsten Stippig (damals 25 Jahre alt) - die am 23. Mai 1997 bei einem Schießunfall im Feldlager der Bundeswehr in Rajlovac bei Sarajevo tödlich verletzt wurden. Ich habe dieses damals unmittelbar erlebt, weil ich als Journalist sie und gut zwei Dutzend weitere Soldaten bei einer SFOR-Patrouille begleiten sollte: der UN-Friedensmission in Bosnien und Herzegowina. Und ich habe damals erlebt, wie kameradschaftlicher Zusammenhalt einem Menschen helfen kann, die Zeit nach einem solch schrecklichen Erlebnis wenigstens einigermaßen durchzustehen und zu verarbeiten. Auf den Tag genau fünf Jahre später habe ich meinen alten Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zurückgezogen, weil mir klar geworden war: stünde ich noch einmal vor einer Wahl zwischen Bundeswehr und Zivildienst - würde ich mich ohne jeden Zweifel für einen Dienst bei der Bundeswehr, bei meiner Bundeswehr, entscheiden.
Wie könnte der Tag mit Leben erfüllt werden?
Meine Träume: Dass nicht nur die wunderbaren Soldateninitiativen, die sich in den letzten Jahren gebildet haben (vor allem von Einsatzveteranen); dass nicht nur der Deutsche BundeswehrVerband und der Verband der Reservisten der Bundeswehr - sondern dass alle möglichen zivilen Vereine, Seite an Seite mit den Soldatenverbänden, diesen Tag mit Leben erfüllen. Ich darf jetzt (gemeinsam mit meinem Redaktionskollegen Fähnrich Amir Houssaini) an der Offizierschule der Luftwaffe (OSLw) in Fürstenfeldbruck ein Buchprojekt gestalten zum Abschied der OSLw nach fast einem halben Jahrhundert Fürstenfeldbruck.
Und wenn ich mir da alte Zeitungsartikel etwa aus den achtziger Jahren ansehe: über den „Ball der Stadt“, der in der Offizierheimgesellschaft der OSLw stattfand; über Sportwettkämpfe zwischen Soldaten und Bürgern; über Sammlungen von Soldaten für wohltätige Zwecke in Fürstenfeldbruck - wenn ich das alles noch einmal nachlese, dann sehe ich einen Zusammenhalt und einen Kontakt zwischen Militär und der zivilen Gesellschaft, wie ich ihn mir in diesen kriegerischen Zeiten dringend wieder wünschen würde. Und der Veteranentag ist dafür ein herrliches Eingangstor.
Und das ist umso wichtiger, da ja durch die „Aussetzung“ der Wehrpflicht vor 13 Jahren eine Tür ganz heftig zugenagelt wurde: die persönliche Berührung der meisten Bürgerinnen und Bürger mit Soldaten – wer hatte denn in seiner Nachbarschaft, unter seinen Verwandten, in seinem Freundeskreis nicht (mindestens) einen Wehrpflichtigen?
Richtet sich der Tag auch an die vielen Mitglieder der diversen Veteranenvereine? Oder geht es eher um Teilnehmer von Auslandseinsätzen?
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Die offizielle Definition des Veteranen geht sehr weit. Und damit sind im Grunde alle Soldatinnen und Soldaten gemeint - nicht nur die, die im Auslandseinsatz waren. Also sind selbstverständlich darunter auch die mehr als 100.000 Bundeswehrangehörigen, die während der Corona-Pandemie uns allen geholfen haben. Und selbstverständlich auch die Hunderte, die jetzt hier in der Region beim Hochwasser unterstützt haben. Und vergessen wir nicht: Hinter jedem Soldaten im Auslandseinsatz stehen etliche Soldaten in der Heimat - für die nötige Planung, die Ausbildung, die Logistik und die sonstige Unterstützung. Ihnen allen ist der Veteranentag gewidmet!
Kritiker befürchten eine Militarisierung des Landes. Was entgegnen Sie?
Was bedeutet denn „Militarisierung“? Wenn Militarisierung bedeutet, dass wir uns (angesichts eines Krieges knapp 1.500 Kilometer von uns entfernt) endlich einmal Gedanken machen, wie wir uns gegen eine kriegerische Bedrohung wehren können; wenn wir etwas dafür tun, dass unser Militär dafür mit ausreichend Personal und Ausrüstung versehen wird - dann bin ich unbedingt für eine solche „Militarisierung“. Was ist denn die Alternative? Eine nette kleine Pazifisten-Demonstration vor der russischen Botschaft in Berlin zu veranstalten und Putin zu bitten, dass er doch wieder friedlich werden möge? Der lacht sich doch kaputt darüber!
Weil die Idee noch relativ neu ist, wird es nicht besonders viele Veranstaltungen geben, wohl auch im Landkreis nicht. Wie stellen Sie sich den Veteranentag in zehn Jahren vor?
Erstens: Dass es einen großartigen Veteranentag in Fürstenfeldbruck geben wird - unterstützt von der Bevölkerung und ihren Vereinen. Zweitens: Dass ich den noch erleben darf. Drittens: Dass ich ihn dann in Fürstenfeldbruck erleben darf - auch, wenn dann die Offizierschule der Luftwaffe in Roth sein mag. Aber ich möchte diesen Veteranentag in zehn Jahren hier in Fürstenfeldbruck begehen. In dem Ort, wo ich an der Offizierschule der Luftwaffe (zusammengerechnet) seit 2002 ein ganzes Arbeitsjahr als Medientrainer verbracht habe. Viertens: Ich möchte mich dann genauso wunderbar fühlen wie beim Brucker Volksfest in der Nacht zum 1. Mai!
Zurzeit wird über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert, deren Sinn einst ja auch darin lag, Bevölkerung und Bundeswehr eng miteinander zu verzahnen. Was hielten Sie von einer neuerlichen Wehrpflicht?
Ich war bereits während meiner Zeit als Zivildienstleistender ein absoluter Anhänger einer Dienstpflicht. Und das bin ich bis heute. Meinen Zivildienst habe ich geleistet bei einer antirassistischen Einrichtung in Bonn: bei der „Informationsstelle Südliches Afrika“. Und damit habe ich mich - genauso wie bei amnesty international schon als Schüler - gegen die damalige widerwärtige, menschenverachtende, antichristliche „Rassentrennungspolitik“ der Apartheid in Südafrika engagiert. Damit habe ich sicherlich etwas für andere getan. Aber ich habe auch etwas für mich selber getan. Wer schon im jungen Alter etwas für andere tut, der tut etwas für seine eigene soziale Entwicklung; begreift, was zu den Pflichten eines verantwortungsbewussten Bürgers (oder natürlich einer verantwortungsbewussten Bürgerin) gehört; lernt Menschen kennen, die er so intensiv sonst niemals kennengelernt hätte; lernt so den anderen Menschen zu respektieren - nicht obwohl, sondern weil er anders ist.
Nirgendwo sonst in unserer Gesellschaft kommen dabei (auf jeden Fall bei der Bundeswehr) Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus so eng zusammen. Da zählt nicht, ob Dein Vater alteingesessener bayerischer Unternehmer oder zugewanderter Arbeiter aus Afrika ist, ob Du ein Prinz aus dem Hause Wittelsbach bist oder ein Muslim mit arabischen Wurzeln. Da zählt nur eines: Gemeinschaft und Leistung auf Augenhöhe - Kameradschaft und Freundschaft. Und Du lernst soziales Verhalten. Weniger digital - dafür sozial. Dienstpflicht heißt: Bürgerstaat - statt Egoland!
Streitgespräch: Klaus Pokatzky und die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann diskutieren in einer Radiosendung über den Veteranentag. Zu hören ist die Sendung im Deutschlandfunk, Samstag, 15. Juni, 17.05 bis 17. 30 Uhr.
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