Ihre Klasse gilt als größter Vorteil, Donald Trump als ihr großer Makel: Die F-35 wird in Europa in Zweifel gezogen und europäische Lösungen gepriesen.
Washington – D. C. – „Niemand braucht eine F-35“, sagt Thomas Enders. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.) hat der frühere Vorstandschef des europäischen Luft- und Raumfahrtkonzerns Airbus mehr Autonomie gegenüber US-amerikanischen Rüstungsgütern gefordert. Er reagiert damit auf ein Gerücht, dass US-Präsident Donald Trump für die F-35-Kampfjets, die auch die Bundeswehr bekommen soll, einen „Kill Switch“ betätigen könnte, also die Maschinen aus der Ferne lahmlegen. Portugal scheint jetzt als erstes Nato-Mitgliedsland ernsthaft über den Verzicht einer Bestellung nachzudenken. Auch Kanada überlegt wohl, nach einer Alternative zum Tarnkappen-Jet zu suchen, obwohl erste Zahlungen schon getätigt sind. In der Schweiz wird ebenfalls diskutiert.
„Es ist zwingend erforderlich, dass wir uns so weit und so rasch wie möglich von amerikanischen Systemen unabhängig machen“, sagt Enders, dessen früheres Unternehmen Airbus mitgebaut hat am europäischen Multi-Nationen-Kampfjet Eurofighter Typhoon. Als „,mehr‘ als nur ein neues Kampfflugzeug“ bezeichnet die Bundeswehr auf ihrer Website dagegen den künftigen Bundeswehr-Jet F-35.
Der große F-35-Trumpf: Durch seine Beschaffung werde die nukleare Teilhabe gesichert
Durch seine Beschaffung werde die nukleare Teilhabe gesichert, weil diese Maschine Nuklearwaffen abfeuern kann. Dies trage dazu bei, einen möglichen Angreifer glaubwürdig von einem Angriff auf Deutschland oder das Bündnisgebiet der Nato abzuschrecken. Darüber hinaus sei die F-35 der beste und modernste Kampfjet, den die Luftwaffe augenblicklich beschaffen könne, so die Bundeswehr. Nicht nur Deutschland, sondern auch zwölf weitere Nato-Staaten nutzten die F-35 oder würden sie nutzen. Das verbessere das Zusammenwirken der Nato.
„Übergreifende Wartungsvereinbarungen ermöglichen es den Nationen, ausländische Flugplätze und Wartungsressourcen zu nutzen und so ihre Kapazitäten über Grenzen hinweg zu erweitern. Unser Ziel ist es, dass jede F-35 auf jedem F-35-Stützpunkt landen, aufgetankt, repariert, wiederbewaffnet und wieder einsatzbereit ist.“
Eine heimliche Übernahme der Nato durch die USA hat Mitte vergangenen Jahres bereits Sidney E. Dean heraufziehen sehen. Der Autor des Magazins European Security & Defense (ESD) hatte zwar die durch die Maschine inkludierte Interoperabilität der Nato-Staaten hervorgehoben, aber gleichzeitig die Frage gestellt, ob mit der F-35 die Abhängigkeit von einem einzigen Waffensystem die Einsatzfähigkeit der Nato bedrohen könnte.
„Das Kampfflugzeug F-35 Lightning II wurde von Anfang an als multinationales Projekt und mit Blick auf den Export über die Projektpartner hinaus konzipiert. Das Entwicklungsprogramm begann 1995 unter der Bezeichnung Joint Strike Fighter (JSF). ,Joint‘ bezeichnet ein Flugzeug, das die operativen Anforderungen aller Teilstreitkräfte der beteiligten Nationen erfüllen kann“, schreibt Dean. Acht der neun Partnernationen des Entwicklungsprojekts, darunter die USA und Kanada, seien Nato-Mitglieder – die Türkei ist inzwischen ausgeschlossen worden, weil dieser Nato-Partner ein russisches Luftabwehrsystem gekauft hat. 19 Länder haben die Maschine inzwischen bestellt.
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Nato-Plus: Für einige Länder ist die F-35 offenbar die beste Lösung unter Zeit- und Kostengesichtspunkten
Für einige Länder ist die F-35 offenbar die beste Lösung unter Zeit- und Kostengesichtspunkten. Japan beispielsweise hatte bereits 2014 vorgehabt, erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein eigenes Kampfflugzeug zu entwickeln, wie das Magazin Nikkei Asian Review berichtet hat. Im Jahr 2020 kam die Diskussion erneut auf, als geboten erschien, die alternden F-2-Kampfflugzeuge zu ersetzen. Wieder stand eine Eigenentwicklung im Raum neben dem Kauf der Entwicklung eines europäisches Konsortium, wie das Magazin Air & Spacesfores berichtet hat – wenn genug Zeit gewesen wäre.
„Weder die deutsch-französischen noch die britischen Bemühungen um moderne Flugzeuge sind bisher über die Konzeptphase hinausgekommen. Dies steht im Gegensatz zu den chinesischen J-20 und FC-31, die auf dem besten Weg zur Einsatzreife sind. Arbeitsteilungsfaktoren und politische Chancengleichheit sind bei der Betrachtung eines europäischen Verteidigungsprojekts problematisch. Japan wäre bei einer Vereinbarung wahrscheinlich nur ein Minderheitsbeteiligter“, haben die Air & Spacesforces-Autoren David A. Deptula, Douglas A. Birkey und Heather Penney dazu geurteilt.
Jetzt sitzen den Europäern und deren asiatischen Verbündeten die zügige Rüstung von Russland und China im Nacken – was die Zweifler in Europa aber nicht verstummen lässt: 2022 hat die neutrale Schweiz 36 Kampfflugzeuge des Typs F-35A bestellt. In einer vom Schweizer Sender Swissinfo jetzt online gestellten Umfrage unter fast 2.000 Lesern votierten zwei Drittel – 72 Prozent – dafür, auf die F-35 zu verzichten. Die Argumente der Abstimmenden ähneln denen der zweifelnden Parlamentarier, wie beispielsweise Leser „Henry Tom“ schreibt – er hält für einen alten Fehler, kein Flugzeug der EU zu wählen.
„Wegen Trump“: Portugal bekommt kalte Füße mit der F-35
„Wenn die Schweiz bereits bilateral mit der EU verhandelt, um strategisch besser zu punkten, sollte sie kein Flugzeug der USA wählen. Angesichts der unsicheren globalen Lage sollte sich Europa auf seine eigene Energiepolitik, eine einheitliche Wirtschaftsmacht und eine eigene, harmonisierte, schlagkräftige Armee konzentrieren – nicht mehr auf kleine Armeen von 27 Staaten.“ Ein Rückschritt wäre aber teuer, wie Swissinfo berichtet: Die Schweiz könne den Vertrag bis zur Auslieferung der Jets jederzeit kündigen, soll die Regierung aktuell auf eine Anfrage mehrerer Parlamentarier mitgeteilt haben. Strafzahlungen seien nicht ausgeschlossen, auf jeden Fall müsste die Schweiz aber bis jetzt angefallene Kosten tragen – diese seien nicht absehbar, berichtet der Sender.
Auch Portugal bekomme kalte Füße, schreibt das Magazin Politico. Gegenüber dem portugiesischen Medium PÚBLICO/Renascença hat Verteidigungsminister Nuno Melo den Kauf von F-35-Kampfjets jetzt ausgeschlossen – „wegen Trump“, wie das Blatt den Politiker der konservativen Partei CDS-PP zitiert. Nach Meinung von Politico eines der ersten deutlichen Beispiele, wie das diplomatische Gebaren Donald Trumps einen potenziellen Rüstungs-Kunden vergrätzt. Lissabon hat noch keinen Vertrag mit dem Hersteller Lockheed Martin beziehungsweise den USA unterzeichnet, stößt sich allerdings an der mittlerweile bezweifelten Verlässlichkeit der USA.
Putins künftiger Gegner: Die F-35 – der „Kampfjet, den jeder will“
Weil offenbar die 28 F-16 der portugiesischen Luftwaffe am Ende ihrer Tauglichkeit angelangt seien, hatte sich das Militär Mitte vergangenen Jahres zum Kauf der F-35-Kampfjets entschieden. Zum „Kampfjet, den jeder will“ apostrophiert Aaron Spray den bis zu 80 Millionen Euro teuren Flieger und zitiert Justin Bronks: „Trotz der höheren Betriebskosten hat sich jede einzelne Luftwaffe, die die F-35 direkt mit ihren europäischen und amerikanischen Konkurrenten vergleichen durfte, letztlich für die F-35 entschieden. Ihre Einsatzfähigkeit in umkämpften Lufträumen ist einfach eine Klasse für sich“, so der Analyst des britischen Thinktanks Royal United Services Institute (RUSI) aktuell im Magazin Simple Flying.
Allerdings gibt ESD-Autor Sidney Dean zu bedenken, dass Waffensysteme überlappend entwickelt würden; das hieße, während die F-35 gekauft würde, wären die Kampfjets der sechsten Generation bereits in Planung. „Tatsächlich schreiten sowohl das deutsch-französische Future Combat Aircraft System (FCAS) als auch das dreigliedrige (Italien, Großbritannien, Japan) Global Combat Air Programme (GCAP) weiter voran, ebenso wie die Next Generation Air Dominance (NGAD)-Programme der US Air Force und Navy, wie Dean schreibt; er glaubt, dass die europäischen beziehungsweise euro-asiatischen Konstruktionen die F-35 technologisch übertreffen und frühestens 2040 in Betrieb genommen würden.
Autonomie für Europa: Experte würde F-35 „streichen unter diesen neuen geopolitischen Bedingungen“
Dean wägt ab: Interoperabilität gegenüber einem Logistik-Risiko, wenn jede Nation die gleichen Teile benötigt; schnelle Lieferzeit gegenüber einem langwierigen Entwicklungsprozess, vorhandene Technik gegenüber individuellen Leistungswünschen, ein Miteinander der Militärs gegen ein gegeneinander der Politik – insgesamt ein kontroverses und komplexes Thema, für das keine klare Antwort zu finden ist. James B. Hecker sieht lediglich die Vorteile, wie European Security & Defense den Kommandeur der US-Luftstreitkräfte in Europa und Afrika sowie des Nato Allied Air Command zitiert.
„Übergreifende Wartungsvereinbarungen ermöglichen es den Nationen, ausländische Flugplätze und Wartungsressourcen zu nutzen und so ihre Kapazitäten über Grenzen hinweg zu erweitern. Unser Ziel ist es, dass jede F-35 auf jedem F-35-Stützpunkt landen, aufgetankt, repariert, wiederbewaffnet und wieder einsatzbereit ist.“
Thomas Enders ist gegenteiliger Meinung, wie er der F.A.Z. gegenüber geäußert hat – nicht nur aufgrund Trumps Verhalten gegenüber seinen Verbündeten, sondern aufgrund der galoppierenden technischen Entwicklung hin zu autonomen Systemen: Enders bezeichnet die Bestellung gegenüber der F.A.Z. als „überflüssig“, zumal zur Anschaffung der Maschine in zweistelliger Milliardenhöhe noch Milliarden an Wartungs- und Lebenszykluskosten hinzukämen, wie er sagt. „Er würde sie ,als Erstes streichen unter diesen neuen geopolitischen Bedingungen‘.“