Trotz über 2500 Fahrten um den Kochelsee: Kapitän wird nicht langweilig – „Bin mein ganzes Leben auf dem See“
Manfred Kneidl ist Kapitän auf dem einzigen Passagierschiff des Kochelsees. Rund 2500 Mal ist der 34-Jährige schon um den Kochelsee gefahren. Langweilig wird es ihm trotzdem nicht. Denn er ist viel mehr als nur Schiffskapitän.
Kochel am See – Die Sträucher rascheln vom Wind, die Äste knacken und die Steine reiben unter den Füßen. Verborgen in einer unscheinbaren Bucht am Kochelsee, neben einer Holzhütte, liegt die „MS Herzogstand“ im grünlichen Wasser. „Altjoch“ steht auf einem blauen Schild an Land. Es ist eine von fünf Haltestellen, an denen das Motorschiff auf dem Kochelsee anlegt.

Motorschifffahrt auf dem Kochelsee: „MS Herzogstand“ ist das einzige Passagierschiff
Manfred Kneidl arbeitet dort, wo andere Menschen Urlaub machen. Die Motorschifffahrt am Kochelsee ist ein Familienbetrieb, und Kneidl steuert das Schiff in dritter Generation als Kapitän übers Wasser. Er ist einer von insgesamt drei Fahrern. Die Familie führt den Betrieb seit 1978. In Altjoch, am Fuß des Walchenseekraftwerks, hat der Betrieb seinen ganzen Stolz abgestellt. Die „MS Herzogstand“ ist das einzige Passagierschiff auf dem Kochelsee und seit 2009 im Familienbesitz. Rund 100 Personen finden auf ihr Platz. Davor war die 1936 gebaute „Herzogstand“ im Einsatz.

Es ist ein warmer Samstagmorgen im Juni, und Manfred Kneidl steht auf dem Sonnendeck des Schiffs. Kneidl, 34, macht die „MS Herzogstand“ fit für den Passagierbetrieb. Er nimmt einen Schlauch und spritzt das Sonnendeck mit Wasser ab. In der vergangenen Nacht hat es geregnet. Auf dem grün lackierten Boden und unter den roten Sitzen haben sich Flecken breit gemacht. Mit einem Besen schrubbt er anschließend das Deck. Für Kapitän Kneidl gehört das jeden Tag zum Programm. Wenn die Besucher kommen, muss das Deck glänzen.
Manfred Kneidl hat seine neue Aufgabe an der „MS Herzogstand“ schnell angenommen
Manfred Kneidl ist viel mehr als ein Schiffskapitän. Er ist gleichzeitig Mechaniker, Gastronom, Entertainer, Naturfreund, Heimatkundler und Touristenführer. Eigentlich arbeitete Kneidl in der Fischzucht der Familie in Bichl. Aus familiären Umständen schulte er um, lernte innerhalb von wenigen Monaten, das Motorschiff zu steuern. Seine neue Aufgabe auf der „MS Herzogstand“ hat er schnell angenommen.

Nachdem das Deck geschrubbt ist, geht es für Kneidl in das Herzstück der „MS Herzogstand“. Der 34-Jährige öffnet eine rechteckige Luke im Heck des Schiffs. Dahinter führt eine schmale Leiter knapp anderthalb Meter in die Tiefe. Im Motorraum ist es schummrig und es riecht nach Treibstoff. Kneidl zieht die Messstäbe heraus und misst die Ölstände. Beim Motorcheck kommt es für ihn auch auf das Fingerspitzengefühl an. Zum Beispiel, wenn er prüft, ob alle Leitungen dicht sind. „Man muss sehr konzentriert sein“, sagt Kneidl. Die „MS Herzogstand“ soll schließlich mindestens so lange über den Kochelsee fahren wie ihre Vorgängerin. Also fast 100 Jahre. An diesem Tag gibt es keinen Grund zur Sorge. Der Kochler drückt auf einen schwarzen Knopf und startet damit den 115-PS-starken Motor, der mit einem lauten Rattern zum Leben erwacht.
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Ich bin mein ganzes Leben auf dem See, ich bin schon fast wie ein Fisch.
Oberhalb des Motorraums, im Inneren der „MS Herzogstand“, bekommt man von dem Getöse wenig mit. Das Schiff stammt aus dem Jahr 1998 und hat bereits eine Vergangenheit am benachbarten Staffelsee als „MS Seehausen“. Für die Gäste gibt es nicht nur einen Ausblick auf die Kulisse der Voralpen, sondern auch eine kleine Auswahl an Getränken. Der Kühlschrank ist aufgefüllt, die Kaffeemaschine warmgelaufen, und die Kühltruhe ist voll mit verschiedenen Eissorten.
Einmal um den See
Die Hauptsaison geht von Juni bis Ende September. Dann fährt die „MS Herzogstand“ von Dienstag bis Samstag viermal sowie an Sonn- und Feiertagen fünfmal täglich. Besucher mit Kinderwägen, Fahrrädern und Hunden können an Bord. Mit Rollstuhl ist der Zustieg ebenfalls möglich. Die Fahrt beginnt von der Anlegestelle an der Seepromenade in Kochel. Über das Franz-Marc-Museum und das Seehotel Grauer Bär geht es weiter nach Altjoch und Schlehdorf, ehe das Schiff nach Kochel zurückkehrt. Weitere Infos unter www.motorschifffahrt-kochelsee.de.
Es ist gegen 10.40 Uhr, und Manfred Kneidl ist nun gewappnet für den Betrieb. Er löst die Seile am Ufer, kraxelt für einen letzten Prüfgang außen um das Schiff herum und begibt sich hinter das Steuer. Neben dem Cockpit ist auch die Kasse und die Theke. Als er an einem Hebel zieht, macht das Schiff einen Ruck und die 35 Tonnen schwere „MS Herzogstand“ setzt surrend zurück. Nach einem Wendemanöver kneift Kneidl die Augen zusammen und nimmt Kurs in Richtung Kochel. Unterstützt wird er dabei von einem Autopiloten. Der nimmt dem Kapitän einen Teil der Arbeit ab.
Gemütlichkeit statt Massentourismus
Mit viel Schwung visiert der 34-Jährige knapp 20 Minuten später die Anlegestelle neben der Therme in Kochel an. „Manche Besucher rufen: Brems‘, brems‘!“, erzählt er und lacht. Die „MS Herzogstand“ mit ihrer flachen Front hat er aber jedes Mal sicher an die Stationen gebracht. Die jahrelange Übung eben. Kneidl ist schon an die 2500 Mal rund um den Kochelsee gefahren. „Ich bin mein ganzes Leben auf dem See, ich bin schon fast wie ein Fisch“, sagt er. Dabei hat der rund sechs Quadratkilometer große Kochelsee durchaus seine Tücken. Kneidl berichtet von plötzlichen Gewittern, starken Winden, Nebelschwaden oder Untiefen. Im Vergleich mit anderen Seen in der Region sei der Kochelsee allerdings eher ungefährlich, betont der Kapitän.

Nach und nach füllt sich das Motorschiff mit Touristen. Und für Kneidl beginnt die Arbeit erst so richtig. Die fünf Haltestellen fertigt er ruckzuck ab. Bloß keine Zeit verlieren, denn der Fahrplan ist eng getaktet. Auch Menschen im Rollstuhl und mit Hund können an Bord. Mit einem „Griaß eana Gott“ kassiert Kneidl vor der Weiterfahrt die Fahrkarten ab, serviert Kaffee und gibt einem älteren Ehepaar auf der Landkarte Tipps für einen Spaziergang. Er fühlt sich dabei sichtlich wohl, hat immer ein Lächeln und einen flotten Spruch auf den Lippen. „Mit den Leuten interagieren, macht einfach super viel Spaß“, sagt der 34-Jährige. Auf der „MS Herzogstand“ komme es auf die Gemütlichkeit an. Von Touristenmassen wie am Ammersee hält Kneidl nichts.
Geschichten von König Ludwig und dem Walchensee-Waller
Als etwas Ruhe eingekehrt ist, und sich das Schiff Richtung Altjoch bewegt, greift Manfred Kneidl erstmals zum Mikrofon. Eine kleine Melodie mit vier Tönen erklingt, und es erinnert an ein Videospiel. Kneidl berichtet kurz von der Geschichte des Walchenseekraftwerks. Im weiteren Verlauf der Fahrt erzählt er auch einige Mythen über Kochel und den See. Etwa, dass König Ludwig sein Märchenschloss Neuschwanstein eigentlich am Fuße des Herzogstands bauen wollte, aber keine Baugenehmigung erhielt. Oder vom Walchensee-Waller, den die Menschen nur mit Ringen aus Isar-Gold besänftigen konnten. Das erzähle man sich im Dorf eben, sagt Kneidl augenzwinkernd. Die Geschichten seien mit Ironie und Humor zu sehen.

Als die „MS Herzogstand“ von Schlehdorf wieder in Richtung Kochel fährt, kommt der Naturfreund in Manfred Kneidl heraus. Den Wandel der Jahreszeiten vom See aus zu beobachten, das begeistert den 34-Jährigen an seinem Beruf. Besonders schön findet er es im Herbst, wenn sich die Bäume an den umliegenden Bergen und im Tal golden färben.
Manfred Kneidl hat auch nach 2500 Fahrten um den Kochelsee nach Spaß an seinem Job
Zurück neben der Therme in Kochel ist die erste Runde für Manfred Kneidl zu Ende. Vier weitere werden noch folgen. Auch wenn es immer dieselbe Route ist, immer auf demselben Schiff und immer auf demselben See. Manfred Kneidl findet seinen Beruf nicht langweilig, im Gegenteil. „Jeder Tag ist auf gewisse Weise ähnlich, aber trotzdem reizvoll“, sagt er.
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Seit zwei Jahren fährt er nun hauptberuflich das Motorschiff auf dem Kochelsee. Und das soll auch noch ganz lange so bleiben. „Ich mache das hoffentlich, bis ich in Rente gehen kann“, sagt er. Dann fährt die „MS Herzogstand“ mit Manfred Kneidl langsam davon. Am Abend wird er sie wieder in der Bucht in Altjoch abstellen. Dort, wo das einzige Passagierschiff des Kochelsees sein Zuhause hat. (vfi)