Ich bin so frei: Bassbariton Alexander Grassauer im Porträt
Vier Jahre Gärtnerplatz und jetzt freie Wildbahn: Bassbariton Alexander Grassauer singt sich gerade nach oben. Im Sommer debütiert er schon mal in Bayreuth. Ein Gespräch über Komik, lautes Sprechen und die Callas.
Ein Mann zieht um. Ganz örtlich ist das zu nehmen, nach viereinhalb Jahren München hat Alexander Grassauer künftig seinen Lebensmittelpunkt in Wien, zusammen mit seiner Frau. Auch mit dem beruflichen Umbruch hat das zu tun, der gebürtige Steirer ist nun frei. Am Gärtnerplatztheater, wo er etwa als Alidoro in Rossinis „Cenerentola“, als Gefängnisdirektor Frank in Strauss‘ „Fledermaus“ oder als General Bumm in Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“ auf der Bühne stand, hat er seinen Ensemblevertrag gekündigt. Ein Risiko? Diese und nächste Saison ist der 28-Jährige schon mal gut gebucht. Und vieles deutet darauf hin: Da kündigt sich eine ziemlich respektable Karriere an.
Am 23. Februar, 16 Uhr, ist Grassauer im Aubinger Bergson mit einem Lied-Programm zu erleben. Schubert und Vaughan Williams, am Flügel sitzt Gerold Huber. So etwas soll nun öfter passieren: Lieder, die kamen während seiner Gärtnerplatz-Zeit etwas zu kurz, wie Grassauer findet. Bei der Schubertiade in Hohenems hat er immerhin schon eine Hör-Marke hinterlassen, dort ist er für Georg Zeppenfeld eingesprungen. „Freier Künstler, das war schon immer mein hehres Ziel“, sagt Grassauer. Die Zeit am Gärtnerplatz habe er dennoch genossen. „Man lernt im Studium vieles, aber nicht alles. Was fehlt, sind Bühnenhandwerk und eine gesunde Routine.“
Die Komik am Gärtnerplatz entdeckt
Was Grassauer am Gärtnerplatz auch für sich entdeckte, war das Komische. „Mein Herz hing immer an möglichst ernsten, traurigen, depressiven Rollen – auch wenn ich kein solcher Mensch bin.“ Schubert sei für ihn der Inbegriff dafür, dass Leiden etwas Wunderschönes sein kann. „Etwas sehr Österreichisches.“ Wenn Grassauer das alles erzählt, dann dröhnt er sein Gegenüber nicht zu. So wie andere aus dem Vokalkeller, die sich auch im Gespräch an ihrer Stimme berauschen. Er wolle ja nicht anmaßend sein und den Kollegen etwas unterstellen. „Aber es ist eine Klischeesache. Sonor und tragend muss meine Stimme auf der Bühne sein und nicht im Vier-Augen-Gespräch.“

Grassauer ist auch gar kein Bassist. Darüber kann er lang, ausführlich und begründet reden. Es habe ihm ja geschmeichelt, dass viele meinten: Wer einen solchen Priestersprecher wie in der Münchner „Zauberflöte“ singe, der müsse doch zum Sarastro befördert werden. Was Grassauer mitbringt: ein reiches, weites Timbre, gut fokussiert, dazu eine gewisse Agilität. „Oft werde ich eher als junger Bassist wahrgenommen. Volumen war immer da, auch dunkles Timbre – das ließ tiefes Stimmfach vermuten. Ich hatte aber nie Stärken in der Tiefe. Das seriöse Bassfach wie Sarastro könnte ich nie singen.“ Deshalb eben die Berufsbezeichnung: Bassbariton. Eine „Hybrid-Stimme“, wie Grassauer lächelnd anfügt. „Ein gesetzter Bariton in der Bass-Verpackung.“
Selbstbewusst und reflektiert spricht der 28-Jährige über all das. Was zur Singstimme passt: Man habe ihm immer attestiert, seit seinem Debüt mit 19 als Mozarts Masetto in Baden bei Wien, dass die Stimme reifer, mindestens zehn Jahre älter klinge. Erst Klassensprecher, dann Opernrampentier, diese Entwicklung hat Grassauer nicht durchlaufen. Musik spielte in seinem Elternhaus kaum eine Rolle. Sein erster Auftritt: ein Kindermusical in der Volksschule. „Die Leute fanden das entzückend. Meine Erinnerung war: schrecklich. Ich stand vor 500 Leuten und dachte, ich kriege einen Infarkt.“ Sein Musiklehrer am Gymnasium hat ihn bekehrt. Der setzte den verdutzten Alexander eines Tages vor den Computer, klickte auf YouTube Bachs Orgelwerke an – und um Grassauer war es geschehen. Ohne Unterricht brachte er sich die Stücke selbst bei. „In einer österreichischen Kleinstadt gehört man damit nicht zu den coolen Kids.“ Irgendwann bat er seine Mutter, ob er Klavierstunden nehmen dürfe – „und ich habe Repertoire gefressen“.
„Ich musste Zufriedenheit erst lernen.“
Das Ergebnis: fünf Jahre Gesangsstudium in Wien, Preise bei gleich mehreren Wettbewerben, zuletzt beim Emmerich Smola Wettbewerb des SWR, und ein erfolgreiches Vorsingen am Gärtnerplatz. Sich selbst bezeichnet Grassauer als „Sicherheitsdenker“. Soll heißen: Banker oder Beamter wäre vielleicht besser für sein Seelenleben gewesen. Und dann ausgerechnet ein Künstlerjob. Auch einer, in dem man sein Innerstes nach außen kehren muss und Beurteilungen ausgesetzt ist. Doch da hat sich einiges gefestigt. „Das mag jetzt bissl arrogant klingen: Ich habe noch nie eine Rückmeldung gekriegt, die mich überrascht hätte. Ich bin recht gnadenlos mit mir selbst. Was ich hart lernen musste, ist Zufriedenheit. Ich schaffe mittlerweile immer öfter, innere Ruhe zu bewahren.“
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Kann er ja auch, da kündigt sich einiges im Terminkalender an. Am Gärtnerplatz ist Grassauer weiter aktiv, etwa ab Mai n der Neuproduktion von Donizettis „Liebestrank“. In Bayreuth hat er vorgesungen, da debütiert er im Sommer als Hermann Ortel in den neuen „Meistersingern“ und als Melot im „Tristan“. Für all das, besonders für den Liedgesang bringt Grassauer Textbewusstsein mit, das wird auch sein Konzert im Bergson zeigen. Minutenlang kann er von der Callas schwärmen, von ihrer Arie in Verdis „La forza del destino“, die er „bestimmt tausend Mal“ gehört habe. „Jeder Ton ist so gestaltet, dass sie etwas sagen will. Ich höre schon im Klang, noch bevor ich das Wort verstanden habe, was sie mitteilen will.“ Genau das ist es, was sich Grassauer immer wieder vornimmt. „Und wenn Menschen mir als Rückmeldung gaben, dass sie jedes Wort verstanden haben, freut mich das mehr als das Lob schöne Stimme.“