„Welt-Situation hat sich verändert“: Mehr Krisen und Kriege erfordern mehr Seelsorge

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Der evangelische Peitinger Pfarrer Dirk Wollenweber ist jetzt Vorsitzender der Konferenz aller evangelischen Notfallseelsorger in Deutschland – und damit auch unter anderem Ansprechpartner für die Bundesregierung in Krisenfällen. © Hans-Helmut Herold

Dirk Wollenweber ist Vorsitzender aller evangelischen deutschen Notfallseelsorger. Im Interview spricht er über die wachsenden Krisenherde auf der Welt - und was das für die Seelsorge bedeutet.

Peiting – Der evangelische Pfarrer Dirk Wollenweber bekleidet jetzt ein weiteres wichtiges Amt in der Notfallseelsorge: Er wurde zum Vorstandsvorsitzenden der Konferenz der Evangelischen Notfallseelsorge in der EKD gewählt – und ist damit deutschlandweit der Ansprechpartner für Angelegenheiten der Notfallseelsorge.

Herr Wollenweber, vor zwei Jahren wurden Sie landeskirchlicher Beauftragter für Notfallseelsorge. Jetzt wurden Sie zum Vorsitzenden der Konferenz aller evangelischen Notfallseelsorger in Deutschland gewählt. Was bedeutet das für Sie?

Dirk Wollenweber: Erstmal bedeutet das für mich, dass wenn es in Deutschland eine Frage in den Belangen der evangelischen Notfallseelsorge gibt, ich gefragt werde.

Wer könnte denn dann zum Beispiel am Telefon sein?

Wollenweber: Die Evangelische Kirche in Deutschland, wenn es z.B. um Seelsorge in der Notfallseelsorge geht. Der Opferbeauftragte der Bundesregierung. Aber auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz. Und ich glaube, noch viele andere, die ich jetzt noch gar nicht kenne. Der Vorsitz ist ein Amt ohne Macht und Ressourcen, aber hoch gefragt, wenn es um Beratung in Belangen der psychosozialen Notfallversorgung geht.

Wenn Sie vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz sprechen: Um welche Art von Zusammenarbeit geht es da?

Wollenweber: Unter der Regie dieses Amtes ist die gesamte psychosoziale Notfallseelsorge strukturiert worden. Der Prozess war 2006 in Gang gesetzt worden. Die beiden großen Kirchen und die Hilfsorganisationen haben unter der Regie gut zusammengearbeitet. Wir haben vor zwei Jahren z. B. die Mindeststandards der Psychosozialen Akuthilfe herausgegeben. In diesen Standards ist definiert, was ein Kriseninterventionshelfer der Hilfsorganisationen und ein Notfallseelsorger der Kirchen können muss. In fast allen Bundesländern gibt es jetzt eine Struktur, in der die Kirchen und Hilfsorganisationen zusammenarbeiten.

Und was bedeutet das konkret?

Wollenweber: Die Welt-Situation hat sich verändert. Wir haben Krieg ganz in der Nähe auf unserem Kontinent. Naturkatastrophen kommen immer häufiger vor und verschonen auch Deutschland nicht. Infolgedessen wird die Psychosoziale Akuthilfe immer öfter benötigt – und da gehören die Notfallseelsorger dazu.

Kann der Bedarf noch abgedeckt werden?

Wollenweber: Ich bin sicher, dass das Angebot weiter ausgebaut werden muss. Die Konferenz der Evangelischen Notfallseelsorge erstellt jährlich eine Statistik. Deutschlandweit wurden im Jahr 2022 über 100 000 Menschen in Krisen begleitet. Das ist nicht gerade wenig. Vor allem nicht, wenn man weiß, dass die Notfallseelsorge in jeder Landeskirche unterschiedlich aufgestellt ist. Im Norden ist zum Beispiel jeder Pastor oder Pfarrer auch ein Notfallseelsorger. Bei uns in Bayern wird die Notfallseelsorge von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen der Kirchen verantwortet. Die neue Kirchenmitgliedsstudie zeigt, dass Kirche gerade in speziellen Seelsorgefeldern wahrgenommen wird. In der Form der Notfallseelsorge ist sie eine Institution, die in Krisen da ist.

Welche Dinge können bzw. müssen Sie im neuen Amt direkt anpacken?

Wollenweber: Die Konferenz der Evangelischen Notfallseelsorge arbeitet eng mit den Johannitern zusammen. Die brauchen begleitendes Personal, das sie in den Auslandseinsatz unterstützt.

Sprich: Pfarrer, die mit kugelsicherer Weste und Helm als Notfallseelsorger mit ins Krisengebiet fahren?

Wollenweber: Nein. Die Seelsorger werden für die Einsatzkräfte benötigt, wenn diese aus ihrem schwierigen Einsatz kommen. Wenn es mehr Krisen und Kriege gibt, reichen die aktuellen personellen Ressourcen nicht mehr aus. Wir sprechen hier auch von einer Psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte. Eigentlich ist das keine Notfallseelsorge.

Das kann wahrscheinlich nicht jeder evangelische Seelsorger per se . . .

Wollenweber: Tatsächlich müssen solche Seelsorger in so einem Einsatz Feldkompetenz in der Psychosozialen Akuthilfe mitbringen. Sie müssen darin geschult und erprobt sein, Einsatzkräfte mit Einsatzstress begleiten zu können. Davon gibt es nicht ganz so viele in Deutschland. Aber eben mehr Auslandseinsätze. Und: Die Kirche kann auch nicht unendlich Personal entsenden – schließlich gibt es immer weniger Pfarrer und Pfarrerinnen, Pastoren und Pastorinnen, und gleichzeitig immer weniger Geld.

Die Heimatzeitungen im Landkreis Weilheim-Schongau sind unter „merkur_wm_sog“ auf Instagram vertreten.

Was bedeutet die neue Beauftragung für Sie persönlich?

Wollenweber: Ich finde es spannend, in einer Zeit mit solchen Herausforderungen dieses Amt zu bekleiden. Die Kirche verändert sich personell wie finanziell. Die psychosoziale Situation in Deutschland und der Welt ebenfalls. Vieles Vertraute und Liebgewonnene gibt es nicht mehr. Die Themen Sicherheit, Zukunft und Frieden bekommen neue Akzente. Es stehen jetzt einige Sitzungen an. Dabei geht es um größere, deutschlandweite Krisen. Und dabei geht es auch um die Frage, welche Rolle die Kirche dabei spielen wird.

Die in Ihrer Funktion als Notfallseelsorger ja auch ganz eng mit Hilfsorganisationen, Feuerwehr, THW und auch der Polizei zusammenarbeitet . . .

Wollenweber: Ja, die Kirche ist nicht nur für die Bevölkerung und für Betroffene, Angehörige und Vermissende da, sondern auch Menschen, die ihren Dienst in belastenden Situationen tun. Diese können extrem verstörende Momente erleben, für die können sich Sinnfragen des Lebens auftun. Und genau da sind wir als Kirche mit all unserer – auch besonders weiter qualifizierten – Kompetenz gefragt. Mein Amt als Vorstandsvorsitzender wird sein, eine gute Zusammenarbeit mit all den Institutionen und Organisationen rund um Krisen und Notfälle zu pflegen und die Wahrnehmung der Notfallseelsorge zu stärken.

Das klingt alles nach einer sehr pragmatischen Kirche, die nahe bei den Menschen ist . . .

Wollenweber: Die Evangelische Kirche ist ein großer Apparat, synodal und demokratisch aufgebaut und in so vielen Bereichen der Gesellschaft tätig. Ich habe hier im Landkreis in meiner Arbeit als Notfallseelsorger Menschen erlebt, die noch nie oder wenig Kontakt zur Kirche hatten, aber dankbar waren, dass jemand aus der Kirche für sie da ist, der mit ihnen aushält, was passiert ist und fachmännisch hilft, aktiv das Schicksal wieder in die Hand zu nehmen und erste Schritte in einem neuen, völlig veränderten Leben zu gehen. Ich habe erlebt, wie Einsatzkräfte nach einer Nachbesprechung gut wieder in den Alltag zurückkehren konnten und eine Möglichkeit gefunden haben, belastende Momente aus dem Einsatz gut in ihre Lebensgeschichte zu integrieren.

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