Erdinger Festakt: Erst die Einbürgerung, dann der Meisterbrief
Das Willkommensfest des Landkreises zeigt: Die Neubürger sind stolz und haben viel vor
Hinterberg – „Wen soll ich jetzt bei der Europameisterschaft anfeuern?“, fragt Oleg Reznyk und lacht. 2010 kam er aus der Ukraine, jetzt ist er Deutscher. Er gehört zu den 621 Menschen, die in den vergangen zwei Jahren nach fast 1500 Beratungsgesprächen im Landratsamt eingebürgert worden sind. 102 davon sind zu Gast im Landgasthof Hinterberg (Dorfen), um dies mit dem Kreis zu feiern.
Zum Beispiel Mahmud Mohamad, der im Jahr 2016 aus Syrien floh – „mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer, angegriffen von einem türkischen Boot, gerettet von Griechen“, wie er erzählt. Inzwischen ist er 26 Jahre alt, hat seinen Gesellenbrief als Heizungsbauer in der Tasche. In drei, vier Jahren wolle er auf die Meisterschule gehen, sagt er. Jetzt aber will er seine Liebste nach Deutschland holen und dann in Taufkirchen heiraten.
Neben ihm sitzt Olena Scholz-Gnatyuk, schon seit 23 Jahren in Deutschland. Wartenberg sei längst ihre Heimat, sagt die 48-jährige Mutter von drei Kindern. Um die Staatsbürgerschaft habe sie sich aber erst 2018 aktiv bemüht. Und zwar nach einem ihrer regelmäßigen Besuche in ihrer ukrainischen Heimat. „Und da habe ich mir gedacht: Wenn ich hier aus irgendeinem Grund festsitze, habe ich keine deutschen Papiere und komme vielleicht nicht mehr zurück zu meinen Kindern.“

Ihr gegenüber sitzt die quirlige Anxhela Alinj aus dem Grenzgebiet zwischen Griechenland und Albanien, die lieber in deutschen Restaurants arbeitete als in griechischen, „damit ich die Sprache schneller lerne“. Und vor der 29-Jähringen reiht gerade Isa Mohammad seine sechs Kinder für das Foto auf, das gleich gemacht werden soll. Er ist einst mit seinem Sohn vor den Taliban aus Afghanistan geflüchtet. „Natürlich über die grüne Grenze, das hat zwei Jahre gedauert.“
Völlig unterschiedliche Lebenswege (siehe Kasten), was sie jedoch eint: Alle haben ihre Einbürgerungsurkunde dabei für das Erinnerungsfoto mit dem jeweiligen Bürgermeister und Landrat Martin Bayerstorfer, der den Neubürgern in der Begrüßung mitgibt: „Sie haben nun die Möglichkeit, das Leben in unserem, in Ihrem Land aktiv mitzugestalten. Allein Ihre Anwesenheit heute ist für mich ein schönes Zeichen, dass Sie genau dies wollen.“
Einige Beweggründe, warum sie nach Deutschland gekommen sind, „werden positiv, andere traurige sein. In jedem Fall werden Sie gründlich darüber nachgedacht haben, warum Sie Deutsche werden wollen“, sagt Bayerstorfer. Er freue sich darüber, „weil durch Sie unser Landkreis vielfältiger wird“. Es liege ihm sehr daran, „dass sich alle Menschen hier wohlfühlten – egal, woher sie kommen“. Und er appelliert: „Helfen Sie mit, dass wir eine starke Demokratie bleiben, die für Freiheit und Toleranz steht, in der Fremdenfeindlichkeit keinen Platz findet.“

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Apropos Fremdenfeindlichkeit: In den ersten Jahren sei das auf Baustellen schon krass gewesen, erzählt Mahmud Mohamad. Aber bei ihm habe sich das schnell gelegt. „Im Gegensatz zu einem Kollegen, aber der spricht auch nach zehn Jahren noch kein Deutsch“, meint Mohamad und erzählt dann eben die andere Geschichte: die von seinem Chef und dessen Familie. „Die haben sich von Anfang an um mich gekümmert, haben mir eine erste Wohnung besorgt, dann eine andere. Sie haben mich in der Lehrzeit unterstützt.“ Das Ergebnis: „Meinen Abschluss habe ich mit einer Zwei gemacht“, erzählt er stolz, schnappt sich seine Urkunde und lässt sich noch mal mit dem Landrat fotografieren. Heute ist er in Feierstimmung. Übertreiben will er aber auch nicht. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viel Arbeit wir auf den Baustellen haben“, sagt er.
Ob er irgendwas vermisst in Deutschland? „Ein bisschen den Familiensinn“, der sei in Syrien ausgeprägter. Aber sonst? „Eigentlich nichts.“ Anxhela Alinj geht’s ähnlich: „Griechische Strände hast du natürlich nicht, aber dafür ist die Landschaft schöner, gepflegter“, meint die 29-Jährige. Olena Scholz-Gnatyuk fällt noch was ein: „Die Leute hier tanzen viel zu wenig.“ Dabei wäre das heute der beste Grund dafür. Bleibt noch Oleg Reznyks Eingangsfrage, die er selbst beantwortet: „Ich drücke natürlich auch Deutschland die Daumen. Vielleicht ein bisschen mehr der Ukraine.“
Neun Menschen, neun Leben
Mahmud Mohamad stammt aus Afrin (Syrien) – „nicht weit weg von Aleppo“, wie der 26-Jährige sagt. Mit 14 wurde er von seinen Eltern getrennt, schlug sich drei Jahre in der Türkei durch. Eine Woche vor seinem 18. Geburtstag kam er nach Deutschland. Seine Eltern sah er seit zehn Jahren nicht mehr.
Olena Scholz-Gnatyuk kam vor 23 Jahren aus dem Südwesten der Ukraine als Studentin und Au-Pair-Mädchen einer Zahnarzt-Familie nach Bayern, verliebte sich, lebt seit vielen Jahren in Wartenberg, ist dreifache Mutter, Erzieherin in Berglern und gibt Ballettunterricht. Ihre Mutter und ihr Bruder leben in der Heimat.
Isa Mohammad floh aus Afghanistan vor den Taliban, damals mit seinem kleinen Sohn. Inzwischen ist die Familie angewachsen. Er und seine Frau haben sechs Kinder. In ganz Erding und Umgebung ist er bekannt als einer der besten Fahrradmechaniker. Auf seine abgeschlossene Lehre ist er entsprechend stolz. Der 33-Jährige arbeitet in einem Radsportgeschäft und repariert ehrenamtlich alte Räder für Flüchtlinge.
Anxhela Alinj kam 2013 aus Griechenland, hat noch immer Kontakt mit ihren Klassenkameraden aus Albanien und ist stolz auf ihre Ausbildung als Speditionskauffrau. Deutschland empfindet sie als „Land des Rechts. Jeder ist gleichberechtigt. Du kriegst alle Chancen, wenn du die Sprache lernst. Und man fühlt sich hier auch als Frau sicher.“
Oleg Reznyk kam 2010 aus Kiew nach Hamburg. Seit drei Jahren lebt er in Bayern, wo es ihm noch deutlich besser gefalle als im Norden, wie er sagt. „Nur die Sprache ist hier noch einmal eine andere Herausforderung“, meint der Kältemonteur. Seit eineinhalb Jahren engagiert sich der 58-Jährige mit seiner Frau Olga für den deutsch-ukrainischen Verein und organisiert Ausflüge für die Kinder.
David Manzo Gómez ist 36 Jahre alt und im Mai 2015 nach Deutschland gekommen. In seiner Heimat Mexiko hat der gelernte Informatiker seine Frau, eine Deutsche, kennengelernt und ist wegen der Liebe hierhergezogen. „Ich fühle mich gut hier in Deutschland. Die Kultur und Sprache gefallen mir sehr, auch wenn Deutsch nicht die einfachste Sprache zu lernen ist.“ Heute lebt er zusammen mit seiner Frau in Erding.
Familie Khaleed, bestehend aus Vater Iby, Mutter Dilveel sowie ihren zwei kleinen Söhnen Sepp und Franz, kommt aus dem Nordirak. Iby Khaleed lebt bereits seit 1999 in Deutschland und hat sich im Bereich des Landschaftsgartenbaus selbstständig gemacht, seine Frau ist 2017 ins Land gekommen. „Wir haben die Motivation, mehr in unserem Leben zu erreichen, und sind daher hier sehr glücklich und zufrieden.“ Aus diesem Grund haben die beiden Söhne auch bayerische Vornamen bekommen. Die Familie lebt in Dorfen.
Familie Singh kommt aus Punjab in Indien und lebt seit 2011 in Deutschland. „Wir fühlen uns hier sehr sicher und wohl. Diese Veranstaltung ist schön, und wir sind stolz darauf, als deutsche Staatsbürger daran teilzunehmen“, so die Familie.
Marta Schreiber ist Steuerfachangestellt in Erding und kam einst aus Russland nach Deutschland. Vor allen Gästen erzählt sie auf der Bühne von ihren Erfahrungen und sagt: „Ich freue mich, dass heute die Einbürgerung so vieler Menschen gefeiert wird. Es ist wichtig, dass man den Menschen aus der eigenen Heimat hilft, falls es Sorgen und Probleme gibt.“ imo/pir
Einbürgerungen
Rumänien 92, Syrien 50, Ungarn 41, Polen 40, Türkei 36, Bulgarien 34, Afghanistan 32, Ukraine 30, Kroatien 24, Italien 22, Kosovo 20, Indien 17, Griechenland 13, Irak 12, Slowakei 12, Iran 11, Tschechien 10, Pakistan 9, Staatenlos, Mazedonien, Thailand je 7, Brasilien, Tunesien je 6, Kenia, Spanien je 5, Ghana, Äthiopien, Marokko, Südafrika je 4, Peru, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Niederlande je 3, Ecuador, Nigeria, Österreich, Philippinen, Russland, Schweden, Somalia, Aserbaidschan, China, Vietnam, Dänemark je 2 sowie Honduras, Indonesien, Kambodscha, Kuba, Litauen, Malaysia, Mexiko, Mongolei, Nepal, Portugal, Ägypten, Albanien, Algerien, Argentinien, Israel, Jordanien, Kasachstan, Kongo, Madagaskar, Moldawien je 1.