Am 28. November hätte Henry Hazlitt (1894–1993), einer der klarsten klassischen Liberalen des 20. Jahrhunderts, seinen Geburtstag gefeiert. Kaum eine ökonomische Einsicht ist heute so aktuell wie seine einfache, aber radikale Grundregel: Beurteile Politik nicht nach dem, was man sieht – sondern nach dem, was man nicht sieht. Also nach den verdrängten Alternativen, den unsichtbaren Kosten und den langfristigen Folgen. Hazlitt hat dieses Bild nicht erfunden; es stammt von Frederic Bastiat, aber er hat es populär gemacht – und es ist zeitlos richtig.
Die unsichtbaren Kosten der Rentenversprechen
Auf die deutsche Politik übertragen scheitert diese derzeit in nahezu allen großen Zukunftsbereichen – jüngst wieder in der Rentenpolitik. Dort zeigt die Politik ausschließlich das Sichtbare: Haltelinie 48 %, Mütterrente, Rente mit 63 oder "Respekt vor Lebensleistung". Das klingt wie Sicherheit in unsicheren Zeiten.
Doch was man nicht sieht, sind die gigantischen Lasten hinter diesen Versprechen. Jeder Prozentpunkt Rentenniveau bedeutet Milliarden an künftigen Beiträgen oder Steuern. Jeder politische Eingriff erhöht die Kosten der Arbeit, senkt die Nettolöhne und bremst Investitionen. Jede zusätzliche Umverteilung drückt private Kapitalbildung und verhindert Eigentum – die Grundlage echter Altersvorsorge.
Kapitalmarkt: Deutschlands unsichtbare Schwäche
Was man ebenfalls nicht sieht: Unsere wachsende ökonomische Schwäche hängt eng mit einem unterentwickelten Kapitalmarkt zusammen. Auch das ist eine Folge der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung.
Ein System, das von der Hand in den Mund lebt, kann keine großen Kapitalsammelstellen hervorbringen und damit keinen starken Kapitalmarkt. Ohne große Anleger entstehen keine international bedeutenden Börsenplätze. Doch gerade diese sind entscheidend für Wachstumsfinanzierung, Innovation und Risikokapital für junge Unternehmen.
Hier zeigt sich eine der zentralen Schwächen Deutschlands im internationalen Vergleich. Zwar ist Deutschland nach den USA und China die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, doch bei den größten Börsenplätzen liegt die Deutsche Börse abgeschlagen auf Platz 11 – zuletzt sogar überholt von Saudi-Arabien. Der US-Kapitalmarkt ist rund 30-mal größer.
Während in den USA über 70 Prozent der Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt erfolgt, sind es in Deutschland weniger als 20 Prozent; 80 Prozent laufen über Banken. Der US-Markt für Unternehmensanleihen umfasst über 13 Billionen US-Dollar, in Deutschland dagegen nur etwa 500 Milliarden. 58 Prozent der US-Amerikaner besitzen Aktien, in Deutschland lediglich 18 Prozent. Amerikanische Pensionsfonds verwalten 25 Billionen Dollar, Deutschland kommt auf rund 400 Milliarden. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Funktionierender Kapitalmarkt für Marktwirtschaft unverzichtbar
Noch dramatischer: Die Kapitalmarkttiefe – also die Größe des Kapitalmarktes im Verhältnis zur Gesamtwirtschaft – ist in Deutschland in den letzten 25 Jahren sogar relativ geschrumpft, während die USA weiter wachsen. Kein Wunder also, dass Start-ups in Deutschland kaum Finanzierung finden und viele gute Ideen ins Ausland abwandern. Und es überrascht ebenso wenig, dass wir seit drei Jahren kein Wachstum mehr haben und zuvor jahrelang unterdurchschnittlich gewachsen sind.
Ein funktionierender Kapitalmarkt ist unverzichtbar für eine Marktwirtschaft. Er bringt Kapitalgeber, die Risiko tragen wollen, mit Unternehmen zusammen, die Investitionen tätigen müssen. Doch die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarktes verhindert dies. Die Deutsche Börse ist zu klein, um attraktive Börsengänge anzuziehen, denn die großen Kapitalgeber sitzen in Übersee oder Asien. Birkenstock, CureVac und BioNTech sind nur die jüngsten deutschen Beispiele für US-Börsengänge.
Die mangelnde Attraktivität des deutschen Kapitalmarktes ist eine der größten Standortschwächen. Finden Unternehmen hier kein Kapital, werden sie mittelfristig auch ihre Standorte dorthin verlagern, wo die Entscheidungen getroffen werden. All das hängt eng mit dem umlagefinanzierten Rentensystem zusammen – und ist das, was man nicht sieht. Deutschlands ökonomische Schwäche ist auch eine Folge fehlender Kapitalbildung. Genau deshalb ist eine Aktienrente – mehr Kapitalbildung in Arbeitnehmerhand – so entscheidend.
Warum Subventionen keine Lösung sind
Während Deutschland diesen strukturellen Fehler ignoriert, setzt die Politik auf das Sichtbare: Subventionen in gigantischem Ausmaß. Sie stammen auf Bundesebene vor allem aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Es handelt sich nicht um einen Staatsfonds, in dem Geld für die Zukunft angelegt wird, sondern um ein "Sondervermögen" – treffender: Sonderschulden. 211 Milliarden Euro sind für 2024 bis 2027 vorgesehen; weitere 100 Milliarden werden nach der Änderung der Schuldenbremse aufgenommen. Insgesamt also 311 Milliarden Euro für Industrie-Subventionen.
Doch selbst wenn all dies funktionieren sollte: Die strukturelle Schwäche des Kapitalmarkts beseitigt es nicht. Denn die Marktkapitalisierung der Unternehmen an der New York Stock Exchange und der Nasdaq beträgt zusammen 62.000 Milliarden US-Dollar – die Unternehmen an der Deutschen Börse kommen auf gut 2.000 Milliarden. Das sind gerade einmal 3 Prozent. Und der gesamte KTF entspricht nur etwa 0,5 Prozent dieser US-Kapitalmarktmacht. Das sind im Vergleich die berühmten "Peanuts".
So kann man keine kluge Wirtschaftspolitik machen. Die Zahlen zeigen klar: Deutschland braucht etwas anderes als immer neue Umverteilung und Subventionen. Es braucht Kapitalbildung, Eigentum in Arbeitnehmerhand und einen funktionierenden Kapitalmarkt, der Wachstum und Fortschritt erst möglich macht. Im Sinne von Henry Hazlitt: "Die Institution des Privateigentums ist die wichtigste Garantie der Freiheit."
Über Frank Schäffler
Frank Schäffler ist stellvertretender Vorsitzender der FDP in Nordrhein-Westfalen und seit Mai 2025 Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Er war für die Partei von 2005 bis 2013 und von 2017 bis 2025 Abgeordneter im Bundestag. Zudem ist Geschäftsführer des Berliner Thinktanks Prometheus - Das Freiheitsinstitut.