Deutschlands Zukunftsfähigkeit erhalten und den sozialen Frieden wahren: Irgendwie hofft man immer noch, dass unsere Volksvertreter vor allem diese hehren Ziele verfolgen. Wie naiv diese Haltung ist, hat zuletzt Bundeskanzler Friedrich Merz auf dem Deutschlandtag der Jungen Union klargemacht.
Dass die Revoluzzer dort das frisch geschnürte Rentenpaket ablehnen, hat den CDU-Vorsitzenden so erbost, dass er die Abtrünnigen noch einmal eindringlich vor den Folgen einer Senkung des Rentenniveaus warnte: „Damit, liebe Freundinnen und Freunde, gewinnen wir keine Wahlen!“
"Am Puls": Bei dieser ZDF-Talkrunde bekommt man Puls!
Die nächste Wahl gewinnen: Wie stark diese Fixierung das politische Denken und Handeln beeinflusst, zeigte die ZDF-Debattenrunde "Am Puls" am Dienstagabend. Rente, Wohnen, Wirtschaft, Lebenshaltungskosten: Vertreter aus Bundesregierung und Opposition sollten Lösungen präsentieren, wie sie den Tanker Deutschland um die massiven Eisberge unserer Zeit manövrieren wollen. Oder wie Moderator Christian Sievers sagte: "Wir erwarten Antworten".
Natürlich vergeblich. Oder anders ausgedrückt: Keine Antworten sind auch eine Antwort. Denn was in der ZDF-Runde am Abend deutlich wurde, war vor allem die aktuelle Unfähigkeit der Politik, über die Wünsche ihrer Wähler und damit über den Tellerrand hinauszuschauen. Wer allein mit Blick auf die nächste Wahl regiert, entwickelt keinen Weitblick.
Klientelpolitik: Allen wohl und keinem weh
Natürlich haben die vom ZDF fürs Wohnzimmer-Panel ausgewählten Menschen viele Anliegen, die naheliegend und verständlich sind: Der Alltag soll wieder günstiger werden und die Renten sicher bleiben. Arbeit soll sich wieder lohnen und die Familiengründung kein Armutsrisiko mehr sein. Die Steuern sollen sinken, die Sozialbeiträge auch und die Stromkosten sowieso. Damit das Leben in Deutschland sich wieder so anfühlt wie früher.
Die Politikerinnen und Politiker bei "Am Puls" packen sofort alles Denkbare auf den Gabentisch. Arbeitsministerin Bärbel Bas von der SPD will kostenfreie Mittagessen in Kitas und Schulen, Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) günstigen Wohnraum und niedrige Energiepreise. AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla würde lieber die CO2-Bepreisung als die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abschaffen. Und Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen, verkündet gleich mal: "Die Preise müssen sinken für alle Menschen."
Die wahre Frage: Kann sich Deutschland noch solche Politiker leisten?
Können wir uns Deutschland noch leisten? So langsam wird klar: Das ZDF hat die Frage falsch gestellt. In Wahrheit geht es doch darum: Kann sich Deutschland noch solche Politiker leisten?
Klientelpolitik ist immer Reförmchen-Politik: hier eine Mütterrente, da ein Hauch Mehrwertsteuerentlastung für die Gastronomie. Die groß angekündigten Investitionen, für die ein historisches Sondervermögen von den kommenden Generationen geborgt wurde, bleiben stattdessen aus. Visionärer Gestaltungswille? Fehlanzeige.
Frustrierte Gen Z: "Die Politik gibt einfach keine Antworten“
Das Fatale dabei: All die kleinen, aber in der Summe dann doch erschreckend teuren Geschenke werden von den Bürgern gar nicht gewertschätzt. Nur noch 49 Prozent der Deutschen glauben, dass die Politik die aktuellen Probleme lösen könne, so die aktuelle "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung. In der ZDF-Talkrunde bringt das der 20-jährige Lokführer Fabian auf den Punkt: "Die Politik gibt einfach keine Antworten".
Dass die Wählerinnen und Wähler mitunter weiterdenken als die Gewählten, zeigt sich in manchen Äußerungen des ZDF-Wohnzimmer-Panels. Etwa, wenn die Unternehmerin Katharina Rebstock sich gegen kurzfristige und kleinteilige „Feuerwehrlösungen“ positioniert und stattdessen Entlastungen fordert, die langfristig und nachhaltig wirken.
Linken-Politikerin wettert gegen die „Heiopeis“ von der Jungen Union
Andere hingegen schicken Herzchen- und Beifall-Emojis, sobald ein Politiker von Gratis-Kinderbetreuung, einem frühen Rentenbeginn oder der Mietpreisbremse spricht. Oder wenn sich Ines Schwerdtner, Vorsitzende der Linken, über die "Heiopeis" in der Jungen Union echauffiert, die „noch nie gearbeitet haben in ihrem Leben“, aber nun den Boomern die Rente kürzen wollen.
Der Münchner Student Harris Hamdan, geboren und aufgewachsen in Syrien, hat früh gelernt, dass man sich als Bürger nie vollständig auf den Staat verlassen sollte. 500 Euro legt er monatlich für seinen Ruhestand beiseite, zwei Minijobs neben der Uni machen das möglich. Und natürlich die Tatsache, dass er sich wenig gönnt: "Sparen ist mit Verzicht verbunden".
Eine Weisheit, die man allen Teilnehmenden des ZDF-Talks ins Poesiealbum schreiben möchte – sowohl den Regierenden als auch denen, die regiert werden.