Die Fakten am Morgen
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Dank Friedrich Merz gibt es in Berlin mittlerweile fast mehr Gipfeltreffen als relevante Entscheidungen. Einen Auto-Gipfel veranstaltete er schon und einen Stahl-Gipfel auch. Kita- oder Weihnachtsmarkt-Gipfel werden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Heute allerdings wird in Berlin erst mal der Gipfel der Naivität bestiegen.
Es geht um Europas digitale Souveränität. Also um etwas, das für uns noch weiter entfernt ist als für die Union eine Verabschiedung ihres Rentenpakets. Fast 1000 Fachleute aus der ganzen EU werden auf dem EUREF-Campus erwartet. Merz und Emmanuel Macron werden Reden halten. Dabei geht hierzulande längst nichts mehr ohne eine Reihe amerikanischer Konzerngiganten, die unser Leben dominieren.
Als Trump die Spielregeln änderte
Schon wenn sich allein die Gipfel-Organisatoren heute auf Hightech aus Europa verlassen müssten, käme überhaupt niemand, weil dann auch Taxis und Züge stillstünden. Längst geht hierzulande nichts mehr ohne diese Riesen. Oder können Sie sich Ihren Alltag noch ohne Microsofts Word oder PowerPoint, ohne ChatGPT, Google, iPhone oder Amazon vorstellen?
Die Amerikaner haben unter der Oberfläche ihrer Software-Produkte längst die komplette digitale Wertschöpfungskette erobert: Chipdesign, Server, Cloud-Plattformen, KI-Modelle, Online-Marktplätze – alles in US-Hand. Die Marktbeherrschung geht weit übers Finanzielle hinaus.
Schon in seiner ersten Amtszeit ließ US-Präsident Donald Trump im Jahr 2018 den „CLOUD Act“ ratifizieren. Das Gesetz verpflichtet seither all seine Tech-Konzerne, auf Anfrage der US-Sicherheitsbehörden auch ihre im Ausland gewonnenen Daten weiterzugeben. Es ist ihnen nicht einmal erlaubt, ihre Kunden darüber zu informieren.
Google kündigte gerade Milliarden-Investitionen an
Gerade erst ließ sich Google dafür feiern, in der Region Frankfurt 5,5 Milliarden Euro in den baldigen Bau und die Erweiterung großer Cloud-Rechenzentren zu investieren. Ob der bei der Pressekonferenz mitklatschende SPD-Finanzminister Lars Klingbeil vom CLOUD Act wusste, kann ich nicht sagen. Aber Telekom-Chef Tim Höttges dürfte längst ahnen, worauf er sich gerade in München einlässt.
Dort soll demnächst Baubeginn sein für eine weitere KI-Fabrik. Der US-Chipriese Nvidia steuert 10.000 Superchips bei. Wie super die wirklich sein werden, wird man sehen. Denn Trump hat dem Nvidia-Chef Jensen Huang jüngst verboten, etwa an China seine neuesten Blackwell-Chips zu verkaufen, die der Konkurrenz um Jahre voraus sein sollen. Sind solche deutschen Projekte noch erfolgreiche Standortpolitik oder schon der nächste Sargnagel für unsere Cybersicherheit?
„Unsere Abhängigkeit ist vielschichtig bis total“
Über echten Datenschutz redet Europa bislang wie eine KI über Gefühle. Insofern ist es zwar durchaus zu begrüßen, dass auch die hiesige Politik nun aufwacht. Aber mehr als ein desaströses Lagebild dürfte der heutige Digitalgipfel in Berlin nicht liefern können.
„Unsere wirtschaftliche Abhängigkeit ist vielschichtig bis total“, sagte mir jüngst der deutsche Tech-Milliardär Ralph Dommermuth (1&1, Ionos etc.) vor einigen Tagen. Und was, wenn diese Abhängigkeit mal wirklich missbraucht wird? Die Folge seien schon jetzt sichtbar, so Dommermuth: „Wir verlieren immer größere Teile der digitalen Wertschöpfung.“
Warum vertraut selbst die Bundeswehr Google?
Jahrzehntelang wurde einfach „weggeschaut“, so der Tech-Experte. „Jetzt sind die US-Konzerne übermächtig und arrangieren sich mit Trump, der ihre Vormachtstellung vehement verteidigt. Der Geist ist aus der Flasche.“
Da wäre schon viel gewonnen, wenn die EU-Staaten sich heute wenigstens aufraffen würden, ihre eigene digitale Infrastruktur mal hiesigen Anbietern anzuvertrauen, die ja durchaus eigene Software-Lösungen anbieten. Aber da herrscht bislang eine gewisse intellektuelle Trägheit.
Die Bundespolizei zum Beispiel speichert die Videos der Bodycams ihrer Beamten in einer Amazon-Cloud. Und die Bundeswehr ist gerade stolz wie Bolle, dass sie bis 2027 eine neue Cloud-Infrastruktur bekommt. Von wem? Google.
Wie gesagt: Der Gipfel der Naivität ist in Berlin heute erreicht. Es kann jetzt eigentlich nur besser werden.
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