Die SPD-Vorsitzende Bärbel Bas ist sichtlich erleichtert, dass man zu Kompromissen komme, "auch wenn wir uns gelegentlich streiten.“ Dabei wendet sie sich dem rechts neben ihr stehenden CSU-Chef Markus Söder zu, der leise murmelt: „Heute nicht.“ Bas stimmt ihm lachend zu: "Nee! Heute noch nicht.“
Söder verkündet „Economy first“ und beschwört die neue „Power“
Friedrich Merz trägt die Einigungen in schnellen Worten eher emotionslos vor: Die Industrie bekommt einen billigen Industriestrom, das Land wird mit neuen Gaskraftwerken vor der "Dunkelflaute“ gerettet und die Luftfahrtbranche durch die Senkung von Ticketsteuern.
Wochenlange Boxkämpfe und Streits zwischen Union und SPD gingen diesem Abend voraus und jetzt ein freundliches Schattenboxen. Dabei könnten vier Politiker kaum unterschiedlicher sein: Söder schwärmt angelsächsisch von "Economy first“ und verkündet: Trotz aller Unterschiede gelte: "Wir versuchen, eine neue Power zu entwickeln.“
Dann schwärmt Söder noch vom neuen "Deutschlandfonds“ und sagt, das werde der Bundesfinanzminister Klingbeil gleich viel besser erklären. War Söders Lob war ein versteckter Punch?
Denn der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil und Bundesfinanzminister unternimmt gar nicht erst den Versuch zu erklären, was genau sich hinter dem großen Wort "Deutschlandfonds“ verbirgt und wie viel Geld man dafür einplant. Geht es um reine Fördermittel oder Steuererleichterungen oder private-öffentliche Partnerschaften?
Der internen Vorlage des Koalitionsausschusses, die FOCUS online vorliegt, lässt sich immerhin entnehmen, dass der Fonds auf ein Fördermittelmodell setzt: "Er mobilisiert mit gezielten öffentlichen Mitteln privates Kapital, um zentrale Zukunftsinvestitionen wirksam zu finanzieren.“
Und: "Über die KfW sollen Programme aufgesetzt werden, die zur Mobilisierung privaten Kapitals unterschiedliche Instrumente nutzen.“ Der Fonds soll einzelne Branchen wie den Energiesektor, die Verteidigungs- und "Dual Use“-Branche fördern, Tech-Start-ups, aber auch besondere Rohstoffgewinnung stützen.
Kurzum: Deutschland soll resilienter und unabhängiger gemacht werden. So weit so gut. Ob der "Deutschlandfonds" über klassische Mittel der Zuschussfinanzierung hinausreicht und vielleicht intelligentere Wege der Wirtschaftsertüchtigung beinhaltet, bleibt abzuwarten.
Erste Kritik aus der Wirtschaft: „Schmerzmittel statt Reha“
Aber wie kommen die Beschlüsse bei der Wirtschaft an? Thorsten Alsleben von der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ ist insbesondere von der Industriestrom-Senkung enttäuscht, wie er gegenüber FOCUS online sagt.
Der Industriestrompreis für nur drei Jahre - also von 2026 bis 2028 - bringe "keine Planungssicherheit“: "Da investiert keiner neu. Das hilft nur den bestehenden Unternehmen, noch etwas länger durchzuhalten. Ein Investitionsbooster ist das nicht.“
Das sei eher ein "Schmerzmittel als eine Reha“, um die Ursachen einer schlechten Energiepolitik zu verdecken, so Alsleben. Insgesamt zielten die Maßnahmen zu sehr auf Einzelbranchen, und das genüge nicht.
"Wir erleben, dass industrielle Produktion volkswirtschaftlich durch Pflegeheime ersetzt wird.“ Alsleben wird nun sehr deutlich: Es sei "Wahnsinn“, in welcher rapiden Geschwindigkeit "der deutsche Industriebereich abbrennt und damit verbunden der deutsche Außenhandel abbrennt“.
BDI-Präsident: „Das deutsche Wirtschaftsmodell zerbricht gerade“
Noch drastischer hatte sich am Morgen der Präsident des "Bundesverbandes der Deutschen Industrie“ (BDI), Peter Leibinger, im Deutschlandfunk geäußert. Das deutsche Wirtschaftsmodell sei gerade dabei, zu zerbrechen.
In Ministerien und Fraktionen sei diese Wahrheit noch nicht angekommen. Leibinger glaubt nicht, dass der angekündigte "Herbst der Reformen“ komme, denn für echte Reformen fehle in Deutschland eine parlamentarische Mehrheit.
Der Vizekanzler sagt einen bizarren Mantra-Satz
Die Koalition dagegen beschwört ihre Erfolge. Bei der Pressekonferenz am frühen Abend sagte der SPD-Co-Vorsitzende und Bundesfinanzminister: "Ich halte alle Probleme dieses Landes für lösbar. Wenn man das will, kann man das erreichen.“
Sein Satz enthält ein bizarres Mantra für einen Vizekanzler, der doch ohnehin auf das Wohl des deutschen Volkes eingeschworen ist. Er hat schon von Amts wegen Berufsoptimist zu sein. Es sei denn, die Lage ist mehr als desolat.
Eine Kanzler-Antwort sorgt für Irritation
Für Irritation sorgte dann noch eine Antwort von Kanzler Merz auf die Reporterfrage, ob man denn am späteren Abend noch eine Einigungen zu den Themen Rente und Verbrenner-Aus zu erwarten habe. Er bejahte. Später wurde verbreitet, es sei ihm um "Verständigung", nicht Einigung gegangen.
Als Ausblick auf die womöglich noch lange Nacht sagt Lars Klingbeil am Ende der Pressekonferenz ungewohnt launig: "Wir haben noch einen netten Abend vor uns, so häufig sehen wir uns ja nicht, zu viert.“
So nett kann der Abend aber nicht gewesen sein, denn die Woche wird überragt von dem großen Streitthema Rentenreform, ein Thema, das das Zeug hat, mit dem Kanzler auch gleich die Koalition zu stürzen. Wie FOCUS online erfuhr, war zunächst offen, ob man über die heikle Materie überhaupt spricht.
Die Koalition hatte die Reform bereits beschlossen. Die "Junge Gruppe" in der Unionsfraktion droht, sie im Bundestag zu blockieren, was sie mit 18 Mitgliedern auch könnte.
Der Versuch, eine Kompromiss-Formel zu finden, war nach FOCUS online-Informationen schon am frühen Nachmittag im Bundestag gescheitert. So wird das Thema Rentenreform wieder zur Chefsache.