FOCUS online: Herr Weß, Sie haben sich intensiv mit dem Förderprogramm "Demokratie leben!" auseinandergesetzt. Haben Sie verstanden, wie diese Förderung funktioniert?
Ludger Weß: "Demokratie leben!" ist mir und der Initiative Transparente Demokratie noch immer ein Rätsel. Denn das Programm besteht aus fünf unterschiedlichen Bereichen, die wiederum in unterschiedlichste Gruppen unterteilt sind. Mit Abstand am problematischsten erscheinen uns die rund 330 "Partnerschaften für Demokratie", die im ganzen Land verteilt sind. Dort entscheiden Hunderte von Ämtern und NGOs, wer letztendlich Fördergelder erhält.
Was sind denn die "Partnerschaften für Demokratie"?
Weß: Das ist einer von fünf organisatorischen beziehungsweise thematischen Bereichen in "Demokratie leben!". Die "Partnerschaften" sollen lokale Projekte fördern, die den Zusammenhalt stärken und Minderheiten Gehör verschaffen sollen. Manchmal sind das sinnvolle Initiativen, manchmal ist aber völlig unklar, warum ein Projekt förderwürdig sein soll. Grundsätzlich habe ich nichts gegen die Förderung einzuwenden. Aber der bürokratische Aufwand dafür ist gigantisch.
40 Gruppierungen entscheiden über Förderung – allein in Neukölln
Nehmen wir an, eine Demokratie-Initiative aus Berlin-Neukölln will Geld aus dem Fördertopf. Wer wird über den Antrag entscheiden?
Weß: Zum einen sind das zahlreiche Ämter. Unter anderem ist der Fachbereich Kultur in Neukölln beteiligt, die Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragten dürfen mitreden, die Beteiligungskoordination entscheidet ebenfalls mit. Dann kommen zivilgesellschaftliche Gruppen dazu, zum Beispiel das Kinder- und Jugendbüro, die Seniorenvertretung und viele lokale Vereine. Wir haben das abgezählt: Insgesamt sind in Neukölln 40 Gruppierungen an der Vergabe von gerade einmal 140.000 Euro beteiligt.
Wenn die Zahl schon für einen einzelnen Stadtteil so hoch ist, wie viele Menschen sind dann deutschlandweit in die Vergabe der Fördergelder eingebunden?
Weß: Einen Überblick gibt es schlichtweg nicht. Konservativ gerechnet, dürften jedoch allein am Bereich der "Partnerschaften für Demokratie" weit mehr als 10.000 Menschen beteiligt sein. Bemerkenswert dabei ist, dass NGOs in dem System von "Demokratie leben!" nicht nur Empfänger von Fördergeldern sind, sondern eben auch über deren Verwendung entscheiden. Sie haben also Macht über die Verteilung von Steuermitteln. Das finde ich erklärungsbedürftig – zurückhaltend gesagt.
"Das Familienministerium hat keinen vollständigen Überblick"
Wie kann das Ministerium bei dieser Menge an Personen und Gruppen sicherstellen, dass die Geldvergabe auch wirklich im Sinne der Demokratieförderung geschieht?
Weß: Ich habe Zweifel, dass das überhaupt sichergestellt werden kann mit einem solch intransparenten System. Das Ministerium hat keinen vollständigen Überblick, welche Projekte die "Partnerschaften für Demokratie" fördern. Und es hat erst recht keinen Einfluss darauf, wer was bekommt.
Über Ludger Weß
Dr. Ludger Weß ist Leiter Redaktion und Recherche bei der Initiative Transparente Demokratie. Er berät seit 20 Jahren Unternehmen der Biotechnologie-Branche in Fragen von Kommunikation und Strategie. Er ist zudem Mitgründer eines Biotechnologie-Unternehmens. Zuvor arbeitete er 20 Jahre als Wissenschaftsjournalist, unter anderem für den "Stern" und die "Financial Times Deutschland".
Unter den von "Demokratie leben!" geförderten NGOs sind durchaus auch solche, die sich politisch fragwürdig positionieren. Sind die über die Gelder entscheidenden NGOs denn kompetent beim Thema Demokratieförderung?
Weß: Um das zu beurteilen, müsste man den Wust an Organisationen genauer untersuchen. Nach unseren Informationen wird aber kaum kontrolliert, wer sich bei den "Partnerschaften" vor Ort in welcher Form engagiert. Ein Problem ist auch, dass die Förderkriterien einen großen Gestaltungsspielraum lassen.
In einem Fall gingen 60 Prozent der Förderung für Bürokratie drauf
Wenn so viele Gruppen an der Mittelvergabe beteiligt sind, sind die Verwaltungskosten doch bestimmt auch hoch.
Weß: Oh ja. Die Förderrichtlinien des Familienministeriums setzen hier keine Obergrenze. Wir wissen aber von Fällen, wo die Verwaltungskosten bei einer Fördersumme von 140.000 Euro bei 88.000 Euro lagen, das sind mehr als 60 Prozent. Das bedeutet, dass dem Ministerium bewusst sein muss, dass das Vergabesystem einen riesigen Bürokratie-Wasserkopf verursacht.
Was bedeutet das für die Demokratie-Initiativen?
Weß: Die maximale Fördersumme für die jeweiligen "Partnerschaften für Demokratie" beträgt 140.000 Euro. Das summiert sich bei rund 330 "Partnerschaften" zwar zu einer ordentlichen Summe auf, für die Dutzenden Projekte einer "Partnerschaft" ist das aber nicht besonders viel. Wenn von den 140.000 Euro dann noch die Hälfte für Verwaltungsausgaben draufgeht, bleibt für die lokalen Initiativen nicht mehr viel übrig. Mit dem Geld kann man vielleicht mal eine Veranstaltung organisieren, aber kaum langfristig arbeiten.
"'Demokratie leben!' hat ein bürokratisches Monster erschaffen"
Wie beurteilen Sie denn die Wirksamkeit von "Demokratie leben!"?
Weß: Wenn ich sehe, wie viel Aufwand nötig ist, um überschaubare Summen zu verteilen, glaube ich nicht, dass die "Partnerschaften für Demokratie" viel bewegen. "Demokratie leben!" hat ein bürokratisches Monster erschaffen.
Hat der derzeitige Vergabeweg nicht vielleicht auch Vorteile? Beamte im Familienministerium sind weit weg von den Projekten und müssten sich mit Tausenden Anträgen beschäftigen.
Weß: Das mag sein, aber die gute Absicht verkehrt sich wegen des bürokratischen Aufwands ins Gegenteil. Die Gruppen, die über Geld aus den "Partnerschaften für Demokratie" entscheiden, sind oft sehr klein und rein ehrenamtlich organisiert. Wenn Ehrenamtler neben ihrem eigentlichen Engagement auch noch stundenlang in Koordinationskonferenzen herumsitzen müssen, ist das doch kontraproduktiv für die Demokratieförderung.
"Es reden zu viele Leute mit, aber keiner will Verantwortung tragen"
Wie müsste die Demokratieförderung denn aussehen, damit sie transparent und effizient abläuft?
Weß: Ich würde es sinnvoller finden, wenn man sich auf einige wenige förderungswürdige Projekte einigt. Ein gezielt gefördertes Projekt mit mehr Geld in der Hand könnte deutlich mehr bewegen. Das wäre effizienter als das derzeitige Gießkannenprinzip.
Inwiefern steht „Demokratie leben“ sinnbildlich für die staatliche Verwaltung in Deutschland?
Weß: Unsere Recherche zu "Demokratie leben!" wirft die Frage auf, wie effizient der Staat allgemein Geld ausgibt. Das Förderprogramm zeigt meiner Meinung nach exemplarisch, dass in Deutschland an Projekten viel zu viele Behörden, Träger und Beauftragte beteiligt sind. Es reden einfach zu viele Leute mit, aber keiner will Verantwortung tragen. Darunter leiden dann nicht nur Demokratie-Initiativen, sondern auch Unternehmen und Kommunen.