Der Interviewtermin mit diesem ambitionierten, jungen Boxer ist etwas Besonderes. Nicht, weil er im gläsernen Abstellraum einer Hinterhof-Autowerkstatt in Berlin-Charlottenburg stattfindet. Nicht, weil dort neben Vitrinenschränken voll Nippes, einem Ölgemälde des Mauer-Künstlers Thierry Noir und einem Biedermeier-Sofa vor einer Spiegelglaswand auch ein grellgrüner Riesen-Dino aus Stoff liegt.
Das Besondere an diesem Gespräch ist der sprichwörtliche Elefant, der mit dem Boxer den Raum betritt, bevor das erste Wort überhaupt gefallen ist. Denn der 23-Jährige, der kurz vor seinem ersten Titelkampf als Profi-Boxer den Kontakt zur großen medialen Öffentlichkeit sucht, heißt Mohamed Abou-Chaker. Mohameds Vater ist ein Bruder von Arafat Abou-Chaker.
Momo will Image ändern, für das der Name Abou-Chaker steht
Der Nachname Abou-Chaker steht in Berlin und weit darüber hinaus bislang vor allem für eines: schwere Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität, deretwegen Ermittlungsbehörden einzelne Mitglieder des Familienclans schon lange im Visier haben. Vor allem Arafat Abou-Chaker, Mohameds Onkel. Ermittler sehen den einstigen Geschäftspartner des Rappers Bushido als Chef des kriminellen Teils des Clans. Es geht um schwerste Delikte wie Raubüberfälle, Schutzgelderpressungen, Körperverletzungen und Geldwäsche.
Mohamed Abou-Chaker, genannt "Momo", möchte das gern ändern. Wer wissen will, wie nahe ihm der berüchtigte Onkel bisweilen steht, kann das auf Mohameds Instagram-Account sehen. 13.200 Follower, bislang 21 Beiträge. Ein Foto, 2019 in der Türkei geschossen, zeigt ihn direkt hinter der linken Schulter von Onkel Arafat beim Gruppenbild im Mittelmeer.
Doch Momo will eben gerade nicht über die kriminellen Machenschaften und das Negativimage einiger Familienmitglieder reden, sondern über sich selbst, über sein eigenes Image. "In jeder Familie gibt es schwarze Schafe. Aber was kann ich denn für meinen Namen?" Und damit ist das Thema für ihn, ganz gleich, um wen es geht, an dieser Stelle erst mal durch.
Ringsprecher kündigte Abou-Chaker aus Sorge mit falschem Namen an
Als der junge Mittelgewichts-Boxer und seine Managerin Dorothea Ring auf dem Biedermeiersofa Platz genommen haben, das in der Autowerkstatt ihres Bruders steht, dreht sich dennoch erst einmal alles um den Familiennamen des Sportlers.
Der krasseste Zwischenfall, den ihm der Nachname bislang beim Boxen bescherte, ereignete sich im Sommer 2022 in Zinnowitz an der Ostsee. Dort bestritt Abou-Chaker seinen dritten Profi-Kampf beim Sdunek-Gedächtnisturnier.
"Ich war schon im Ring mit meinem Gegner und wartete auf unsere Präsentation, als der Moderator mich plötzlich als 'Momo Aboueeeeee" ankündigte, und ich dachte: Ey, was war das denn jetzt...?", erzählt Abou-Chaker, der eine schwarze Hose, schwarzen Hoodie und eine schwarzglänzende, gefütterte Weste mit Kapuze trägt, passend zu kurzen, pechschwarzen Haaren und Augen. "Der Typ hat mir einfach einen falschen Nachnamen verpasst, aus Sorge, der richtige Name könne Unruhe bringen", sagt Abou-Chaker. "Das war hart. Aber es hat mich stärker gemacht." Seine Hände liegen auf den Oberschenkeln, er spricht mit ruhiger Stimme. Ein paar in die Stirn gerunzelte Falten lassen erahnen, wie sehr ihn das noch immer wurmt.
"Lecko mio, kann der boxen": Wie Managerin Dorothea Ring Momo Abou-Chaker entdeckte
Der Kampf in Zinnowitz, den Abou-Chaker gewann, erwies sich trotz des unschönen Auftakts als glücklicher Zufall. Denn die technische Leitung oblag an diesem Tag Dorothea Ring, im Hauptberuf Auktionatorin und Pfändungsvollstreckerin.
Seit gut 20 Jahren promotet die resolute Dame "über 60", die auch schon mal Lkw zwielichtiger Firmenbosse konfisziert, ohne die Polizei zur Unterstützung zu benötigen, Profikarrieren tänzelnder Puncher. Machte Halbmittelgewichtler Marco Schulze 2007 zum Deutschen Meister – und griff noch so manch anderem Box-Schwergewicht als Managerin unter die Arme. "Lecko mio, kann der boxen!", dachte sie sich nach Abou-Chakers Auftritt – und gab das Kompliment samt Visitenkarte nach dem Kampf an den Mann weiter. "Wenn du Bock hast, ruf mich mal an."
Banken verweigern Abou-Chaker Konto, Kollegen warnen Box-Managerin vor Zusammenarbeit
Die Sache mit dem Namen war schon ein Problem, da war Momo Abou-Chaker noch weit von einer Profi-Boxkarriere entfernt. Nach der Mittleren Reife, erzählt der 23-Jährige, habe er eine Lehre als Stahlbetonbauer gemacht und wollte sich ein eigenes Konto zulegen. Doch mehrere Banken in Berlin hätten ihm das verweigert. "Aber was habe ich denn getan, dass mein Name gesperrt war?"
Noch komplizierter sei es dann geworden, als er sich nach dem Abschluss seiner Lehre vor vier Jahren als 19-Jähriger dazu entschlossen hatte, eine Karriere als Profi-Boxer zu starten, ergänzt Managerin Ring. "Ihm wurden überall Steine in den Weg gelegt. Die Medien wollten nicht mit uns zusammenarbeiten, Veranstalter lehnten es ab, Momo kämpfen zu lassen." Und viele Kontakte in der Boxbranche hatten ihr sofort davon abgeraten, sich mit dem jungen Fighter zu beschäftigen. Es sei zum Verzweifeln gewesen.
"Ehrgeizig, gewissenhaft, sympathisch": Managerin Ring legt für Momo ihre Hand ins Feuer
Doch für Abou-Chaker legt seine Managerin ihre Hand ins Feuer. "Er ist ehrgeizig, gewissenhaft, sympathisch, die Zuschauer mögen ihn." Und er trainiere unter der Anleitung von Hartmut Schröder, der einst schon Sebastian Sylvester zum Weltmeister machte, zwei Einheiten am Tag mit Aufwärmen, Schattenboxen, Sparringpartner, dem ganzen Programm. "Seit zwei Jahren hat er meine Unterstützung und die einer weiteren Person, die ihm noch ein bisschen hilft. Aber im Großen und Ganzen hat er das allein gemacht."
"Möchte zeigen, dass der Name Abou-Chaker für saubere Leistung steht"
Sieben Aufbaukämpfe hat Momo Abou-Chaker, der bereits seit seinem 10. Lebensjahr boxt, bislang als Profi absolviert, fünf davon durch k.o. und zwei durch Punkte gewonnen. Der Kampf am Abend des 22. November, bei dem es in der Stadthalle im brandenburgischen Velten vor den Toren Berlins um den WM-Titel der Junioren des GBC-Verbandes geht, ist Abou-Chakers erster Titelkampf.
Wie er selbst zeigt sich auch Managerin Ring fest davon überzeugt, dass Abou-Chaker seinen ersten WM-Titelkampf gewinnen wird. Sein Gegner heißt Zaid Hernandez Cortez und kommt aus Mexiko. Cortez musste kurzfristig für den Slowaken Lukas Ferneza einspringen, der sich kürzlich bei einem Kampf verletzte und längere Zeit ausfällt.
"Ich boxe, seit ich zehn Jahre alt bin, liebe diesen Sport über alles. Mit diesem Titelkampf möchte ich aber auch zeigen, wer ich bin, dass ich ein ganz normaler Mensch bin wie jeder andere auch, dass ich was draufhabe. Und dass der Name Abou-Chaker, hinter dem ich absolut stehe, für saubere Leistung steht."
"Meine Eltern haben mich gelehrt, Respekt zu zeigen"
Dass er es bis zu dem WM-Titelkampf geschafft habe, das habe er auch seinem Vater und seiner Mutter zu verdanken. "Beide haben mir immer wieder klargemacht, wie wichtig es ist, die Schule zu beenden und eine Ausbildung zu machen. Sie haben mich gelehrt, Respekt zu zeigen und zu wissen, wie man sich zu jemandem verhält, der hinter einem steht. So wie Dorothea, sie gehört zur Familie. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen."