Bäcker-Skandal: Jede zweite Bäckerei verkauft gedoptes Brot – das ist Käufer-Täuschung

„Ich kenne gar keine Bäckerei, wo keine Hilfsmittel verwendet werden.“ Das sagt nicht irgendwer. Das sagt Roland Ermer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks. Landauf, landab werben Bäckereien damit, echtes Handwerk zu betreiben – und jetzt das! Tatsächlich ist jede zweite Bäckerei in Deutschland längst keine Handwerksbäckerei mehr. Dabei werben viele Backstuben genau mit dieser „Liebe zum Handwerk“ und ähnlichen Slogans. 

„Mehr als die Hälfte aller Bäckereien verkauft gedoptes Brot“, erklärt Lutz Geißler. Im April 2023 hat der Bäcker und Buchautor eine Forsa-Umfrage unter 500 repräsentativen Bäckereien in Auftrag gegeben. 

Das Ergebnis: Die Mehrheit der angeblichen Handwerksbetriebe nutzt Zusatzstoffe wie Backmittel und Süßstoffe, gibt diese Information aber nicht an den Kunden weiter. Das ist eine klare Käufertäuschung, heißt es in der ARD-Sendung „Die Tricks mit Brot und Brötchen“ (ab sofort in der Mediathek). Lutz Geißler mahnt: „Kunden kaufen die Katze im Sack.“

Lebensmitteltechnologe Lück: „Günstiges Brot ist nur mit Hilfsmitteln möglich“

„Das geht gar nicht“, kritisiert Britta Schautz von der Verbraucherzentrale in Berlin. „Wenn ich bei einem Handwerksbäcker kaufe, gehe ich davon aus, dass er sein Brot traditionell herstellt und nicht irgendetwas Zusammengemixtes verwendet wird.“ Die Mehrheit der Bäcker lässt sich nämlich längst komplette Backmischungen in großen Säcken in die Backstube liefern. 

Vom Kneten bis zum fertig gebackenen Brot dauert der Vorgang dann gerade noch drei Stunden. Hingegen dauert eine traditionelle Herstellung ohne Zusatzstoffe drei Tage. Da Zeit nun mal Geld ist, kann der Laib aus der Backmischung deutlich billiger verkauft werden. „Günstiges Brot ist nur mit Hilfsmitteln möglich“, erklärt Lebensmitteltechnologe Stephan Lück. Das Problem: Über die Wechselwirkung der darin verwendeten Enzyme ist noch wenig bekannt.

Bäcker-Präsident Ermer ist gegen Deklarierung

Wirklich absurd wird es aber, wenn manche dieser Brote aus der Tüte sogar noch ein Gütesiegel erhalten. So ist es beispielsweise beim Brot manchen Bäckers, der die weit verbreitete Backmischung „König-Ludwig-Brot“ verwendet. Etwa beim Siegel, das das Deutsche Brotinstitut vergibt, werden die Zutaten überhaupt nicht untersucht. „Das ist eine rein sensorische Prüfung“, erklärt Institutsleiter Bernd Kütscher. Im Wesentlichen wird bei den Tests also gedrückt und geschaut. 

Kütscher erklärt. „Es ist eine romantische Vorstellung, dass der Bäcker jedes Brot von Hand streichelt. Das scheitert schon daran, dass es nicht genügend Bäcker gibt.“ Ähnlich pragmatisch findet Bäcker-Präsident Ermer, dass Brot aus der Backmischung auch nicht dementsprechend deklariert werden müsste. „Das ist keine gute Idee. Es gibt schon so viele bürokratische Lasten. Man kann ja miteinander reden.“ Gewissermaßen auf Du-und-Du über die Theke.

Großer Brottest
Jo Hiller (links) und Anna Planken decken die Tricks der Bäcker auf. ARD

„Minderwertige Produkte werden gesund gewaschen“

Tarnen und Täuschen gilt auch für das sogenannte Vitamin- oder auch Fitness-Brot. Der Verbraucher glaubt, mit dem Verzehr des Brotes täte er sich etwas Gutes. Das aber ist reines Marketing, befindet der Marketing-Experte Arnd Zschiesche aus Heide. Die Vermarkter suchen sich ein Wort, das positiv besetzt ist, und fertig ist das Brot. „Den Begriff hätte jeder gerne“, sagt Zschiesche. „Ein Brot, das Schlaf-und-Fress-Brot heißen würde, würde liegen bleiben.“ 

Überraschend bei den Broten sei auch, dass auf 750 Gramm gleich 70 Zutaten kommen. Die meisten davon sind sehr preiswert. „Minderwertige Produkte werden gesund gewaschen“, mahnt Ernährungsmediziner Matthias Riedl. Das sei Verbrauchertäuschung, die der Gesundheit schadet. Zumal solche Produkte suggerieren, man habe bereits etwas für die Gesundheit getan. „Auch der Vitaminanteil ist viel zu gering, als dass er nützt“, befindet Riedl. „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“

Kein Grund zur Sorge
Roland Ermer, Präsident des Deutschen Bäckerhandwerks, hat gegenüber Jo Hiller kein Problem mit Zusatzstoffen. ARD-Screenshot

Mineralölrückstände und Pestizide gesichtet

Vorsicht auch bei Aufbackbrötchen! Katja Tölle von „Ökotest“ berichtet von Pestiziden in solchen Aufbackprodukten. Die Mengen seien zwar sehr gering, aber deren Wechselwirkung nicht erforscht. Auch haben Tests Mineralölrückstände nachgewiesen, deren Herkunft nicht erklärt ist. Unter Verdacht stehen Traktoren und Erntemaschinen. 

Woher hingegen der Methylalkohol bei Fertigteig für Brötchen und Croissants stammt, ist geklärt. Der Alkohol dient als natürlicher Konservierungsstoff. Den Ticks der Produzenten sind offenbar keine Grenzen gesetzt: Fertigmischungen statt Handwerk, ungesunde Zusätze, irreführende Marketingversprechen. Doch wo ist die Alternative? Viele Verbraucher müssen schon aus Kostengründen in die Brotklappe im Supermarkt und Discounter greifen.