Grüne blenden Migration in Parteitags-Anträgen aus – und diskutieren lieber über sich

Es ist ungewohnt still geworden um die Grünen. In den vergangenen Jahren wurden sie mal als neue Volkspartei gefeiert, mal für die Politik der Ampel-Regierung verdammt. Doch seitdem die Partei nach der Bundestagswahl gerupft und geschrumpft in der Opposition gelandet ist, sind die Erregungsausschläge seltener und kleiner geworden.

Für manche Grüne mag die Ruhe nach turbulenten Jahren gerade recht kommen, doch politisch ist sie gefährlich. Auf dem Parteitag Ende November soll deshalb der Kurs klarer bestimmt werden. So wollen die Grünen mehr durchdringen und endlich wieder in den Umfragen hinzugewinnen. Dort scheint die Partei derzeit beim Bundestagswahlergebnis von knapp zwölf Prozent festbetoniert.

Grüne vor dem Parteitag: ein Gemischtwarenladen?

Wie der künftige Kurs aussehen soll, ist beim Blick auf die Anträge für den Parteitag nicht klar zu erkennen. Das 410 Seiten dicke Antragsbuch vermittelt den Eindruck, die Grünen seien ein Gemischtwarenladen, bemerkt ein Delegierter kritisch. Das thematisch bunte Angebot reicht von Catcalling über Zootierhaltung bis zur Lage im Sudan.

In der Auslage fehlt hingegen weitestgehend die Migrationspolitik. Das ist bemerkenswert: Bei dem Parteitag vor einem Jahr war sie noch der große Zankapfel. Und den Bürgern brennt das Thema immer noch unter den Nägeln. Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen war sie Anfang Oktober für die Bürger das wichtigste Thema. Sowohl der Richtungsstreit zwischen Realos und Parteilinken als auch die Relevanz in der Bevölkerung spiegeln sich im Antragsbuch nicht wider.

Grünen-Anträge zur Migration sind ziemlich zahm

Die Grünen-Gruppe "Bundesarbeitsgemeinschaft Flucht und Migration" steuerte zuletzt immer wieder Anträge bei, die den Kurs der Partei nach links lenken sollten. Für den anstehenden Parteitag reichte die Gruppe nur einen Antrag zu Menschenhandel ein. Die großen Migrationsfragen tangiert das nicht.

Lediglich die ohnehin schon bestehende Parteiposition bekräftigend ist ein Antrag der Bundestags-Abgeordneten Schahina Gambir. Zusammen mit einer Reihe von Fraktionskollegen fordert sie, die Afghanistan-Aufnahmeprogramme fortzusetzen. Das haben die Grünen im Bundestag schon vielfach vorgetragen, doch die Regierung lässt sich nur durch Gerichtsentscheide umstimmen.

Bei organisierter Kriminalität werden die Clans einfach ausgespart

Zwei Anträge nähern sich zwar den Problemen der Migrationspolitik an – um sie dann aber schließlich doch nicht klar zu benennen. Zum einen wollen einige Grüne "der organisierten Kriminalität den Riegel vorschieben". Der Antrag macht zunächst die Dringlichkeit deutlich: "Die durch die organisierte Kriminalität verursachten Schäden sind enorm und eine Gefahr für die Demokratie."

Im Folgenden bleibt aber nebulös, wer und was alles unter organisierte Kriminalität gezählt wird. Dass es dabei häufig um Clans in migrantischen Milieus geht, erwähnen die Grünen mit keinem Wort. Stattdessen beklagen sie, in den gesellschaftlichen Debatten würde "ein verzerrtes und klischeehaftes Bild von kriminellen Gruppen der organisierten Kriminalität" dominieren.

"Sicherheit statt Populismus": Migration spielt bei Innenpolitik keine Rolle

Auch ein "grüner Zehn-Punkte-Plan zu den aktuellen Herausforderungen in der Innenpolitik" spricht zunächst wichtige Punkte wie häusliche Gewalt gegen Frauen an. Die Bezüge zur Migrationspolitik fallen aber knapp aus. So wird zum Beispiel nur in einem Satz darauf hingewiesen, dass antifeministische Ideologie häufig ein Einstieg in islamistische Radikalisierung sei. 

Zur Gefahr durch psychisch kranke Attentäter heißt es in dem Zehn-Punkte-Plan lediglich, dass "gerade die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten seit Jahren massiv unterfinanziert ist". Ihre Herangehensweise an das Thema innere Sicherheit nennen die Antragsteller "Sicherheit statt Populismus".

Zwei Anträge richten sich gegen die eigenen Funktionäre

So bleiben zwei Anträge, die direkt auf die Migrationspolitik eingehen und für Diskussionen sorgen könnten. Zum einen fordern mehrere Grüne den Stopp der Grenzkontrollen. Im Antragstext äußern sie auch Kritik an den eigenen Leuten: "Für diese Grenzkontrollen sind wir als Bündnisgrüne durch unsere Regierungsbeteiligung in der Ampel zur Zeit der Einführung der Grenzkontrollen mit verantwortlich."

Auch ein zweiter Antrag richtet sich mindestens indirekt gegen die eigenen Funktionäre. Darin fordern Delegierte, die Abschiebehaft zu beenden – die allerdings auch im grün regierten Baden-Württemberg umgesetzt wird. Dort gibt es in Pforzheim eine solche Hafteinrichtung.

Setzen Grüne auf das Prinzip Hoffnung?

Ein Realo-Delegierter, der sich bei den Grünen für eine härtere Migrationspolitik einsetzt und in der Vergangenheit häufig Anträge zum Thema geschrieben hat, ist erstaunt über die innerparteiliche Ruhe. Er glaubt, viele Grüne seien erleichtert, dass nun weniger Geflüchtete in Deutschland ankommen. Ihre Hoffnung, dass sich die Debatte dabei von selbst erledige, könne aber schnell enttäuscht werden, sobald neue Krisen neue Fluchtbewegungen auslösen.

Deshalb sei es nach wie vor wichtig, ein grünes Migrationskonzept zu entwickeln. Der Kompromiss vom Parteitag im vergangenen Jahr, der linke und Realo-Anträge vereinte, sei noch keine zufriedenstellende Antwort. Er sei lediglich "zusammengeklöppelt" worden, um im damals bevorstehenden Bundestagswahlkampf die Flügelkämpfe zu befrieden und den Wählern einen scheinbar klaren Kurs zu präsentieren.

Dabei gab es nach der Bundestagswahl eigentlich ein Problembewusstsein. In einer Grünen-Analyse hieß es damals, bei der Migrationspolitik habe man "eine kommunikative und strategische Unklarheit an den Tag gelegt". Das Thema wurde als eines von vier identifiziert, zu denen "zukunftsweisende Konzepte" erarbeitet werden sollen.

Grüne beschäftigen sich mit sich selbst – und Habecks Vermächtnis

Während die Grünen-Basis offenbar wenig Lust auf Migrationsdebatten hat, will die Partei sich lieber mit sich selbst beschäftigen. Im Antragsbuch finden sich beispielsweise Forderungen nach einer besseren Öffentlichkeitsarbeit, einer Social-Media-Strategie und einem grünen Aufstiegsversprechen an Jugendliche. Hinzu kommen 38 Seiten Satzungsänderungsanträge.

Viel Diskussionsbedarf gibt es außerdem zu zwei Themen. Zum einen ist da die Außenpolitik, sie hat der Bundesvorstand als eigenständigen Block auf die Tagesordnung gesetzt. Dazu gibt es viele Anträge, die in verschiedenen Abstufungen Palästina als Staat anerkennen wollen. Teils gegensätzliche Anträge gibt es zur Frage, ob die Ukraine stärker militärisch unterstützt werden sollte. 

Ebenfalls als eigenständiger Block sind die Themen Klima und Energie vorgesehen. Spannend ist das, weil es dabei auch um das Vermächtnis von Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck gehen dürfte. Eine Gruppe will auf dem Parteitag feststellen lassen, dass der von Habeck vorangetriebene LNG-Terminal-Ausbau "überdimensioniert" gewesen sei und "den Interessen der Allgemeinheit mehr geschadet als genutzt" habe. Das habe auch zu Zerwürfnissen mit eigentlich Grünen-nahen Umweltverbänden geführt.