Viktor Orban ist der Meister des giftigen Selbstlobes. Dass Donald Trump und Wladimir Putin den Ungarn zum Gastgeber ihres nächsten Gipfeltreffens auserkoren haben, kommentiert Europas Rekordamtsinhaber so: „Ungarn ist die Insel des Friedens.“
Wenn allerdings Ungarn eine Insel ist, zugleich die des Friedens – was ist dann mit dem Festland drumherum? Was ist mit Europa? Aus Orbans Sicht ist die Sache klar: Kriegstreiber, sagt er. „Alles, was man in diesen Tagen hört, ist: Europa ist im Krieg.“ Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mit Orban in herzlicher Gegnerschaft verbunden, reise durch die ganze Welt „und spricht über Krieg“. Dabei habe sie nicht einmal ein Mandat.
Fragen von Krieg seien Sache der Nationalstaaten – auch nach den europäischen Verträgen. Europa sei gefangen in einer „pro-war psychosis“ – in einer Art Kriegstaumel. Und so eröffnet Orban eine neue Gleichung: Europa = Krieg. Ungarn = Frieden. Das ist die Orban-Formel. Für die der Ober-Ungar jetzt vor den Augen der ganzen Welt von dem gerade wichtigsten Mann belohnt wird (was er genießt).
Nach Budapest? Für Putin wie Geburtstag und Weihnachten
Damit ist klar, was diese Gipfel-Nachricht für Wolodymyr Selenskyj bedeutet: Es ist eine schlechte Nachricht für ihn. Die Ukraine ist der Hauptleidtragende dieses Krieges. Aber die Ukraine ist nicht der Hauptakteur. Mit einem Wort von Viktor Orban: „Die Ukraine ist nicht souverän.“
Donald Trump hat vorgeschlagen, sich mit Putin in Ungarn zu treffen. In einem europäischen Land. Für Putin ist das wie Geburtstag und Weihnachten zusammen.
Die Europäer haben Sanktionen beschlossen gegen die Kriegs-Russen. Zudem liefern sie Waffen an die Ukraine, sie wollen das auch weiter tun.
Die Sanktionen sollen erheblich ausgeweitet werden. Kanzler Friedrich Merz (CDU) sieht sich als Treiber für diesen Kurs. 170 Milliarden Kredite sollen die Ukrainer nach seinem Willen kriegen, dafür soll das russische Vermögen als Basis genutzt werden. Es liegt in Belgien. Dagegen gibt es große Bedenken. Etwa von Orban.
Trump will Handel, Deutschland will Sanktionen
Käme es so wie von Merz gewollt – der Europa-Gipfel wird darüber entscheiden – nähmen die Minustemperaturen im Verhältnis zwischen Europäern und Russland noch einmal zu. Es würde fortan kälter als im Kalten Krieg zwischen 1945 und 1989.
Mit einem Unterschied – einem bedeutsamen: Denn anders als im Kalten Krieg stehen die Amerikaner nicht an der Seite der Europäer. Sie machen ihr eigenes Ding. Und Donald Trump, der „Dealmaker“, der Wirtschaftsmann, will sich nicht verstricken lassen in einen Krieg. Trump hasst Kriege, denn Trump will Wohlstand. Trump will Handel – zum Wohl seiner Amerikaner. Handeln will er auch mit den Russen. Darüber hat er mit Putin gerade am Telefon gesprochen. Der Handel, das ist ihm am Ende das Wichtigste. Wichtiger als die Befindlichkeiten der Europäer.
Anders Deutschland: Kaum war die Bundesregierung gewählt, da hat der designierte neue deutsche Außenminister Johann Wadephul erklärt, Russland werde „immer Deutschlands Feind“ bleiben.
Und mit Feinden treibt man keinen Handel. Selbst wenn das die eigene Bevölkerung Wohlstand kostet. Was der Fall ist: Gas aus Amerika ist weitaus teurer als Gas aus Russland. (Weshalb gerade Frankreich und Italien und Spanien so viel Russengas kaufen wie lange nicht mehr.)
Noch an diesem Donnerstag hat Merz sich als Europas Führungsfigur inszeniert. Die Bundesregierung, sagte der Kanzler im Bundestag in seiner Regierungserklärung zum europäischen Gipfeltreffen in der nächsten Woche, arbeite unter dem Leitgedanken: Verantwortung für Deutschland. „Aber dieser Leitgedanke ist erst ganz verstanden, wenn wir auch Führungsverantwortung in ganz Europa übernehmen.“
Nun allerdings übernimmt ein anderer europäischer Regierungschef Führungsverantwortung wahr für Europa. Es gibt dabei allerdings einen Unterschied zwischen Viktor Orban und Friedrich Merz: Orban hat für seine Vermittlerrolle ein Mandat – sowohl von Donald Trump als auch von Wladimir Putin. Ein Mandat der Europäer hat er nicht. Er braucht es auch nicht. Und das ist ein Problem. Aber nicht für Orban. Sondern für die Europäer.
Dass Orban jetzt in den Fokus der Friedensdiplomatie rückt, ist kein Zufall. Denn es gibt einen weiteren, gravierenden und vielleicht am Ende entscheidenden Unterschied zwischen Merz und Orban: Orban glaubt an die Macht von Verhandlungen. Merz glaubt an die Macht von Waffen und Sanktionen.
Im Deutschen Bundestag sagte Merz: „Bis jetzt will Putin nicht verhandeln, er will weiter bombardieren.“
Und schon wieder geht die Geschichte über Europa hinweg
Wenige Stunden später kommt das faktische Dementi dieser Kanzler-These aus Washington, von Donald Trump. Man trifft sich jetzt – zu Verhandlungen. Bei Orban in Budapest. Ausgerechnet.
Putin kommt also nach Europa. Er kommt in Feindesland. Wo man ihn nicht will. Wo man ihm droht. Aber er kommt auch nach Ungarn. Wo er willkommen ist. Größer könnte der Kontrast kaum sein – zwischen Europa und den Ungarn. Aber: Amerikaner und Russen stören sich nicht an den übrigen Europäern. Was die nächste Niederlage Europas heraufbeschwört, denn schon bei Nahost waren die Europäer nicht gefragt, im Gegenteil – sie waren sogar hinderlich. Etwa, als Frankreich und Großbritannien einen Staat anerkannten, den es nicht gibt.
Nun sind Ursula von der Leyen und Friedrich Merz schon wieder nicht gefragt. Gefragt ist vielmehr ihr politisches Gegenteil: Eben Orban. Das klingt nicht nur wie eine Demütigung Europas, verursacht vom Weißen Haus wie vom Kreml. Es ist auch eine.
Und hinter dieser Orts-Entscheidung verbirgt sich auch ein Richtungsstreit. Und zwar ein grundlegender: Wie sehen wir die Welt?
Das Prinzip "Männer machen Geschichte"
Die Welt aus der Sicht von Merz und Co., die Welt von der Leyen, von Olaf Scholz, von Annalena Baerbock, von Angela Merkel ist eine „Ordnung des Rechts“. In dieser Welt wird Herrschaft ausgeübt von und in Internationalen Institutionen: der Europäischen Union, den Vereinten Nationen, dem Internationalen Strafgerichtshof. Die setzen die Regeln – im Zweifel auch weit weg vom Volk.
Die Welt von Donald Trump, Wladimir Putin und Viktor Orban ist ganz einfach ein anderer Planet. Der hat sogar eine Überschrift. Und die lautet: Männer machen Geschichte. Und: Nationen entscheiden über Krieg und Frieden. Nicht Institutionen. Und: Nationen entscheiden über ihre nationale Politik. Nicht Institutionen. Viktor Orban hat seinen letzten Wahlkampf gemacht mit dem Spruch: „Schutz der ungarischen Familien und Kinder vor LGBTIQ plus.“ Die Europäer verstehen sich als queerfreundlich, was sie zum Kernbestand ihrer inneren Ordnung erheben. Weshalb sie dekretieren, dies müsse in jedem europäischen Land so sein. Auch in Ungarn.
Orban zeigt ihnen den Stinkefinger. Er nennt das „illiberal“. Für ihn ist – wegen dieses Ansatzes repressiver Toleranz – „die liberale Demokratie gescheitert“. Es ist der Grundsatz-Streit dieser Tage, Monate und Jahre.

Viktor Orban könnte auch tauschen mit J.D. Vance. Trumps Vordenker, über den Friedrich Merz auf der Münchner Sicherheitskonferenz so entsetzt war, dass er sich entschloss, Deutschlands und Europas Zukunft fortan mindestens distanziert zu Amerika zu denken.
Das ist der Ursprung der Schuldenorgie dieser Bundesregierung. Donald Trump hat – im März – erzählt, er habe sich vor seinem Treffen mit Putin beraten lassen. Von Orban. Einem „sehr, sehr klugen Mann“. Jemandem, „den manche mögen und andere nicht“.
Ein pikantes Detail und die Ordnung des Rechts
Trump weiß genau, was er tut. Er weiß genau, weshalb er Orban privilegiert unter den Europäern. Beide sind aus demselben Holz geschnitzt. Merz steht auf einer anderen Weide.
Was die „Ordnung des Rechts“ angeht gibt es ein pikantes Detail: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Liberale, Ukraine-Kämpferin, Anti-Russland, pro Europa – nannte an diesem Donnerstag den Empfang Putins in Budapest einen Verstoß gegen Internationales Recht. Schließlich gebe es einen Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofs gegen den Russen-Aggressor.
Nur: Orban hat sich aus dieser „Ordnung des Rechts“ verabschiedet. Aus Protest gegen den Haftbefehl gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Orban-Ungarn ist ausgestiegen aus dem Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs.
Putin kann kommen. Von Orban hat er nichts zu befürchten. So wenig wie Netanjahu. Was ungeschminkt zeigt: Diese „Ordnung des Rechts“ existiert nicht für alle. Sie ist keine internationale Selbstverständlichkeit. Sie ist abhängig von einer nationalen Entscheidung. Wer da nicht mitmachen will, muss es auch nicht. Und wer da mitmacht, der will es auch so. Man kann einsteigen, man kann aussteigen.
Merkel, Scholz und Merz verkaufen den Deutschen die „Ordnung des Rechts“ als schiere Unausweichlichkeit. Als Selbstverständlichkeit. So, als ob es sich um ein Naturgesetz handeln würde. Samt einer inneren Ordnung, die angeblich daran hängt.
Putins Landung in Budapest wird diese Erzählung dementieren.