Die Zeitungsverkäufer auf den Pariser Champs Elysees schrien sich die Kehle aus dem Leib und wedelten dabei mit den Boulevard-Blättern in der Hand. Sie hatten an diesem Tag im Jahr 1947 Sensationelles zu berichten: Eva Braun, Hitlers Geliebte, habe ein Tagebuch verfasst, das jetzt erstmals auf Französisch abgedruckt werde.
Bis vor kurzem war nicht einmal bekannt gewesen, dass Adolf Hitler viele Jahre eine Geliebte hatte – und jetzt wurden ihre Aufzeichnungen mit vielen schlüpfrigen Details aus dem Privatleben des „Führers“, des schlimmsten Diktators der Geschichte, bekannt.
Der Erfolg war auch hierzulande durchschlagend
Eine Sensation! Das Publikum war verrückt nach diesen Geschichten und riss den Zeitungsjungen die Blätter nur so aus der Hand. Viele konnten es kaum erwarten, bis der nächste Teil veröffentlicht wurde.
Frankreich war keineswegs das einzige Land, in dem auf diese Weise angebliche Details über Hitlers Liebeslieben und manche Marotten anderer Nazi-Größen bekannt wurden. Auch in den USA, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz und anderswo gab es Veröffentlichungen.
Im August 1948 schließlich brachte die Nürnberger Zeitschrift „Wochenend“, die auf leichte Unterhaltung spezialisiert war, die Aufzeichnungen erstmals auch in Deutschland heraus. Auch hierzulande war der Erfolg durchschlagend. Drei Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches lechzte das Publikum nach intimen Geschichten aus der Welt der Nazi-Elite.
Hoffte Eva Braun auf eine Karriere in Hollywood?
Aber wie gelangten diese Aufzeichnungen überhaupt an die Öffentlichkeit? Dafür war der damals berühmte Schauspieler und Regisseur Luis Trenker verantwortlich, der Eva Braun persönlich gekannt hatte.
Er behauptete, die damals 30-Jährige, die Hitler stets pedantisch vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen gehalten und erst wenige Stunden vor dem gemeinsamen Selbstmord am 30. April 1945 geheiratet hatte, habe ihr die insgesamt 89 Seiten, verpackt und versiegelt in einem schwarzen Wachstuch, 1944 in einem Hotel in Kitzbühel persönlich überreicht.
Sie habe gehofft, dass Hollywood, die amerikanische Film-Traumfabrik, nach dem Ende des Krieges ihr Leben an der Seite Hitlers verfilmen würde. Die Hauptrolle sollte niemand anderes als sie selbst spielen: Eva Braun.
Da Braun nun aber tot war, brachte Trenker eine andere Freundin ins Gespräch für diese Hauptrolle: Leni Riefenstahl, die berühmte Regisseurin, die die Olympischen Spiele 1936 in Berlin und die die Parteitage der NSDAP ins rechte Licht gerückt und sich großer Beliebtheit bei Hitler erfreut hatte. Diese Geschichte regte die Fantasie des Publikums noch zusätzlich an.
Das war es, was das Publikum elektrisierte
Was den Leserinnen und Lesern serviert wurde, hatte es wahrlich in sich. Anspruchsvollere mochten das entsetzlich finden und der Auffassung sein, man solle sich doch besser mit Hitlers Verbrechen beschäftigen als mit solchen eigentlich völlig banalen Geschichten. Und eine Schweizer Zeitung schrieb: „Das ganze Tagebuch, so sagt man, ist eine Serie pornografischer Obszönitäten der schlimmsten Sorte.“
Doch genau das war es, was das Publikum elektrisierte. Genüsslich las es Erzählungen wie die, nach der Leni Riefenstahl auf dem Berghof, Hitlers Rückzugsort bei Berchtesgaden, völlig nackt vor dem „Führer“ getanzt habe. So hieß es: „Ich muss im Schlafzimmer warten, im Nachthemd, bis er kommt. Ob sie jetzt unten die Nackttänze aufführt, von denen immer wieder die Rede ist und bei denen ich nie dabei sein darf, weil ich ‚kleines Mädchen‘ bin und sie die ‚heimliche Königin‘?“
Diese Erzählung dockte an Gerüchte aus der Zeit des Dritten Reichs an, nach denen Riefenstahl die Geliebte Hitlers gewesen sei – was ihr, die mit einem Berg-Film berühmt geworden war, den unfreundlichen Spitznamen „Reichsgletscherspalte“ eingebracht hatte.
Der „Führer“ ging angeblich mit einer „Walküre“ fremd
Ein anderes Mal soll ihr die Frau von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann gesteckt haben, dass der von ihr Angebetete längst eine andere Geliebte habe, die wie eine „Walküre“ aussehe.
Dann beschrieb sie, wie sie stundenlang draußen vor einem Hotel auf Hitler gewartet habe, während er im Speisesaal mit einer anderen Frau dinierte, oder dass sie für ihn Unterwäsche aus weichem Rehleder tragen musste.
Und stets fühlte sie sich von ihm vernachlässigt, während sie selbst, die nur etwa halb so alt war, ihn bedingungslos und abgöttisch liebte. Das ging so weit, dass sie aus Frust und Einsamkeit an einen zweiten Selbstmordversuch mit Schlaftabletten dachte (sie hatte bereits einmal versucht, sich aus Liebeskummer umzubringen).
„Sie hatte kleine Brüste und schwere, runden Hüften.“
Eine ganz besondere Sensation schien eine kleine Novelle aus der Feder Hitlers aus dem Jahr 1944, die sich im Tagebuch fand. Darin wurde die Begegnung mit einer jungen Frau beschrieben, in die er sich unsterblich verliebt habe:
„Sie hatte kleine Brüste und schwere, runden Hüften; sie war der Muttertyp mit der Gestalt der guten Gebärerin und der wundervollen Liebenden. Sie war noch sehr jung, vielleicht neunzehn.“ Diese Novelle wirke wie von einem in der Pubertät steckengebliebener Gymnasiasten verfasst, schrieb ein Journalist.
Die Leute aber liebten das. Allerdings nicht alle. Nach der Veröffentlichung des ersten Teils eines als Serie geplanten Abdrucks in der Nürnberger Zeitschrift „Wochenend“ im August 1948 zeigten sich Eva Brauns Familie, allen voran ihre Schwester Ilse Fukke-Michels, empört und entsetzt. Alles sei frei erfunden behaupteten sie, die Aufzeichnung eine Fälschung.
Ein Gutachten attestierte die Echtheit
Konnte das sein? Das Original der Notizen lag inzwischen in Washington, weil Trenker es im Frühjahr 1945 US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeitern übergeben hatte. Der New Yorker Verlag "Reynal & Hitchcock" hatte ein Gutachten bei dem bekannten NS-Experten Hans Habe bestellt – der auch im Februar 1948 prompt die Echtheit attestiert hatte.
Die Verwandten zogen vor Gericht, als Nebenklägerin trat Riefenstahl auf, die ebenfalls alle sie betreffenden Behauptungen in Bausch und Bogen als falsch zurückwies. Und in dem Verfahren wurde deutlich, dass sie recht hatten: Das ganze Manuskript war offensichtlich eine Fälschung.
Es stellte sich heraus, dass der Verfasser des Textes intensiv bei den Memoiren der Gräfin Marie Louise von Larisch-Wallersee abgekupfert hatte, die erstmals 1913 ihre Erinnerungen an das damalige österreichische Kronprinzenpaar veröffentlicht hatte. Es gab an mehreren Stellen offensichtliche Ähnlichkeiten, die kein Zufall sein konnten. Aussagen mancher Zeugen legten ebenfalls eine Fälschung nahe.
Hitler badete regelmäßig
So berichtete Hitlers Sekretärin Traudl Junge, dass Braun, mit der sie 1945 monatelang im Führerbunker zusammen gewohnt hatte, keineswegs Leder-Unterwäsche getragen habe, wie in den Notizen behauptet wurde.
Und der langjährige Fahrer des Führers wies empört die Behauptung aus dem angeblichen Tagebuch zurück, nach der Hitler nur einmal im Monat ein Bad genommen habe – selbstverständlich sei er ein sehr reinlicher Mensch gewesen.
Das Landgericht München I untersagte daraufhin den weiteren Abdruck. Gutachter Hans Habe dementierte umgehend wahrheitswidrig, er habe jemals die Echtheit festgestellt. Die Enttarnung bedeutet nicht, dass die angeblichen, eindeutig gefälschten Aufzeichnungen Eva Brauns seitdem nicht mehr zu lesen sind.
Sie wurden sowohl im Ausland wie auch in Deutschland immer wieder in Buchform veröffentlicht und sind auch heute leicht erhältlich. Noch immer tun Leser in Bewertungen ihre Meinung kund, das Tagebuch sei echt. Wer für die Fälschung verantwortlich war, ist bis heute nicht endgültig geklärt. Der Verdacht fällt in erster Linie auf Luis Trenker selbst, der zur Zeit der Veröffentlichung in Geldnöten steckte.
Manches erinnert an den Skandal der gefälschten Hitler-Tagebücher
In Wahrheit existieren von Brauns echtem Tagebuch 22 Seiten, die durch Zufall erhalten blieben und in den National Archives in den USA lagern. Bis auf wenige Briefe wurde alle ihre privaten Unterlagen in den letzten Tagen des Krieges verbrannt.
Manches an der Geschichte um die angeblichen Tagebücher Eva Brauns erinnert an den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher von 1983, denen auch zunächst von einem Experten die Echtheit attestiert wurde. Sie stellten sich bald auch als Fälschung heraus – genauso wie die Aufzeichnung, die Eva Braun zugeschrieben wurden.