Hitlers Überfliegerin nahm ein düsteres Geheimnis mit ins Grab

Die Situation war hoffnungslos, doch davon ließ Hanna Reitsch sich nicht beeindrucken. Als Adolf Hitler wenige Tage vor seinem Selbstmord Hans Ritter von Greim in den Führerbunker unter der Berliner Reichskanzlei rief, um ihm zum neuen Chef der faktisch gar nicht mehr existenten Reichsluftwaffe zu ernennen, ließ Reitsch es sich nicht nehmen. Sie flog mit ihrem Vorgesetzten, den sie zutiefst verehrte, in das schon fast vollständig von der Roten Armee besetzte Berlin. 

Es war ein Flug direkt in die Hölle. Greim wurde durch Beschuss schwer verletzt, aber Reitsch gelang es, das kleine Flugzeug stehend hinter Greims Sitz vor dem Brandenburger Tor zu landen. Sie schafften es in den Führerbunker und wurden knapp zwei Tage später sogar wieder lebend aus Berlin herausgeflogen.

Reitsch stellte schon mit 19 Jahren einen Rekord auf

Dieser Flug wurde, als er nach dem Krieg bekannt wurde, legendär und gehört, so unsinnig er auch war, zweifellos zu den Flugleistungen, die Hanna Reitsch während der Zeit des Dritten Reichs berühmt machten. 

Eigentlich gestartet als Segelfliegerin, hatte sie schon im zarten Alter von 19 Jahren bei einem ihrer ersten Flüge einen Dauerflugweltrekord aufgestellt. Es folgten weitere Rekorde und Siege bei nationalen und internationalen Segelflugwettbewerben. 

Anfang 1938 schrieb sie Geschichte, als sie den ersten Hubschrauber der Welt in der geschlossenen Berliner Deutschlandhalle flog. Damit schaffte sie es sogar auf die Titelseite der "New York Times".

Zu dieser Zeit war sie längst zu einem wichtigen Aushängeschild der NS-Propaganda geworden. Beim Volk war sie „unsere Hanna“, wie sie genannt wurde. Seit 1937 arbeitete sie als Testpilotin und Einfliegerin für Reichsluftwaffe. 

Bei ihren Kollegen allerdings war sie weniger beliebt. Sie galt als krankhaft ehrgeizig – eine Frau, die unbedingt jede neue Maschine testen wollte, sich stets vordrängelte, mit Ellbogen arbeitete und gezielt den Schutz wichtiger Männer suchte. 

1940: Ehrung für ihre Leistungen durch Adolf Hitler

Zu ihrem ersten Mentor entwickelte sich Ernst Udet, der Chef des Technischen Amtes des Reichsluftfahrtministeriums. Nachdem er 1941 Selbstmord begangen hatte, weil er mit der Kriegspolitik Nazi-Deutschlands nicht einverstanden war, übernahm Hans Ritter von Greim seine Rolle und hielt seine Hand schützend über Hanna Reitsch.

1940 wurde sie von Hitler für ihre Leistungen als Testpilotin persönlich mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. 1944 folgte das Eiserne Kreuz I. Klasse. Keine deutsche Frau hatte das vorher geschafft. Allerdings sahen ihre männlichen Kollegen Reitschs Leistungen zum Teil deutlich kritischer als die militärische Führung und Hitler. 

Manchmal habe sie ihre Pflichten vernachlässigt, um ihre Kontakte „nach oben“ zu pflegen, warfen sie ihr vor. Außerdem unterliefen ihr bei der Einschätzung der zu testenden Flugzeuge schwere Fehler. 

Und als sie 1943 bei einem Testflug mit der Me 163, dem ersten Flugzeug der Welt, das schneller als 1000 Kilometer flog, abstürzte und sich lebensgefährlich verletzte, ergab die interne Untersuchung, dass Reitsch persönliche Fehler unterlaufen waren. 

Reitsch baute sich ein Netzwerk aus Rechtsextremen auf

Den Verbrechen des Nazi-Regimes gegenüber stellte sie sich völlig blind und taub und behauptete auch später, davon nichts mitbekommen zu haben. Mehr als ein Jahr lang wurde sie nach dem Krieg von den Amerikanern interniert, allerdings bis auf wenige Wochen unter recht privilegierten Bedingungen. 

Trotzdem behauptete Reitsch später, ihre Internierung sei schlimmer als die Konzentrationslager der Nazis gewesen. Sie hielt Kontakt zu ehemaligen NS-Größen und kritisierte die Kriegsverbrecherprozesse scharf als „Siegerjustiz“. 

Reitsch hatte Kontakt zur 1952 verbotenen NSDAP-Nachfolgeorganisation Sozialistische Reichspartei (SRP) und baute sich in den folgenden Jahrzehnten ein Netzwerk aus Rechtsextremen auf. Doch nach außen gab sich stets als politisch naiv und als eine Frau, die einzig von ihrer Liebe zu ihrer Heimat gelenkt werde. 

Reitsch war in Deutschland damals sehr beliebt

In den Fünfzigerjahren wuchs ihre Beliebtheit in Deutschland wieder. Im Ausland war die Lage komplizierter. 1954 in England und 1958 in Polen durfte sie nicht an den Segelflugweltmeisterschaften teilnehmen, dagegen wurde sie 1952 im faschistischen Spanien von offizieller Seite hofiert. 

1959 war sie zwei Monate Gast bei Indiens Premierminister Nehru und freundete sich auch mit der späteren Regierungschefin Indira Ghandi an. Anlass des Besuches war ihre Unterstützung beim Aufbau einer systematischen Segelflugausbildung in Indien. 

1961 wurde die Pilotin auch von US-Präsident John F. Kennedy im Weißen Haus empfangen. Von 1962 bis 1966 leitete sie mit Unterstützung des Außenministerium der Bundesrepublik eine Segelflugschule in Ghana.

In Deutschland erfreute sie sich zu dieser Zeit einer breiten Beliebtheit. Das änderte sich allerdings, als ab Ende der Sechzigerjahre die Studentenbewegung das bisherige Verdrängen der NS-Verbrechen in der deutschen Gesellschaft in Frage stellte. Nun musste zwangsläufig auch eine NS-Propaganda-Ikone wie Reitsch stärker in den Fokus rücken.

Reitsch radikalisierte sich immer weiter

In den Siebzigerjahren radikalisierte sich Reitsch selbst weiter, allerdings hielt sie sich in der Öffentlichkeit mit ihrer Meinung zurück, um den Verkauf ihrer Bücher nicht zu gefährden. Doch Ende der Siebzigerjahre konnte sie dieses Doppelspiel nicht mehr durchhalten. 

Hanna Reitsch
Hanna Reitsch im Jahr 1944. Imago

Der Hintergrund war eine Auseinandersetzung mit der evangelischen Christus-Gemeinde in Bremen, die sich darüber beschwerte, dass Reitsch auf einer Veranstaltung des Stahlhelms, eines Altnazi-Vereins, sprechen sollte. 

Und zwar ausgerechnet am 9. November 1978, dem 40. Jahrestag der Reichspogromnacht, während der in ganz Deutschland Synagogen sowie Geschäfte und Wohnungen von Juden zerstört und geplündert worden waren. Pastor Günter Ruholl von der Christusgemeinde warf ihr zudem vor, sich niemals von den Verbrechen der Nationalsozialisten losgesagt zu haben.

Reitsch wurde immer radikaler

Das wollte Reitsch nicht auf sich sitzen lassen und zog vor Gericht. Es ging um die Frage, ob sie, wie ihr Kritiker meinten, stets eine überzeugte Nationalsozialistin gewesen war, oder ob sie, wie sie selbst behauptete, lediglich politisch naiv gewesen sei und die Politik der Nationalsozialisten nie durchschaut habe. Doch während des Verfahrens, das zweimal unentschieden ausging, zeigte sich, das Reitsch sogar mehr war als eine überzeugte Hitler-Anhängerin. 

Umso stärker sie sich herausgefordert fühlte, desto radikaler wurde sie. Ruholl war für sie ein „durch die jüdische Gemeinde verhetzter“ junger Pastor. Das Judentum und auch der Staat Israel bekämpften Deutschland und sie ganz persönlich, glaubte sie. 

Sie warf „den Juden“ vor, den Holocaust, der für sie eine Lüge war, gegen Deutschland zu verwenden. In einem Brief an einen englischen Bekannten schrieb sie: „Der Jude ist in meinem Land. Die schlimmsten Lügen, die die Geschichte jemals mit dem ‚Holocaust‘ produziert hat, geht um die Welt mit dem Zweck, Deutschland zu hassen. Die Juden haben die seltensten Gehirne, um Hass, Hass, Hass anstelle des Friedens zu erfinden. Eine jüdische Film-‚Industrie‘ in den USA … gegründet, um sich selbst zu retten. Sie verdienen Millionen und Millionen von Dollar und die Deutschen sind so charakterlos und dumm wie keine Nation der Welt – und sie glauben es.“ 

Offizielle Todesursache: Herzversagen

Dabei haben neue Untersuchungen im Bundesarchiv Berlin ergeben, dass SS-Chef Heinrich Himmler, den sie sehr schätzte, Reitsch 1944 persönlich über die massenhafte Ermordung von Juden aufgeklärt hatte. 

Die Pilotin war nicht gewillt, ihre Ansicht über den Holocaust zu revidieren, wollte aber unbedingt vermeiden, dass sie öffentlich bekannt würde, um den Verkauf ihrer vier Bücher nicht zu gefährden. Doch als die Christus-Gemeinde schließlich vor das Bundesverfassungsgericht zog, war ihr klar, dass sie entweder Farbe bekennen oder nachgeben musste. Zu beidem aber war sie nicht bereit. 

Die Sache lief auf einen Showdown zu. Doch dann passierte etwas Überraschendes: Am 24. August 1979 fand ihre Haushälterin sie tot in ihrem Bett – zwei Monate vor dem geplanten Beginn des Prozesses. 

Die offizielle Todesursache lautete Herzversagen, doch manche Bekannte Reitschs zweifelten das an und vermuteten einen Selbstmord. Ihr Geheimnis nahm sie mit ins Grab: dass sie eine Holocaust-Leugnerin war, obwohl sie von der Judenvernichtung seit 1944 wusste. Es wurde erst jetzt gelüftet.