Friedland: Im Todesfall Liana K. gehen Ermittler jetzt brisantem Verdacht nach

Im Todesfall Liana K. scheinen die Dinge eindeutig. Die 16-Jährige aus der Ukraine war im August 2025 am Bahnhof im niedersächsischen Friedland von einem einfahrenden Güterzug mitgerissen worden und gestorben.

Unter dringendem Tatverdacht steht der abgelehnte Asylbewerber Muhammad A. (31) aus dem Irak. Der vollziehbar ausreisepflichtige und psychisch labile Migrant soll Liana K. absichtlich vor den Zug gestoßen haben. Seine DNA wurde an der rechten Schulter des Opfers gefunden. Am Bahnhof Friedland gibt es keine Videoüberwachung. Der Beschuldigte selbst schweigt.

Liana K. (16) starb in Friedland - Iraker (31) soll sie gegen Zug gestoßen haben

Alles deutet also darauf hin, dass der in einem Fachkrankenhaus für Forensische Psychiatrie (Maßregelvollzug Moringen) sitzende Mann die Jugendliche umgebracht hat. Die Staatsanwaltschaft Göttingen ermittelt gegen ihn wegen Totschlags – als einzigen Verdächtigen.

Allerdings prüfen die Ermittler nach FOCUS-online-Informationen derzeit auch eine andere, äußerst unwahrscheinliche Variante. Sie gehen der Frage nach, ob es sich – theoretisch – doch um einen Unfall gehandelt haben könnte, wie ganz am Anfang vermutet. Das wäre der Fall, wenn der Fahrtwind des mit Tempo 100 einrollenden Güterzugs die Auszubildende mitgerissen hätte. 

Oberstaatsanwalt Frank-Michael Laue von der zuständigen Staatsanwaltschaft Göttingen erklärte an diesem Donnerstag gegenüber FOCUS online, seine Behörde habe „ein Gutachten zur Rekonstruktion des Geschehens“ in Auftrag gegeben. „Dabei geht es auch um die Frage, ob ausgeschlossen werden kann, dass der Sog beziehungsweise Fahrtwind des durchfahrenden Zuges dazu geführt hat, dass das Opfer an den Zug gelangt ist“, so Laue.

Staatsanwaltschaft: Gutachten soll Geschehen auf Bahnsteig rekonstruieren

Fakt ist, dass Liana K. unmittelbar vor der tödlichen Kollision mit dem Zug telefoniert hat. Sie sprach mit ihrem Großvater in der Ukraine. Der gab an, das Dröhnen des herannahenden Güterzuges gehört zu haben, der gegen 16 Uhr vorbeirauschte. Dann hörte er einen Schrei, das Telefonat brach ab.

Aus Sicht der Strafverfolger scheint am plausibelsten, dass sich Muhammad A. der 16-Jährigen unbemerkt genähert und sie gegen den Zug gestoßen hat. Ein heimtückischer Angriff auf ein arg- und wehrloses Opfer also.

Selbst wenn das Gutachten zu dem Schluss kommen sollte, dass ein Unfallgeschehen durch den Sog des Zuges „nicht auszuschließen“ sei – die DNA-Spuren am Körper des Opfers belasten den Beschuldigten schwer. Und bislang gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass er das Mädchen zuvor angefasst hat, sie womöglich wegging und erst dann, mit längerem zeitlichen Abstand, vom Zug erfasst wurde. 

Unfall-Szenario sehr unwahrscheinlich - dennoch gab es solche Vorfälle schon

Dass die Ermittler das Unfall-Szenario überhaupt in Erwägung ziehen, liegt an mehreren Vorfällen, bei denen Menschen an Bahnsteigen tödlich verunglückten oder schwer verletzt wurden.

So starb 2020 im schleswig-holsteinischen Tornesch ein am Bahnsteig stehender Mann, nachdem ihn die Sogwirkung eines vorbeifahrenden Regionalzugs erfasst hatte. Er wurde zunächst gegen den Zug geschleudert und fiel dann auf den Bahnsteig, wo er seinen Verletzungen erlag. 2010 kam im fränkischen Forchheim ein 24-Jähriger ums Leben, der vom Fahrtwind eines ICE mitgerissen wurde.

Und es gibt weitere Fälle: Im Bahnhof Brackwede (Nordrhein-Westfalen) wurde ein 40 Jahre alter Mann, der zu nahe an der Bahnsteigkante stand, von einem ICE berührt und schwer am Kopf verletzt. In Benrath (Nordrhein-Westfalen) wurde ein 75-Jähriger vom Luftdruck eines durchfahrenden Intercitys umgestoßen. Mehrmals wurden – leere – Kinderwagen von den Luftverwirbelungen eines Zuges mitgerissen und auf die Gleise gezogen. Es starben auch schon Bahnarbeiter, die vom Luftstrom eines Güterzugs angesaugt wurden.

Bereits 2011 meldete das ARD-Magazin „Kontraste“, dass zwischen 2006 und 2010 bundesweit insgesamt 18 Menschen durch Unfälle an Bahnsteigen gestorben seien. Ursache in mehreren Fällen: die Sogwirkung von durchfahrenden Zügen.

Bahn, ADAC und Polizei warnen: "Gefährlicher Sog" durch Züge

Die Beispiele zeigen, dass vorbeifahrende Züge für Menschen, die am Gleis stehen, durchaus zum Problem werden können. Nicht umsonst mahnt die Deutsche Bahn auf ihrer Internetseite zur „besonderen Vorsicht“ am Bahnsteig. „Der Sog, der zum Zug hin entsteht, kann gefährlich werden“, heißt es dort.  

Auch der ADAC warnt eindringlich: „Wer seinen Kopf nur Richtung Handy beugt, ohne seine Umgebung wahrzunehmen, gerät im Gleisbereich schnell in Gefahr, denn die Sogwirkung eines vorbeirauschenden Zuges ist nicht zu unterschätzen.“

Und die Bundespolizei fordert Reisende auf, „unmittelbar neben den Gleisen“ sehr achtsam zu sein. „Vorbeifahrende Züge haben eine sehr starke Sogwirkung, die zu schweren, teils tödlichen, Unfällen führen kann.“ Deshalb sollte man „den gekennzeichneten Sicherheitsbereich (schraffierte Fläche oder Linie) beachten und noch weiter zurücktreten, wenn ein Zug den Bahnhof passiert“.

Eltern des Opfers: Kein Unfall, sondern schweres Gewaltverbrechen

Was sich am 11. August 2025 am Bahnhof in Friedland abspielte und auf welche Weise Liana K. tatsächlich aus dem Leben gerissen wurde, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen. Die Eltern des Opfers haben einen Unfall von Anfang an ausgeschlossen. Sie gehen bis heute von einer brutalen Gewalttat aus – ähnlich wie die Staatsanwaltschaft.  

Der Beschuldigte Muhamad A. schweigt auf Anraten seines Pflichtverteidigers Henner Garth zu den Vorwürfen. Und das dürfte auf absehbare Zeit so bleiben. Rechtsanwalt Garth zu FOCUS online: „Wir werden weiterhin keine Angaben zum Sachverhalt machen.“ Das könne sich „gegebenenfalls nach Abschluss der Ermittlungen ändern“. 

Wann die Staatsanwaltschaft ihre Untersuchungen zu dem Fall abschließen und Anklage erheben wird, sei noch unklar, so Behördensprecher Andreas Buick.