Der neue GDL-Chef: Eine „andere Type“ als Weselsky
Der neue GDL-Chef Mario Reiß spricht im Interview mit merkur.de und „Münchner Merkur“ über seinen Vorgänger Claus Weselsky und die Krise der Bahn.
Mario Reiß. Jahrgang 1966, kommt mit einem schweren Rollkoffer direkt aus Berlin in unsere Münchner Redaktion. Der neue Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL, der im September Claus Weselsky abgelöst hat, bereist gerade die GDL-Bezirksverbände. Gleich muss er weiter nach Köln - das unstete Leben eines Gewerkschafts-Funktionärs. Reiß hat noch zu DDR-Zeiten Schlosser und danach Lokführer gelernt. In der DDR hieß das Streckenlokführer, Reiß fuhr Züge von Sachsen aus nach Berlin oder Halle. Das CDU-Mitglied lebt in einem Dorf bei Torgau/Sachsen in einem Haus, das er in jungen Jahren als kaum 20-Jähriger selbst gebaut hat, wie er nicht ohne Stolz erzählt.
Müssen wir uns bei Ihnen auch wieder auf beinharte Lokführer-Streiks gefasst machen?
Die Befürchtung kann ich Ihnen leider nicht nehmen. Beinhart sind wir dann in Auseinandersetzungen gegangen, wenn die Deutsche Bahn mit uns nicht klargekommen ist. Wir kämpfen für unsere Mitglieder, in Zeiten von Inflation wird das ja nicht leichter. Allerdings ist der jetzige Tarifvertrag ja noch nicht ausgelaufen. Bis nächsten Oktober wird es keine neue Tarifrunde geben. Wir gehen auch davon aus, dass die Bahn aus den letzten Auseinandersetzungen mit uns ihre Lehren gezogen hat und künftig normal verhandelt.
Sie sind langjähriger Wegbegleiter von Claus Weselsky, waren zuletzt sein Stellvertreter. Worin unterscheiden Sie sich?
Klar, ich bin eine andere Type, aber die Aufgabe als GDL-Vorsitzender bleibt die gleiche. Claus war dafür bekannt, dass er gerade in Auseinandersetzungen einen sehr deutlichen Ton bevorzugt hat. Ich fand, das war passend. Wir gehen davon aus, dass wir als neuer Vorstand versuchen werden, einen anderen Ton anzustimmen. Wenn das nicht reicht, können wir das aber ändern.
Die Bahn steckt in einer Krise. Wo würden Sie ansetzen?
Die Krise wird jeden Tag dramatischer. Es kann doch nicht sein, dass wir heute mit diesen technologischen Möglichkeiten einen Zug nicht pünktlich von A nach B bekommen. Hier fehlt Verantwortungsbewusstsein. Die Bahn im Eigentum des Bundes wird von einer Konzernleitung vertreten, die die Bahn in den letzten 30 Jahren nicht nur ausgesaugt, sondern auch kaputt gespart hat. Ansetzen würde ich mit einer Änderung der Organisation. Wir brauchen eine Trennung der Infrastruktursparte InfraGo von der DB AG.
Die Zerschlagung als erster Schritt zur Besserung?
DB-Vorständen, die jahrelang Fehler gemacht haben, kann ich nicht vertrauen. Ich erwarte mehr Fachlichkeit, mehr Eisenbahn-Verständnis.
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Ich rede nicht von Zerschlagung, sondern einer Veränderung der DB AG. InfraGo kann so wie es ist nicht gemeinwohl-orientiert agieren. Zweiter Punkt: DB-Vorständen, die jahrelang Fehler gemacht haben, kann ich nicht vertrauen. Ich erwarte mehr Fachlichkeit, mehr Eisenbahn-Verständnis.
DB-Chef Lutz soll gehen?
Dr. Lutz schätze ich als Finanzexperte. Die Bahn benötigt allerdings keine Finanzjongleure. Es ist an der Zeit, einen Wendepunkt für die Bahn zu setzen, und dann würde keiner verstehen, warum trotz jahrelanger Schlechtleistung weiter hohe Gehälter für diese Art der Topmanager gezahlt werden, die besser die Konsequenz und die Verantwortung für das Desaster tragen sollten.
Noch ein aktuelles Problem: DB Cargo geht es schlecht. Warum?
DB Cargo produziert seit Jahren zwischen 400 und 800 Millionen Euro pro Jahr Verlust. Jetzt hat die EU ein Beihilfeverfahren eingeleitet. DB Cargo steht nun derart unter Beobachtung, dass sie sich dieses Defizit künftig nicht mehr leisten kann. Allerdings will der Vorstand an der falschen Stelle sparen: Wir befürchten massiven Personalabbau bei den eigentlich dringend gebrauchten Mitarbeitern der Produktion: Lokomotivführer, Wagenmeister, Disponenten, Rangierer. Mehrere tausend Stellen stehen im Feuer. Die ersten Sozialpläne mit unseren Betriebsräten werden schon verhandelt. Dabei hat DB Cargo ein überbordendes Overhead, das weitestgehend unangetastet bleibt. Damit wird die DB Cargo noch unwirtschaftlicher und keinesfalls zukunftsfähig.
Früher waren Eisenbahner Respektspersonen. Das hat sich geändert, oder?
Das ist eine leidvolle Entwicklung. Eisenbahner haben eine verantwortungsvolle Aufgabe und verfügen über sehr viel Fachwissen. Von daher sollten einen diese Berufe mit Stolz erfüllen. Aber diese Berufsehre haben die DB-Vorstände seit Mehdorn kaputt gemacht. Man hat den Leuten die Uniform genommen, um die Minuten der Einkleidungszeit einzusparen – das ist kein Witz! Auch das hat zum Verlust von Respekt geführt. Da geht Eisenbahnkultur verloren. Heute sind die Eisenbahner in der Regel froh, wenn sie keiner erkennt.