Tumulte im Saal, Tausende auf der Straße: Taiwans Parlament verabschiedet umstrittenes Gesetz
Am Ende könnte China profitieren: Unter lautstarkem Protest hat Taiwans Parlament ein Gesetz verabschiedet – es schwächt den neuen Präsidenten des Landes.
Immerhin: Anders als noch vor ein paar Tagen wurde diesmal offenbar niemand verletzt. Dramatisch waren die Szenen dennoch, die sich am Dienstag (28. Mai) im taiwanischen Parlament abspielten. Schwarz gekleidete Abgeordnete der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) – die den neuen Präsidenten stellt, in der Volksvertretung aber in der Minderheit ist – demonstrierten am Nachmittag lautstark gegen ein Gesetzesvorhaben der Mehrheitsparteien. Es kam zu einzelnen Handgemengen, Ballons und mit Müll gefüllte Plastiksäcke flogen durch den Sitzungssaal, Papierflieger schwirrten durch die Luft. Nur anderthalb Wochen zuvor waren im Parlament noch die Fäuste geflogen. Es waren unschöne Szenen für ein Land, das sich so gerne als Vorzeigedemokratie präsentiert, als Gegenmodell zum autoritären China.
Während das Gesetz im Parlament, den sogenannten Legislativ-Yuan, in die dritte und letzte Lesung ging, zogen draußen vor den Toren Tausende im Nieselregen durch die Straßen. „Ohne Debatte keine Demokratie“, stand auf ihren Plakaten, und: „Zieht das Gesetzesvorhaben zurück!“ Doch der Protest blieb vergeblich, gegen 17 Uhr Ortszeit verabschiedete die Parlamentsmehrheit aus Kuomintang (KMT) und der kleinen Taiwanischen Volkspartei (TPP) das umstrittene Gesetz. Es sieht vor, dass das Parlament Firmenvertreter, Militärangehörige und ganz normale Bürger vorladen und befragen kann. Zudem sollen Falschaussagen im Parlament strafbar sein, außerdem muss sich Taiwans Präsident künftig regelmäßig den Fragen der Abgeordneten stellen.

Gesetzesgegner fürchten Schwächung des taiwanischen Präsidenten
Die Befürworter des Gesetzes argumentieren, dass das Parlament gestärkt werde, wenn sich Präsident und Regierung vor den Abgeordneten verantworten müssen. Die Gegner befürchten hingegen eine Schwächung des Präsidenten, dessen Arbeit das Parlament künftig lähmen könnte. Zudem stören sich die DPP-Anhänger daran, dass KMT und TPP das Vorhaben ohne nennenswerte Debatte und im Eiltempo durch die Volksvertretung gepeitscht haben.
Auch befürchten die Kritiker des Gesetzes, dass im Parlament abgefragte Geheiminformationen, etwa zur Verteidigungsfähigkeit des Landes, an die Öffentlichkeit durchsickern und in Peking landen – China betrachtet Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets und droht damit, die Inselrepublik militärisch zu erobern. Vergangene Woche erst hatte China zweitägige Militärmanöver rund um Taiwan durchgeführt, als Reaktion auf den Amtsantritt des chinakritischen Präsidenten Lai Ching-te. Es war eine unverhohlene Drohgebärde in Richtung der regierenden DPP.
Profitiert China von Taiwans neuem Gesetz?
„Das Parlament wird eine Plattform für das Durchsickern von Geheimnissen, weil Peking Schlüsselinformationen durch chinafreundliche Abgeordnete erlangen kann“, kritisierte am Dienstag Kuo Kuo-wen von der DPP. Sein Parteikollege Ker Chien-ming sprach vom „dunkelsten Tag“ in der Geschichte Taiwans seit der Demokratisierung des Landes vor rund drei Jahrzehnten. Die Kritik zielt vor allem auf KMT-Abgeordnete ab, von denen sich viele ein engeres Verhältnis zur kommunistischen Volksrepublik wünschen. Erwartet wird, dass die DPP nun gerichtlich gegen das Gesetz vorgeht.
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Die Tumulte zeigen, wie zerstritten die taiwanische Politik ist. Im Wahlkampf Anfang des Jahres standen sich DPP sowie KMT und TPP unversöhnlich gegenüber; nun sieht sich Präsident Lai mit einer Fundamentalopposition im Parlament konfrontiert. Einige Anhänger seiner Partei werfen KMT und TPP sogar vor, ihr Land an China zu verkaufen. Zwar plädieren die beiden Parteien für mehr Austausch mit der Volksrepublik, einen Anschluss an das Festland wollen aber auch sie nicht. Dennoch dürfte am Ende Peking der lachende Dritte sein: Ein zerstrittenes Taiwan und eine gelähmte Regierung sind ganz im Interesse der chinesischen Führung.
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