Der Mann, den China hasst, wird Taiwans neuer Präsident

Видео по теме

" frameborder="0" allowfullscreen allow="accelerometer; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture">
" frameborder="0" allowfullscreen allow="accelerometer; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture">
  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Lai Ching-te wird neuer Präsident Taiwans. © Alastair Pike/AFP

Taiwan hat gewählt: Mit Lai Ching-te gewinnt jener Kandidat, den China um jeden Preis verhindern wollte. Gut möglich, dass Peking nun seine Muskeln spielen lässt.

Zum Start in diesen Wahltag schickte China Kampfjets. Acht Flugzeuge sowie ein Kriegsschiff der chinesischen Volksbefreiungsarmee habe man in den vergangenen 24 Stunden in der Nähe von Taiwan gesichtet, teilte das Verteidigungsministerium in Taipeh am Samstagmorgen mit. Die Wahllokale hatten da schon gut zwei Stunden geöffnet, die ersten der rund 19,5 Millionen Wähler hatten ihre Stimme abgegeben für einen neuen Präsidenten und die 113 Abgeordneten des taiwanischen Parlaments. Acht Kampfjets, das klingt dramatisch. Doch seit Langem schon versucht Peking quasi täglich, die Taiwaner mit solchen Drohgebärden einzuschüchtern; im September zählte Taiwans Militär einmal gar 103 chinesische Kampfflugzeuge.

Einschüchtern lassen sich die Taiwaner ohnehin nicht von Chinas martialischen Gesten, das konnte man an diesem Samstag einmal mehr beobachten. Denn die Präsidentschaftswahl gewann jener Kandidat, den Peking mit allen Mitteln verhindern wollte: Lai Ching-te von der seit acht Jahren regierenden Demokratischen Fortschrittspartei (DPP). Lai kam auf gut 40 Prozent der Stimmen, was in Taiwan reicht, um Präsident zu werden, da es keine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten gibt. Erstmals seit Taiwans Demokratisierung Mitte der 90-er kann eine Partei nun dreimal in Folge Taiwans Präsidenten stellen (Amtsinhaberin Tsai Ing-wen durfte nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten).

Taiwan-Wahl 2024: „Kümmert mich überhaupt nicht, was die Regierung in Peking über Lai und die DPP denkt“

Der 65-jährige Lai Ching-te, ein ehemaliger Arzt und seit vier Jahren Taiwans Vizepräsident, war als Favorit ins Rennen gegangen, fast alle Umfragen sahen ihn zuletzt vorne, allerdings mit geringem Abstand auf die anderen beiden Kandidaten. Dass er die Wahl nun so deutlich gewann, liegt nicht zuletzt an der zerstrittenen Opposition: Hou Yu-ih von der Kuomintang (KMT) kam nur auf 33 Prozent, Ko Wen-je von der 2019 gegründeten Taiwanischen Volkspartei (TPP) auf 26 Prozent. Eigentlich hatten beide zusammen antreten wollen, einer als Präsidentschaftskandidat, der anders als sein Vize. Doch im letzten Moment gerieten sich Hou und Ko über die Rollenverteilung in die Haare und ebneten so Lai Ching-te den Weg in den Präsidentenpalast.

Im Bezirk Zhongshan im Norden von Taipeh hat Lin Chin-lung für Wahlgewinner Lai von der DPP gestimmt. „Er steht für eine moderne Politik“, sagt der 22-jährige Student. „Die DPP hat die Ehe für alle eingeführt, die anderen Kandidaten haben sich hingegen immer wieder negativ über Schwule und Lesben geäußert“, sagt er. Dass China einen Präsidenten Lai verhindern wollte, sei ihm egal. „Ehrlich gesagt kümmert es mich überhaupt nicht, was die Regierung in Peking über Lai und die DPP denkt.“

Taiwans künftiger Präsident fordert „Dialog statt Konfrontation“

Dabei hatte sich Peking in den vergangenen Tagen und Wochen noch einmal mächtig ins Zeug gelegt, um Taiwans Wähler davon zu überzeugen, ihre Stimme nicht Lai zu geben, sondern dem eher China-freundlichen KMT-Mann Hou Yu-ih. Die Taiwaner müssten „die richtige Entscheidung treffen“, polterte die für Taiwan zuständige Behörde in Peking vor wenigen Tagen, denn es bestehe „die extreme Gefahr, dass Lai Ching-te eine Konfrontation und einen Konflikt zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße auslöst“. China betrachtet Lai als Separatisten und nimmt es ihm bis heute übel, dass er sich einst als „pragmatischen Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans“ bezeichnet hat. Zur Regierung von Noch-Präsidentin Tsai brach Peking 2016 sämtliche Kontakte ab.

„Als Präsident kommt mir die wichtige Verantwortung zu, Frieden und Stabilität in der Taiwanstraße aufrechtzuerhalten“, sagte Lai nun nach seiner Wahl vor Journalisten. Den Status quo werde er „unter den Prinzipien der Würde und Gleichwertigkeit“ beibehalten. Im Verhältnis zu China müsste „Konfrontation durch Dialog ersetzt“ werden, die Verantwortung dafür trage Peking. Tatsächlich ist es China, das den Konflikt anheizt. Sein Land werde nie auf den Einsatz von Gewalt verzichten, um Taiwan anzugliedern, droht etwa Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Mit den hysterischen Warnungen vor Lai, den militärischen Drohgebärden und einer Flut an gezielt gestreuter Desinformation hat Peking nun allerdings das Gegenteil erreicht von dem, was es wollte. Ganz ähnlich war das schon einmal: Als sich Amtsinhaberin Tsai Ing-wen 2020 zur Wiederwahl stellte, ließ China gerade in Hongkong mit aller Gewalt die dortige Demokratiebewegung niederschlagen. Das Ergebnis war ein Erdrutschsieg für Tsai – und führte zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehung zwischen beiden Ländern. Für Peking ist Tsais DPP ein Hassobjekt, an dem sie sich seit Jahren abarbeitet. Wobei es für China schon Provokation genug ist, dass Taiwan überhaupt eine eigene Regierung wählt, dass das Land eine lebendige Demokratie ist und so den Gegenbeweis antritt zu Pekings These, Chinesischsein und Demokratie würden schlicht nicht zusammenpassen.

Taiwans Wahlsieger will mit Opposition zusammenarbeiten

Und nun? Beobachter befürchten, dass China schon bald mit Militärmanövern in der Nähe von Taiwan auf den Sieg von Lai Ching-te reagieren könnte. Auch wird Lai all jene Taiwaner von sich überzeugen müssen, die ihm nicht ihre Stimme gegeben haben – immerhin rund 60 Prozent der Wähler. Die beiden unterlegenen Kandidaten Hou und Ko plädierten für Dialog mit Peking, um die Spannungen in der Taiwanstraße zu verringern. Lai gab sich zwar ebenfalls gesprächsbereit – „unsere Tür wird immer offen sein“, sagte er vor einigen Tagen in Richtung China. Doch dass Peking schon bald den Telefonhörer abnimmt, wenn Lai anruft, erscheint äußerst unwahrscheinlich.

Und dann sind da noch die vielen innenpolitischen Probleme, vor denen Lai steht. Die Mieten in Taiwan sind hoch, die Gehälter gering, der Mindestlohn viel zu niedrig. Taiwan mag eines der reichsten Länder Asiens sein, doch vom wirtschaftlichen Aufstieg der Inselnation, die die ganze Welt mit hoch entwickelten Mikrochips versorgt, haben nicht alle Bürger gleichermaßen profitiert, die Ungleichheit ist groß. Hinzu kommt nun die politische Spaltung des Landes in die Anhänger von Lai und die sehr vielen Gegner des künftigen Präsidenten. Im Legislativ-Yuan, dem taiwanischen Parlament, verlor die DPP zudem ihre Mehrheit und liegt nun knapp hinter der KMT. Am Wahlabend rief Lai die beiden unterlegenen Kandidaten Hou und Ko deswegen zur Zusammenarbeit auf; gemeinsam solle man Lösungen finden für die Probleme des Landes.

Mitte Mai tritt Lai Ching-te sein Amt an. Bis dahin muss er nicht nur auf Chinas Drohungen eine überzeugende Antwort gefunden haben.

Auch interessant

Kommentare