„Fassungslosigkeit – Wut kommt noch“: Wegen Merz-Kurs gärt es in der CDU-Basis
Es rumort in der CDU. Immer mehr Mitglieder kehren der Partei den Rücken – teils einzeln, teils gleich ganze Verbände. Auslöser ist der Kurswechsel von CDU-Chef Friedrich Merz beim Umgang mit Schulden und die Zustimmung zum milliardenschweren Finanzpaket mit der SPD. Für die Parteispitze eine „kluge Entscheidung“ , wie der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Fraktion, Thorsten Frei, letzte Woche im Bundestag erklärte. Für viele an der Basis gleicht das Vorgehen allerdings eher einem Tabubruch.
„Unter den Mitgliedern herrscht Fassungslosigkeit – die Wut kommt noch“, sagte Matthias Grahl, CDU-Schatzmeister in Sachsen der „Welt“. Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann räumte laut diesem Bericht ein, dass es aktuell „höhere Austrittszahlen als üblich“ gebe. Konkrete Zahlen nennt die Parteizentrale auf Medienanfragen nicht – doch aus den Landesverbänden mehren sich die Berichte.
CDU-Austritte in mehreren Bundesländern – das sind die Fälle:
Kühlungsborn (Mecklenburg-Vorpommern):
Der CDU-Stadtverband Kühlungsborn ist nahezu komplett zurückgetreten. Rund 18 Mitglieder erklärten gemeinsam ihren Austritt, darunter der Vorstand und die Fraktion. Auslöser für den kollektiven Austritt waren laut den Mitgliedern sowohl der Verlauf der laufenden Koalitionsverhandlungen als auch zentrale Entscheidungen von CDU-Chef Merz, berichtet der "Spiegel".
Besonders kritisch sehen die Unterzeichner die von Union und SPD beschlossene Einrichtung des Sondervermögens und Lockerung der Schuldenbremse. Dies sei aus ihrer Sicht ein klarer Bruch mit einem zentralen Prinzip der Partei: „Die Schuldenbremse ist die DNA der CDU. Durch die aktuelle Grundgesetzänderung wurde diese faktisch aufgehoben.“
Neben der Finanz- und Klimapolitik kritisieren die Mitglieder auch die bisherigen Ergebnisse der Gespräche zur Migrationspolitik. Die bisher vereinbarten Maßnahmen seien nicht ausreichend – stattdessen müsse man „die Pull-Faktoren auf das absolute Minimum“ senken. Ein echter Kurswechsel sei mit der SPD als Koalitionspartner jedoch nicht zu erwarten, so die Einschätzung.
Der Austritt von gleich 18 Mitgliedern bleibt für die CDU Kühlungsborn nicht folgenlos – im Gegenteil. „Als einer der größten Stadtverbände des Landkreises Rostock ist uns bewusst, dass unsere Entscheidung auch einen Schaden hinterlässt.“ Mit dem Rückzug nahezu des gesamten Vorstands, der Fraktion und weiterer Mitglieder stehe der Verband vor dem Aus. „Der CDU-Stadtverband Kühlungsborn wird in sich zusammenfallen und faktisch nicht mehr handlungsfähig sein“, heißt es in der Erklärung.
Sachsen-Anhalt:
Ein nicht namentlich genannter CDU-Kreischef aus Sachsen-Anhalt berichtete der „Bild“, man habe bereits ein Dutzend Austritte oder Ankündigungen verzeichnet. „Natürlich reden wir mit allen und versuchen, sie umzustimmen“, so der Politiker. „Wie viele es am Ende wirklich sind, wird man in ein paar Wochen sehen.“
Genaue Zahlen fehlen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hörte sich laut Medienberichten auf der jüngsten Fraktionssitzung den Frust an der Basis an. Er könne verstehen, dass die Stimmung gedrückt sei. Aber wer regieren wolle, müsse auch Kompromisse machen.
Baden-Württemberg:
Hier trat Daniel Hackenjos, ehemaliger Landeschef der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), aus der CDU aus. Steffen Peschke, MIT-Chef in Thüringen, sagte der „Bild“: „Einige Mitglieder sind bereits ausgetreten, andere denken darüber nach. Ich weiß auch von anderen Bundesländern, dass namhafte Leute zurückgetreten sind.
Eisenach (Thüringen):
Der Eisenacher Stadtrat Andreas Neumann erklärte in einem öffentlichen Schreiben seinen sofortigen Austritt. Seine Begründung: „Die CDU verrät ihre Prinzipien, bricht Wahlversprechen und täuscht den Wähler.“ Die jüngste Grundgesetzänderung – beschlossen noch vor Konstituierung des neuen Parlaments – nennt er „legal, aber nicht legitim“ und einen Bruch demokratischer Gepflogenheiten.
Auch in Hessen und Hamburg soll es laut „Bild“ Austritte gegeben haben.
Die Kritik trifft Parteichef Merz direkt – und sie kommt nicht nur aus den eigenen Reihen. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warf Merz trotz Zustimmung ihrer Fraktion vor, vor der Wahl jede Reform der Schuldenbremse abgelehnt zu haben: „Daran hat sich die Union regelrecht berauscht.“
CDU will Kurs verteidigen – Amthor mit klarer Ansage
Der Generalsekretär der Landes-CDU in Mecklenburg-Vorpommern, Philipp Amthor, äußerte im Interview mit dem „NDR“ Verständnis für die Sorgen – aber wenig für den Zeitpunkt der Austritte:„Einen Austritt mitten in Koalitionsverhandlungen zu begründen, ohne deren Ergebnisse abzuwarten, halte ich persönlich für unpassend“, so Amthor.
Er werte die Entscheidungen als "erneuten Beleg für die berechtigte Erwartung der Parteibasis, dass die CDU den vor der Wahl versprochenen Politikwechsel auch nach der Wahl in einer neuen Regierung umsetzt". Die ausgetretenen Mitglieder seien "herzlich eingeladen, sich erneut für die christdemokratische Sache einzubringen. Andernfalls sollten sie ihre über die CDU errungenen Mandate niederlegen", so Amthor.