„Beitrag zur Aufwertung der AfD“: So gefährlich ist die Abstimmung zu Merz-Migrations-Plänen

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Die Union will die Migrationspolitik ändern und nimmt dabei AfD-Hilfe in Kauf. Ein Politologe sieht darin eine Gefahr für die Abgrenzung zur rechtsextremen Partei.

Die Migrations- und Asyldebatte erreicht in diesen Tagen ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Union will die Bundesregierung am Mittwoch mit zwei Anträgen auffordern, die Migrationspolitik in Deutschland grundlegend zu ändern. Möglicherweise entscheidende Schützenhilfe dürfte von der AfD kommen. CDU und CSU ernten deshalb scharfe Kritik von SPD und Grünen.

Der Politologie-Professor Wolfgang Schroeder kritisiert die geplante Abstimmung zur Asylverschärfung der Union im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau. „Merz‘ 5-Punkte-Plan ist ein wissentlicher Beitrag zur Aufwertung der parlamentarischen Relevanz dieser Partei. Die AfD wird mit großer Genugtuung betonen, die Union setze endlich um, was die AfD seit fünf Jahren fordert“, kritisiert der Politikwissenschaftler der Universität Kassel. Die Union verrate damit ihre Selbstverpflichtung, sich auf allen Ebenen klar zur AfD abzugrenzen.

Abstimmung im Bundestag zu Migrations-Plänen: Brandmauer muss Bestand haben

Schroeder hält die Brandmauer für „legitim und notwendig, solange die AfD vom Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextrem eingestuft wird“. Das müsse für alle Parteien gelten, die das Potenzial hätten, die Demokratie in ihren Grundzügen infrage zu stellen. „Wir hatten mit der NSDAP schon einmal eine Partei, die auf demokratischem Weg an die Macht gekommen ist. Daraus erwächst die Verantwortung, sich in einer wehrhaften Demokratie von stark rechtsextremen Parteien abzugrenzen. Mit der gemeinsamen Abstimmung wird diese Brandmauer in starkem Maß ohne Not relativiert.“

Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder
Wolfgang Schroeder, aufgenommen im Jahr 2017. © David Ausserhofer/WZB Berlin/dpa/Archivbild

Wie aber sollen die etablierten Parteien mit der AfD nach der Bundestagswahl umgehen, wenn sie deutlich stärker im Bundestag vertreten sein wird? „Es ist an der AfD nachzuweisen, dass sie sich im Sinne der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verhält“, sagt Schroeder. Bislang sei die AfD mit einer Politik aufgefallen, die auf gezielte Provokation und Öffentlichkeitswirkung setze, sich im Plenum inszeniere, aber weniger an inhaltlicher parlamentarischer Arbeit interessiert sei. Das haben Schroeder und Kollegen wissenschaftlich am Beispiel der Landesparlamente untersucht. Im Europaparlament scheint die AfD-Strategie ähnlich auszusehen.

„Die Grünen haben sich in ihren Anfängen ähnlich wie die AfD durch Regelverletzungen hervorgetan“

Schroeder sieht Parallelen zu den Anfängen der Grünen, als diese 1983 erstmals in den Bundestag zogen. „Die Grünen waren eine systemtransformative Kraft, die das Parlament zunächst als Bühne gesehen hat. Sie haben sich ähnlich wie die AfD durch Regelverletzungen gegenüber Gepflogenheiten des parlamentarischen Systems hervorgetan“, erinnert Schroeder, der in Kassel die Professur „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“ innehat.

Hier hörten die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. „Die Grünen haben sich sehr schnell auf die Verfassung eingelassen und als kreativ positive Kraft innerhalb der Verfassung Veränderungsvorstellungen eingebracht mit einer Kraft des Kompromisses. Die AfD setzt auf die Kraft des Dissens. Die Grünen sind evidenzbasiert, die AfD begegnet der Wissenschaft mit Misstrauen“, so Schroeder weiter.

Nach Bundestagswahl: „Der AfD kann eine Deradikalisierung bevorstehen“

Die AfD müsse sich nach der Wahl stärker auf das System einlassen, um koalitionsfähig zu werden. „Nur so kann sie weiter mitspielen, denn das parlamentarisch demokratische System in der Bundesrepublik ist sehr stark. Hier könnte wie in der Vergangenheit bei den Grünen eine Deradikalisierung bevorstehen“, sagt Schroeder. Eine solche Anpassung an parlamentarische Rahmenbedingungen sei auch bei anderen Rechtsaußen-Parteien in Europa zu beobachten.

Und dennoch: eine durch Protestwähler erstarkte AfD ist durchaus in der Lage, politische Debatten zu bestimmen: „Die AfD verändert das Klima und hat einen starken Einfluss auf das Parlament, weil sie es mit ihrer Rhetorik unter Handlungsdruck setzt. Hier bringt sie eigene Positionen ein, die von den etablierten Parteien nicht ignoriert werden können“, so Schroeder.

Die Herausforderung der Union im Umgang mit der AfD sei dabei besonders groß, das Wählerspektrum am rechten Rand nicht extremistischen Kräften zu überlassen und effektive Oppositionsarbeit zu leisten, ohne sich mit der AfD gemein zu machen. Die einzige Antwort auf dieses Dilemma nach Ansicht des Politikwissenschaftlers: „Geschlossenheit der etablierten Parteien“.

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