Vor allem in Deutschland: Unbemerkt boomt die wichtigste Klima-Branche der Zukunft

Fünf Millionen Tonnen: So viel ausgediente Elektrogeräte wanderten 2022 in der EU in den Müll. In Deutschland sind es etwa 12 Kilogramm pro Einwohner - eine schier unvorstellbare Masse an vor sich hin rostenden Geräten, die nicht nur fachgerecht entsorgt werden müssen, sondern eigentlich auch einen wertvollen Schatz beinhalten. Metalle, seltene Erden oder Lithium - genau das also, was wir für neue Handys, Computer oder Batterien dringend brauchen.

Auch die EU weiß das und hat deswegen 2021 einen Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft verabschiedet, mit dem Ziel, diese bis 2050 zu erreichen.

Diese Botschaft ist auch in der Wirtschaft angekommen: Seit fast zehn Jahren wächst die Zahl an Unternehmen und Start-ups, die sich dem zirkulären Wirtschaften verschrieben haben. Das zeigt eine neue Studie von Circular Republic, einer Initiative der Start-up-Förderung UnternehmerTUM. FOCUS online Earth ist Medienpartner des Circular Republic Festivals, das am Donnerstag und Freitag in München stattfindet. 

Themen-Special Kreislaufwirtschaft

Was wäre, wenn unsere Haushaltsprodukte, unsere Autos, unsere Klamotten, ja selbst unsere Gebäude am Ende ihres Lebens nicht auf dem Müll landen - sondern wenn wir die enthaltenen Stoffe wiederverwenden, in einer Art ewigem Kreislauf? Die sogenannte "Kreislaufwirtschaft" ist die nächste große Transformation, der sich Unternehmen auf der ganzen Welt stellen. Eine Woche lang widmet sich FOCUS online Earth in Reportagen, Expertenbeiträgen und Analysen dem Themenfeld in seiner ganzen Breite.

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15 Milliarden Euro für Kreislaufwirtschaft

Die Datenerhebung von Circular Republic, die FOCUS online Earth vorab vorliegt, zeigt ein deutliches Wachstum in der Szene: Während es 2021 einen kleinen Knick gab, gibt es mittlerweile knapp 2500 Start-ups in Europa, die sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben haben. Auf dem ersten Platz liegt Großbritannien mit 528 Start-ups, auf die sich etwa 7,2 Milliarden Euro Kapital verteilen, gefolgt von Deutschland mit 499 Gründungen und 5,7 Milliarden Euro. Auf Platz drei liegt Frankreich, wo 2,2 Milliarden Euro auf 306 Start-ups gehen.

Das Siegertreppchen zeigt auch, wo die großen Kaderschmieden sind: Laut Studie kommen die meisten Ideen und Unternehmungsgründungen aus Berlin, London, München, und Paris sowie Barcelona und Stockholm. Kein Wunder, sagen die Autorinnen und Autoren, schließlich sitzt dort die passende Infrastruktur: Universitäten mit führenden Forschungseinrichtungen treffen in den Metropolen auf eine gut vernetzte Gründerszene und die Industrie. Verglichen mit den meisten Start-ups können die Kreislauf-Revoluzzer allerdings noch einen höheren Frauenanteil aufweisen: Dieser liegt bei knapp 30 Prozent, während der Durchschnitt aller Start-ups, die 2024 Geld eintreiben konnten, bei lediglich 10,6 Prozent lag.

Kreislaufwirtschaft ist ein Wirtschaftsfaktor

Den Erfolg der Szene schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie dem Umstand zu, dass Kreislaufwirtschaft mittlerweile sein Nachhaltigkeits-Image abgelegt hat und immer mehr zum Wirtschaftsfaktor wird. Der Grund: Kreislaufwirtschaft kann mit einem großen Resilienzfaktor punkten - beispielsweise, indem sich Unternehmen unabhängig von chinesischen Lieferanten machen und so während großer Krisen - zum Beispiel dem Zusammenbruch der weltweiten Lieferketten während der Pandemie - fester im Sattel sitzen. 

Diesen Vorteil sieht auch der Mitgründer von Ciruclar Republic, Matthias Ballweg: Sowohl die Unternehmungsgründungen als auch entsprechende Investitionen zeigen, dass “die Circular Economy die Nachhaltigkeitsdomäne verlassen hat und als wichtiger Garant für resiliente Lieferketten erkannt wurde”, so Ballweg und nennt es “ein starkes Zeichen für die europäische Souveränität”.

Anders gesagt: Kreislaufwirtschaft ist en vogue und zwar nicht, weil wir damit das Klima schützen, sondern weil wir dadurch wieder stärker und wettbewerbsfähiger werden. Ein Beispiel dafür ist das baden-württembergische Unternehmen Lorenz: Dort stellte man vor einigen Jahren auf eine zirkuläre Produktion der Wasserzähler um ,,die nach Ende ihrer Lebensdauer zurück zum Hersteller gingen" - und der konnte damit trotz eingebrochener Lieferketten nicht nur weiterhin produzieren, sondern auch Arbeitsplätze halten.

Auch der Nachhaltigkeitsexperte Wilhelm Mirow sieht darin eine große Chance. Er betont, wie viel Kosten wir durch Kreislaufwirtschaft sparen könnten. Ein Beispiel sind die Kunststoffe. “Die werden aus Erdöl produziert und landen in der Müllverbrennungsanlage, sofern sie nicht recycelt oder deponiert werden”, so Mirow. 2024 importierte Deutschland Erdöl im Wert von 44 Milliarden Euro, etwa acht bis zehn Prozent landen in der Produktion chemischer Stoffe und von Kunststoffen. Für den Nachhaltigkeitsexperten eine einfache Rechnung: “Wir sparen also alleine etwa fünf Milliarden Euro jährlich, wenn wir unsere Kunststoffe im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder verwerten oder durch Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen anstelle von Erdöl ersetzen.”

Plastikmüll in Deutschland: Die Entsorgung und das Recycling gehen oft mit hohen Kosten einher.
Plastikmüll in Deutschland: Die Entsorgung und das Recycling gehen oft mit hohen Kosten einher. Getty

Paradox: Zu wenig recycelte Geräte

Trotz aller Erfolge bleiben noch einige Baustellen. Beispielsweise beschäftigen sich über ein Viertel der erfassten Unternehmen mit der Entwicklung von nachhaltigen oder recyclebaren Materialien. Gleichzeitig sind bei den Finanzierungsrunden besonders vor allem Geschäftsmodelle erfolgreich, die Energie und Batterien mit einer zirkulären Produktion kritischer Rohstoffe vereinen.

Wer wiederum mit Demontage und dem Wiederaufbereiten ausgedienter Geräte Geld verdient, bekommt in den Finanzierungsrunden meist weniger Geld. Blöderweise brauchen wir aber genau das, um an den Fundus an Seltenen Erden, Gold oder anderen Metallen zu gelangen und das weiterzuverwerten.

Auch die Nutzung von KI ist mit Vorsicht zu genießen. Vier Prozent der Unternehmen nutzen Künstliche Intelligenz für ihr Geschäftsmodell und können so ihre Prozesse beschleunigen. Andererseits ist die Nutzung von Künstlicher Intelligenz alles andere als ressourcenschonend; das Aufploppen vieler Rechenzentren geht eben auch mit einem hohen Energie- und Wasserverbrauch einher, dem man mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien nicht begegnen kann und im schlimmsten Fall die lokale Wasserversorgung beeinträchtigen kann.

Vier Prozent sind allerdings bis dato ein sehr kleiner Anteil, den man durchaus verschmerzen kann - die Umweltfolgen fossiler Brennstoffe, die täglich in die EU importiert und meist verbrannt werden, sind dagegen schon deutlich größer. Für unsere Klimabilanz - aber auch für unseren Geldbeutel.