„Druck auf die Opfer ist brutal“: Das weiß die Polizei über Schockanrufe

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„Sofort auflegen und dann sofort die 110 wählen!“ Wolfratshausens Polizeichef Andreas Czerweny (li.) und sein Stellvertreter Alexander Möckl berichten von einer massiven Zunahme sogenannter Schockanrufe. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Die Zahl der Schockanrufe hat in der Region Wolfratshausen massiv zugenommen. Jüngster Fall: Ein Rentner übergab den Betrügern Goldmünzen im Wert von rund 30 000 Euro.

Wolfratshausen – „CCB“: Das ist das polizeiinterne Kürzel für „Call-Center-Betrug“. Dazu zählen der Enkeltrick, die berühmt-berüchtigten Schockanrufe. „Jeden Tag“, sagt Wolfratshausens Polizeichef Andreas Czerweny, wird der Inspektion mindestens ein Trickversuch gemeldet. Trotz intensiver Präventionsarbeit der Polizei reagieren längst nicht alle Angerufenen richtig. Erst in dieser Woche ging erneut ein Rentner aus der Loisachstadt den Verbrechern auf den Leim. Der Mann händigte einem Unbekannten in der Nähe des Feuerwehrgerätehauses Goldmünzen im Wert von rund 30 000 Euro aus.

Polizeichef Czerweny: Opfer sind weder dumm noch leichtsinnig

Der Dienststellenleiter und sein Stellvertreter, Alexander Möckl, mutmaßen, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt. „Viele, die ein Opfer der Betrüger geworden sind, schämen sich, bei der Polizei Anzeige zu erstatten“, sagt Czerweny. Er legt Wert auf die Feststellung: „Die Opfer sind keine dummen oder leichtsinnigen Menschen.“ Doch der Druck, den die Täter ausüben, sei „brutal hoch“ und die „Psychotricks“, die sie in den Telefongesprächen anwenden, „hochprofessionell“. Czerweny und Möckl wünschen sich, „dass in Familien mehr über das Thema geredet wird“.

Barbara ist bei Betrügern beliebter als Nele

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Die Polizei warnt mit Flyern, in Sozialen Netzwerken und bei Informationsveranstaltungen. Trotzdem machen die Trickbetrüger Tag für Tag fette Beute. „Früher waren es Einzelfälle“, stellt Polizeihauptkommissar Möckl fest. Inzwischen zählen Schockanrufe mit zu den häufigsten Delikten, denen die Ermittler nachgehen müssen. „Leider sind solche Fälle inzwischen an der Tagesordnung“, so Möckl. Allein am Freitagvormittag leuchtete auf den Bildschirmen im Dienstgruppenraum der Inspektion zweimal „CCB“ auf: „11.15 Uhr, Wolfratshausen, 80 000 Euro Forderung, angeblich hat Angehörige Unfall verursacht; 11.26 Uhr, Wolfratshausen, ,Renate‘ angeblich in Notsituation.“ Beides Mal ging der Betrugsversuch ins Leere, die Angerufenen legten den Hörer auf und alarmierten die echte Polizei.

Warum werden ausnahmslos ältere Semester angerufen? Die Täter nutzen analoge Telefonbücher, antwortet Möckl, in denen seien die Rufnummern jüngerer Menschen selten zu finden. Im dicken Papierwälzer würden sich die Betrüger an den Vornamen orientieren, ergänzt Erster Hauptkommissar Czerweny: „Maria, Barbara, Johann und Anton“ seien aus Sicht der Ganoven leichtere Opfer als Luca oder Nele.

Niemals verlangt die Polizei am Telefon Geld! Das tut auch kein Staatsanwalt oder Richter.

Czerweny und Möckl betonen: „Niemals verlangt die Polizei am Telefon Geld!“ Dasselbe gelte für Staatsanwälte und Richter. „Es gibt auch keinen Zeitdruck“, merkt Möckl an. Beide empfehlen im Falle des Falles: „Das Gespräch sofort beenden und den Polizeinotruf 110 wählen.“ Niemals die Nummer wählen, die im Display des Telefons zu sehen ist, denn die haben die Betrüger generiert – das Opfer würde ergo wieder bei den Tätern anrufen. Möckl: „Fallen Sie auch nicht auf den Trick rein, dass Ihnen der Anrufer die Nummer der Polizei oder der Staatsanwaltschaft geben will. Auch diese Nummern führen Sie wieder direkt zu den Betrügern.“

Täter lernen dazu und feilen an ihrer Taktik

Die psychologischen Kniffe, die die Täter, die in Call-Centern im Ausland sitzen, anwenden, würden immer ausgefeilter, wissen die zwei Beamten. „Die ballern da voll rein“, drückt es Czerweny drastisch aus, „die bauen extremen Druck auf.“ Der Modus Operandi, die Art und Weise des Vorgehens, sei nicht immer derselbe. „Die Täter lernen dazu und feilen an ihrer Taktik“, sagt Möckl. „Die haben ein sehr feines Gespür für die Situation“, so Czerweny. Der Erste Hauptkommissar bringt es auf den Punkt: Das Vorgehen sei „perfide, einfach irre“ – und häufig von Erfolg gekrönt. Wie im jüngsten Fall in Wolfratshausen, ergänzt Möckl, würden die Täter ihre Opfer inzwischen zur Geldübergabe in die Nähe von Amtsgebäuden bestellen. „Das soll den offiziellen Anstrich des Gesprächs untermauern.“

In der Familie geheime Codewörter vereinbaren

Kinder, Eltern und Großeltern sollten über das Thema Enkeltrick und Schockanrufe sprechen. Nicht verkehrt sei es, wenn innerhalb der Familie geheime Codewörter oder ähnliches vereinbart würden: Wie heißt unser Hund, wo verbringen wir seit Jahren unseren Sommerurlaub? Kurzum: Ein Stichwort oder die Antwort auf eine Frage, die nur ein Familienangehöriger beantworten kann – und eben nicht der falsche Polizist am anderen Ende der Leitung. cce

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