„Kalkulierte Verluste“: Analyst erwartet Ausbluten von Putins Luftwaffe – durch Altersschwäche

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30 Maschinen außer Gefecht; und 60 könnten folgen. Analysten halten Putins Luftwaffe für überaltert. Vielleicht müssen sie jetzt sogar die F-16 jagen.

Kiew – „Die Russen verlieren Jets 20 Mal schneller, als sie diese ersetzen können “, schreibt David Axe. Der Forbes-Autor publizierte Ende Februar eine Behauptung der ukrainischen Luftwaffe, sie habe innerhalb von zehn Tagen zehn Kampfflugzeuge Russlands abgeschossen: neun der besten Jagdbomber der russischen Luftwaffe vom Typ Suchoi Su-34 und Suchoi Su-35 sowie ein Radarflugzeug vom Typ Beriev A-50. Jetzt legt die Ukraine nach: Die Direktion für strategische Kommunikation (StratCom) der Streitkräfte der Ukraine veröffentlicht auf Facebook eine Karte, nach der ihre Verteidigungskräfte seit Anfang 2024 mehr als 30 russische Militärflugzeuge Wladimir Putins abgeschossen hätten – das berichtet aktuell die Ukrainska Prawda.

In die schwer umkämpften Verwaltungsbezirke Donezk, Luhansk und Charkiw fallen die meisten Crashs. Die Gründe für die jüngsten Erfolge sind scheinbar komplex – die gesteigerte Treffsicherheit der Ukraine mag eine Ursache sein, auch aufgrund des inzwischen eingesetzten Raketen-Nachschubs aus dem Westen. Möglicherweise sind auch die aggressiveren russischen Offensiven um Charkiw herum ein Grund für die höheren Verluste der Invasionsarmee.

Steigende Verluste: Gerade der Treffer des Su-57-Prestige-Bombers hat Russland geschmerzt

Meldungen des Zentrums für strategische Kommunikation der ukrainischen Streitkräfte (StratCom) zufolge hätten die ukrainischen Streitkräfte folgende Kampfjets und Bomber zerstört oder beschädigt: neun Su-25, eine Su-57, zwei MiG-31, etwa 13 Su-34, zwei Su-35, zwei A-50-Langstreckenradar-Erkennungsflugzeuge, eine Il-22M11 als Luftlandekommando und einen strategischen Bomber Tu-22M3. Gerade der Treffer des Su-57-Prestige-Bombers hat Russland geschmerzt.

„Eine langfristige Verpflichtung zur Unterstützung einer gut ausgerüsteten, beträchtlichen F-16-Streitmacht wird jedoch die Erfolgschancen der Ukraine erhöhen, selbst wenn eine F-16 niemals einen russischen Kampfjet abschießt.“

Anfang Juni will die Ukraine erstmals diesen russischen Tarnkappen-Bomber unter Feuer gehabt haben – wahrscheinlich durch eine Drohne. Das berichtete die Hauptverwaltung für Aufklärung des Verteidigungsministeriums. Ob der Flieger beschädigt wurde oder zerstört ist, bleibt offen. Für Justin Bronk ist der erfolgreiche ukrainische Einsatz von Langstrecken-Drohnen gegen die russischen Luft- und Weltraumkräfte (VKS) von unschätzbarem Wert: „Kiew scheint eine klare Strategie zu verfolgen, die VKS entweder zur Räumung ihrer Stützpunkte im Umkreis von mehreren hundert Kilometern um die ukrainische Grenze zu zwingen oder eine übermäßige Menge an Luftabwehrsystemen für deren Verteidigung einzusetzen.“

Russland offensiv: „Feind hat Angst vor Einsätzen über dem Schlachtfeld überwunden“

Von Patriots und ATACMS-Raketen hat die Ukraine zu geringe Stückzahlen, um Waffengleichheit mit Russland herzustellen. Und Luftschlachten hält der Analyst des britischen Royal United Services Institute for Defence and Security Studies (RUSI) für unwahrscheinlich. „Nur Bodensiege und inakzeptable russische Verluste werden Putin zu Verhandlungen zwingen“, schreibt parallel Michael Bohnert. Die wichtigsten Hilfsgüter für die ukrainische Armee seien nach wie vor Artillerie, medizinische Ausrüstung, Infanteriewaffen, Bodenfahrzeuge und Drohnen, urteilt der Analyst des kalifornischen Thinktanks RAND.

Ein russischer Soldat steht in einer ausgebauten Graben und hantiert an einer schultergestützten Flugabwehrraketen.
Gefahr aus dem Graben: Schultergestützte Flugabwehrraketen –„Manpads“ – sind verantwortlich für viele verlorene Flugzeuge. Auf beiden Seiten. Diesem russischen Soldaten mit dem Kampfnahmen „Bobr Beaver“ wird der Abschuss einer ukrainischen Su-25 zugeschrieben. © IMAGO/Alexei Konovalov/TASS

Die russische Luftwaffe wittere ihre Chance und fliege mehr Einsätze näher an der Frontlinie; sie werfe Gleitbomben ab, um ukrainische Truppen unter Druck zu setzen und so vorrücken zu können, urteilt das Magazin Forbes und zitiert das ukrainische Zentrum für Verteidigungsstrategie: „Der Feind hat seine Angst vor dem Einsatz von Flugzeugen direkt über dem Schlachtfeld überwunden, und obwohl dies zum Verlust von Flugzeugen führt, gewinnen seine Bodentruppen einen erheblichen Vorteil in puncto Feuerkraft.“ Diese Zunahme russischer Angriffe stelle für die ukrainische Luftverteidigung zusätzliche Ziele dar, das erkläre, laut Forbes, die Zunahme abgeschossener russischer Flugzeuge.

Vorstoß bei Charkiw: Weitere Himmelfahrtskommandos unumgänglich

Eine Verstärkung der Offensiven am Boden um Charkiw herum würde also die russische Luftwaffe zu weiteren Himmelfahrtskommandos zwingen. Aber auch die angekündigte Verstärkung der ukrainischen Luftwaffe mit West-Maschinen scheint keine Alternative zu Angriffen mit ATACMS zu sein, schreibt Justin Bronk: Selbst wenn die lange erwarteten F-16-Kampfjets, die schwedischen Gripen C und französischen Mirage 2000-5F von der Ukraine eingesetzt würden, gleiche das Abfangen der russischen Gleitbomber einer Herkules-Aufgabe.

In Frontnähe müssten ukrainische Piloten der F-Kampfjets in sehr geringer Höhe anfliegen, um zu vermeiden, dass sie von der russischen Kurzstrecken- oder Langstrecken-Luftabwehr erfasst und eliminiert würden, urteilt er. Bisher sollen rund 100 russische Kampfflugzeuge außer Gefecht sein, wie verschiedene Medien übereinstimmend schätzen. Ein Debakel für Putins Invasionsarmee: „Man kann es drehen und wenden wie man will: Die Suchoi Su-25 ist der Inbegriff eines Schlachtflugzeugs“, schreibt die Zeitschrift Flugrevue. Der zufolge mische das Erdkampfflugzeug auf beiden Seiten mit.

Erdkampfflugzeug Su-25: Der Trumpf der Ukraine in den ersten Kriegstagen

Möglicherweise bildet die Su-25 sogar das Rückgrat der bodengestützten „Spezialoperation“, wie die russische Nachrichtenagentur Tass im Mai vergangenen Jahres nahe gelegt hat – und erleide dafür die höchsten Verluste. Das gilt allerdings für beide Seiten, wie das britische Online-Magazin Key Aero aus den Anfangstagen des Ukraine-Krieges über die Einsätze ukrainischer Piloten berichtet:

Zu diesem Zeitpunkt seien die Su-25 extrem niedrig über den Kolonnen feindlicher Fahrzeuge geflogen, hätten direkte Angriffe mit verschiedenen ungelenkten Waffen ausgeführt und seien so direkt den russischen Luftabwehrsystemen, schultergestützten Abwehrraketen und Flugabwehrartillerie sowie den Luft-Luft-Raketen von Flugzeugen der russischen Luftaufklärer ausgesetzt gewesen – und schließlich der Explosion und den Splittern ihrer eigenen Waffen. Die heftigsten Gefechte schreibt Key Aero dem Verwaltungsbezirk Cherson zu. Dort hätten die ukrainischen Su-25-Piloten die von der Krim vorrückenden russischen Invasoren am Dnipro gestellt.

Putins Oldtimer-Flotte: 60 Maschinen könnten an Altersschwäche eingehen

„Bei den zahlreichen Gefechten in diesem Gebiet in den ersten Kriegstagen gingen mindestens vier Su-25 verloren, drei Piloten wurden getötet und einer gefangen genommen“, bilanziert Key Aero den Aderlass der ukrainischen Luftwaffe zu Beginn des Krieges. Das Erdkampfflugzeug ist demnach immer unmittelbarer Teil von Bodenoffensiven – weitere Verluste sind hier wohl unumgänglich. Und vielleicht vor allem auch dann, wenn die F-16 in der Ukraine eintreffen. „Es ist zu erwarten, dass die VKS in diesem Jahr aufgrund von Überbeanspruchung etwa 60 Flugzeuge verliert“, schreibt Michael Bohnert.

Der RAND-Analyst addiert zu den durch Gefechte verursachten überraschenden Verlusten auch die kalkulierten: die dadurch entstehen, dass ein Flugzeug mehr Flugstunden absolviere als geplant, was seine Gesamtlebensdauer verkürze, wie er schreibt. „Nach aktuellen Informationen wird die VKS in diesem Jahr voraussichtlich etwa 60 kalkulierte Flugzeugverluste durch Überbeanspruchung erleiden. Das entspricht dem Verlust von 26 neuen Flugzeugen. Gleichzeitig beschafft die VKS derzeit nur etwa 20 Flugzeuge vom Typ Su-30, Su-34 und Su-35 pro Jahr.“

Ukraine am Drücker: F-16 könnten Russland zu Taktik-Wechsel zwingen

Seinen Analysen zufolge zeige der Luftkrieg seit Mitte 2023 eine stabile Intensität; eine Ausnahme hätte im Februar 2024 die Unterstützung der Awdijiwka-Offensive verursacht – mit etwa 150 Einsätzen russischer Flugzeuge pro Tag. Die Offensive bei Charkiw wird eine ähnliche Steigerung bedeutet haben, daraus resultieren auch die höheren Abschusszahlen. Allerdings habe, Borchert zufolge, die russische Luftwaffe ihre Taktik geändert und dadurch eigene Ressourcen geschont. Vor allem durch den Einsatz von Gleitbomben als Distanzwaffen und durch den Einsatz von mehr Maschinen würde „die beschleunigte Alterung verringert“, schreibt er.

Borchert sieht die größte Chance gegen die russische Luftwaffe in der Vernichtung ihrer Basen – möglicherweise durch Drohnen; also Waffen, über die die Ukraine die alleine Verfügungsgewalt ausüben kann. Im besten Fall könnte die Ukraine ihren Gegner dadurch dazu zwingen, seine Streitkräfte weiter ins eigene Hinterland zurückzuverlegen. Vom Einsatz der F-16 und der schwedischen Gripen verspricht sich der Analyst, dass die russische Luftwaffe gezwungen wird, Jagd auf die westlichen Maschinen zu machen und Kapazitäten für Bodenangriffe einzubüßen.

Russlands Luftwaffe könnte dadurch ausbluten. Schließlich seien etwas mehr als die Hälfte der taktischen Flugzeuge der VKS älter als 30 Jahre und hätten entsprechend weniger Flugstunden übrig, schreibt Borchert. „Eine langfristige Verpflichtung zur Unterstützung einer gut ausgerüsteten, beträchtlichen F-16-Streitmacht wird jedoch die Erfolgschancen der Ukraine erhöhen, selbst wenn eine F-16 niemals einen russischen Kampfjet abschießt.“

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