Kriegsszenarien an der Nato-Ostflanke: Tausende Freiwillige proben den Ernstfall

In der litauischen Stadt Utena haben sich Ende Oktober rund 1.500 Mitglieder der staatlich geförderten paramilitärischen Gruppe „Litauische Schützenunion“ (LRU) versammelt, um für den Ernstfall zu trainieren. Die Teilnehmer, darunter viele Zivilisten, übten mehrere Tage lang den Schutz von Regierungsgebäuden und kritischer Infrastruktur. Laut dem „Wall Street Journal“ soll das Training die Bevölkerung auf eine mögliche russische Invasion vorbereiten.

Die Mitglieder der LRU tragen militärische Kleidung und führen Gewehre mit Platzpatronen. Sie simulieren Explosionen und Gefechte in der Stadt, um realistische Bedingungen zu schaffen. „Wir bereiten uns vor, weil man nicht einfach nur zuschauen kann“, sagte LRU-Kommandeur Linas Idzelis dem „Wall Street Journal“. Er mahnte, dass jeder Bürger seine Rolle kennen und die notwendigen Fähigkeiten besitzen müsse. 

Alltag unter Kriegsbedingungen simuliert

Während der Übungen in Utena wurden Checkpoints eingerichtet und eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Die Bewohner der Stadt bekamen einen Eindruck davon, wie das Leben unter Kriegsrecht aussehen könnte. Ein ukrainischer Einwohner berichtete dem „Wall Street Journal“, dass ihn die Explosionen an den Krieg in seiner Heimat erinnerten: „Es ist sehr beängstigend.“

Keine akute Gefahr, aber Litauen bleibt wachsam

Obwohl die litauische Regierung und die LRU keine unmittelbare Gefahr durch Russland sehen, bleibt die Sorge groß. Die russischen Streitkräfte sind derzeit vor allem mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt, doch Litauen will kein Risiko eingehen.

Die LRU, die bereits 17.000 Mitglieder zählt, könnte im Falle eines Angriffs vollständig in die regulären Streitkräfte integriert werden. Diese Freiwilligen wären entscheidend für die ersten Stunden eines Konflikts, bevor Nato-Truppen eingreifen könnten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender „LRT“ berichtete bereits 2022 über die Stärkung der paramilitärischen Gruppe.

Hybride Angriffe aus Belarus?

Neben der militärischen Vorbereitung sieht sich Litauen auch mit sogenannten hybriden Angriffen konfrontiert. Laut dem „Wall Street Journal“ wurden allein in diesem Jahr fast 600 Ballons mit Schmuggelware aus Belarus über die Grenze geschickt – dreimal so viele wie im Vorjahr. Diese Ballons haben mehrfach den Flughafen von Vilnius lahmgelegt und tausende Passagiere betroffen. Die litauische Regierung vermutet dahinter gezielte Destabilisierung durch Belarus, das allerdings jegliche Beteiligung abstreitet.

Mitglieder der LRU (Archivbild)
Mitglieder der LRU (Archivbild) PETRAS MALUKAS/AFP via Getty Images

Tradition mit neuer Bedeutung

Die Litauische Schützenunion hat eine lange Geschichte, die bis in den Kampf um die Unabhängigkeit des Landes im frühen 20. Jahrhundert zurückreicht. Heute spielt sie eine wichtige Rolle in der Verteidigungsstrategie des Landes. Viele Mitglieder opfern ihre Freizeit, um militärische Fähigkeiten zu erlernen und ihre Heimat zu schützen.