Es geht Schlag auf Schlag: Erst hat Deutschlands Vorzeigeindustrie – die Automobilbranche – die Entwicklung weg vom Verbrennermotor hin zum E-Auto zu lange unterschätzt. Das führte dann zum Verlust von Marktanteilen vor allem da, wo die Entwicklung schneller ging: in den USA und natürlich in China. Und jetzt hat mit CATL der größte Autobatteriehersteller der Welt in Hongkong den bisher größten Börsengang des Jahres hingelegt: 4,1 Milliarden Euro kamen in die Kasse. CATL will das Geld nutzen, um ein Werk vor der Haustür der Deutschen in Ungarn zu bauen. Längst sind CATL und der chinesische Autohersteller BYD zu den Taktgebern der Branche geworden. Sie treiben mit ihren Neuerungen die deutsche Konkurrenz vor sich her. Wie konnte es so weit kommen?
Eine aktuelle Studie der Berater von Bain & Company mit dem Titel "Wenn weniger mehr ist – Gangwechsel in der Automobilentwicklung" zeigt ziemlich schonungslos, wo es bei den europäischen Automobilherstellern hakt: Sie sind in der Entwicklung zu langsam.
Erfolgreiche Autobauer setzten auf Dynamik, KI und eine kleinere Modellvielfalt
Junge chinesische Automobilhersteller kombinieren hohe Stückzahlen mit starken Gewinnmargen – und das bei deutlich geringeren Ausgaben für Forschung und Entwicklung pro Modell. Laut der Studie lagen die durchschnittlichen Entwicklungskosten pro Fahrzeug bei führenden chinesischen Automobilherstellern im Zeitraum von 2020 bis 2024 bei nur 27 Prozent der Kosten der fünf größten deutschen Hersteller. Zentraler Grund dafür ist die ausgeprägte Modellvielfalt der europäischen Hersteller. In den vergangenen zwei Jahrzehnten brachten sie wesentlich mehr verschiedene Fahrzeugmodelle auf den Markt als ihre asiatischen Wettbewerber. Zwei führende europäische Marken beispielsweise haben ihr Modellportfolio seit dem Jahr 2000 um 250 Prozent vergrößert.
Die Studie zeigt dagegen, dass erfolgreiche Automobilhersteller weniger Fahrzeugmodelle und Karosserievarianten anbieten, womit die Produktion einfacher und die Entwicklungszeiten kürzer werden. Europäische Automobilhersteller benötigen derzeit durchschnittlich 48 bis 54 Monate für die Entwicklung neuer Modelle von der Skizze bis zur Straßenzulassung. Ihre aufstrebenden Wettbewerber aus Asien hingegen kommen oft mit nur 24 bis 30 Monaten aus. Die Studienautoren empfehlen, mehr Künstliche Intelligenz einzusetzen und einzelne Entwicklungsschritte zu automatisieren. Möglichkeiten hierfür eröffnen sich bereits heute in Bereichen wie der Dokumentation von Softwarecodes oder der Qualitätsprüfung von Konstruktionszeichnungen. Zudem helfen digitale Zwillinge und simulationsgestützte Testverfahren, den Bedarf an Tests mit physischen Prototypen zu reduzieren.
Bain rät den etablierten Automobilherstellern dazu, gezielt in Innovationen und Fähigkeiten zu investieren, die ihnen bislang intern fehlen. Künftige Kernkompetenzen werden unter anderem Batterietechnologie, Energiemanagementsysteme, softwaregesteuerte Funktionen wie Fahrerassistenzsysteme, Datenmanagement und Infotainment sein.
Unternehmen wie CATL denken bei Forschung und Entwicklung effizient
Europäische Automobilhersteller betrieben ihre Forschungs-Abteilungen überwiegend in Hochlohnländern nahe ihrer Heimatmärkte, stellt Bain & Company fest. Chinesische Wettbewerber hingegen setzen auf Entwicklungszentren in Mittel- und Niedriglohnländern. Dies verschaffe ihnen nicht nur eine höhere Kosteneffizienz, sondern auch mehr Flexibilität im Wettbewerb. Für europäische Hersteller bleibt es daher ein strategisches Thema, auch die Forschung und Entwicklung (F&E) zu verlagern. Neben geringeren Kosten habe das den Vorteil, sich so gezielt in Schlüsselmärkten anzusiedeln. Dort ließen sich die Bedürfnisse der Kunden vor Ort – etwa die Gestaltung von Innenräumen und Benutzeroberflächen – besser verstehen und die Erkenntnisse könnten direkt in die Produktentwicklung einfließen. "Innovationen aus Forschung und Entwicklung bestimmen, wie attraktiv künftige Fahrzeuge sein werden. Gleichzeitig sind sie mit sehr hohen Investitionen verbunden", erklärt Bain-Partner Eric Zander. "Daher wird es entscheidend sein, die Effizienz der F&E-Ausgaben zu steigern und sich auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren."
Dass sich damit der Erfolg einstellen kann, zeigt CATL: 263 Hongkong-Dollar (ca. 30 Euro) pro Aktie erzielten die Batteriebauer, was am oberen Ende der Preisspanne lag. CATL war zwar zuvor auch schon an der Börse notiert, allerdings nur an dem weniger wichtigen Börsenplatz in Shenzen, zu dem internationale Anleger kaum Zugang haben.
Im ungarischen Debrecen soll für das erlöste Geld jetzt eine Fabrik mit einer geplanten Jahreskapazität von 100 Gigawatt entstehen. Es ist die zweite europäische Produktionsstätte nach einer kleineren, die es bereits in Deutschland gibt: in Erfurt. Die neue Fabrik entsteht direkt neben einer BMW-Fertigung. CATL ist mit deutlichem Abstand der wichtigste Anbieter für Elektroauto-Batterien und kommt im Autobatterie-Markt auf einen globalen Anteil von 38 Prozent. Innerhalb Chinas soll CATLs Marktanteil sogar bei fast 50 Prozent liegen.
Dieser Beitrag erschien in Kooperation mit "Business Punk".