Todesangst unter Touristen: Putin sucht verzweifelt nach den F-16-Standorten
Dröhnende Motoren und das Wissen um Streubomben – in Ortschaften in der Nähe von ukrainischen Flughäfen grassiert die Angst vor Putins Raketen-Terror.
Starokostjantyniw – „Wir sind super nervös wegen der Ankunft der F-16. Wenn sie sie hier stationieren, wird die Zahl der Angriffe nur noch steigen“, sagt Olena Shpachenko. Im Magazin Defense Post berichtet die Fremdenführerin im Geschichtsmuseum der Stadt Starokostjantyniw von ihren Ängsten: Ängsten vor der Zeit nach der Ankunft der westlichen Kampfjets, die im Ukraine-Krieg gegen Russland die Wende herbeiführen sollen. Im Touristenzentrum in der Westukraine wird die Wende womöglich sofort spürbar werden – wenn die Stadt noch stärker ins Fadenkreuz von Wladimir Putin rücken sollte.
Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj seien die Kampfjets von entscheidender Bedeutung, um den Ukrainern zu helfen, die russische Luftdominanz zurückzudrängen und „den Himmel freizugeben“, wie ihn jetzt wieder die britische BBC zitiert. Allerdings wird auch deren Unversehrtheit am Boden zum Kampf auf Messers Schneide. „Moskau würde verschiedene Optionen zur Zerstörung haben, selbst wenn die Kampfjets außerhalb der Ukraine stationiert sein sollten“, hatte t-online geschrieben über eine Drohung Putins.
Suche nach F-16-Kampfjets: Putin setzt ausgefeiltere Technik ein
Ihm zufolge würde Russland auch reagieren, wenn sich die Flieger auf Basen außerhalb der Ukraine befänden und von dort aus Kampfeinsätze gegen russische Truppen flögen, wie t-online unter Bezug auf die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti berichtet hat. Allerdings hatte Putins Sprecher Dmitri Peskow diese Aussage später wieder relativiert und eine Zerstörung der Kampfflugzeuge lediglich auf ukrainisches Staatsgebiet beschränkt. Sicher ist, dass sich Russland auf die Ankunft der Jets vorbereitet, wie die BBC berichtet.
„Um eine strategische ,Flotte im Werden‘ zu schaffen, die Russland respektieren muss, ist die Größe der F-16-Flotte wichtig. ... Dieses Ziel würde 216 F-16 mit jeweils 18 Flugzeugen pro Staffel erfordern. Zusätzlich sollte die Nato eine Reserve an F-16 für den Nachschub bei Bedarf bereithalten, proportional zu den historischen Kampfverlusten.“
Für Justin Bronk und verschiedene ukrainische Beobachter ist klar, dass Russland bereits die in Frage kommenden Flugplätze sondiere, um die Flieger auszuschalten, sobald sie einträfen, sagt der Analyst des britischen Royal Service Institute (RUSI) Dazu soll Russland auch verbesserte Technik einsetzen, wie die BBC berichtet. Bisher soll Russland auf Bilder von Überwachungskameras oder Satellitenbilder angewiesen gewesen sein, inzwischen nutze Russland wohl ausgefeilte Spionagedrohnen, „die aus dem tiefsten Inneren der Ukraine Bilder in Echtzeit senden und so die elektronischen Ortungs- und Störsysteme der Ukraine umgehen können“, wie die BBC zu wissen glaubt. Das ermögliche Putins Truppen ein genaueres Lagebild über die Erfolge von Angriffen – vor allem mit Iskander-Raketen.
Gegenstrategie im Ukraine-Krieg: Gegen Putins Spionagedrohnen helfen Attrappen
Allein im Juli sollen nach deren Angaben mindestens drei Flugplätze angegriffen worden sein: Myrhorod und Krywyj Rih in der Zentralukraine und einer in der südlichen Region Odessa – Moskau will dadurch „fünf ukrainische Su-27-Kampfflugzeuge und eine MiG-29 sowie ein Radar und wertvolle Patriot-Flugabwehrraketen“ zerstört haben – die Ukraine jedoch behauptet, die Russen wären auf Attrappen hereingefallen; diese Kriegslist soll dabei helfen, Russlands Arsenal an Iskander-Raketen zu schmälern.
Meine news
Täuschung ist für die Ukraine überlebenswichtig, möchte sie lange von den versprochenen 65 F-16-Kampjets profitieren. Die Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP) will aus einer westlichen Quelle erfahren haben, „der Flugplatz Starokostjantyniw – ausgestattet mit teilweise unterirdischen Schutzräumen aus der Sowjetzeit – sei ein idealer Kandidat“ für die Stationierung der westlichen Hoffnungsträger. Das versetzt die Bewohner in Panik. „Die Soldaten, die Angriffe … das hält die Leute davon ab, zu kommen. Es sind sogar schon Drohnentrümmer auf den Strand gefallen“, sagte Fremdenführerin Shpachenko gegenüber AFP.
F-16-Kampfjets am Boden gefährdet: Ukraine könnte auf unterirdische Bunker zurückgreifen müssen
Das Magazin The Aviationist rechnet damit, dass die Ukraine die Strategie verfolge, die westlichen Flieger erstens auf mehrere Start- und Landebahnen zu verteilen und zweitens in unterirdischen Bunkern zu verstecken. Das Magazin hält die Bedrohung durch Iskander-Raketen sowie die Kh-101-Marschflugkörper für ernst und hofft insofern auf ein verwertbares Erbe des Kalten Krieges: Westliche Luftwaffenstützpunkte sollen über netzwerkartige Parkflächen für Jets und verstärkte Hangars verfügen; The Aviationist rechnet mit ebensolchen Bunkern auch in der Ukraine – wenn schon nicht unterirdisch, dann wenigstens inzwischen überirdisch.
Überirdisch lagert zumindest bereits das Kerosin für die ukrainische Luftwaffe, wie die Defense Post schreibt – in den Wäldern um Starokostjantyniw herum soll der Treibstoff versteckt sein; das Magazin zitiert den Kommandeur einer mobilen Flugabwehr-Einheit damit, dass der Krieg dicht an den pittoresken Ort aus dem 17. Jahrhundert heranrückt: Russland habe seine Angriffe im vergangenen Monat verstärkt, sagt „Anatoliy“ gegenüber der Defense Post. Der Flugabwehr-Offizier rechnet auch über seiner Position mit einem Angriff mit Streumunition. Russland will möglichst viel Fläche beschädigen, um den F-16 das Starten und Landen unmöglich zu machen.
Ukraine in Angst: Putin könnte auf seiner F-16-Jagd zivile Verluste in Kauf nehmen
Genau das macht Olena Shpachenko Angst, wie sie gegenüber AFP sagt: „Selbst wenn die ukrainische Luftabwehr die auf die Basis gerichteten russischen Raketen abfangen sollte“, würde ein Trümmerhaufen auf die Stadt niedergehen, befürchtet sie – zurecht. Der durch die Streumunition entfesselte „Stahlregen“ wirke über eine große Fläche – und mache keine Unterschiede zwischen militärischen wie zivilen Zielen. Sie verbreitet eher Terror, erläutert Mark F. Cancian. Bis zu 180.000 Wolfram-Kugeln enthalte ein Sprengkopf mit Streumunition.
„Eine Analyse des Einsatzes von Streumunition während des Vietnamkriegs ergab, dass diese achtmal so viele Opfer forderte wie herkömmliche Sprenggeschosse“, sagt der Berater des Thinktanks Center for Strategic & International Studies zu den möglichen Verlusten. Bisher scheint der ukrainischen Luftwaffe gelungen zu sein, die Russen tatsächlich auf verschiedenen Wegen in die Irre zu führen, wie Justin Bronk herausgefunden haben will – er spricht gegenüber der BBC von „verteilten Operationen“: „Flugzeuge und Ausrüstung würden regelmäßig innerhalb oder zwischen Stützpunkten bewegt“, erklärt er. Und weiter: Wenn Russland einen Luftangriff starte, würde dieser wahrscheinlich nur eine leere Rollbahn oder Grasfläche treffen.
F-16-Lieferung ungenügend: Experten fordern mindestens das Dreifache an Maschinen
Fraglich ist, wie die Ukraine das letztendlich bewerkstelligen will, wenn die F-16 erst an der Front aufmarschiert sein werden. Wahrscheinlich werden die Russen weniger nach den Flugzeugen suchen, sondern nach Instandsetzungstrupps, die die Rollbahnen flicken. „Jeder Versuch, die Infrastruktur auf bestehenden Stützpunkten zu verbessern“, erläutert Bronk gegenüber der BBC, werde für die russische Beobachtung sichtbar, egal ob aus der Umlaufbahn oder von menschlichen Geheimdienstquellen.
Allerdings wird das zur ernsthaften Herausforderung für die Ukraine werden, denn allein um Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen, bräuchte die Ukraine ein Vielfaches der 65 Flieger, die die Ukraine zugesagt bekommen hat. Das behaupten Christopher Koeltzow, Brent Peterson und Eric Williams: „Um eine strategische ‚Flotte im Werden‘ zu schaffen, die Russland respektieren muss, ist die Größe der F-16-Flotte wichtig“, schreiben aktuell die Analysten des Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Die Nato müsse ihre Standards an eine abschreckungswürdige Luftflotte anlegen. Die Ukraine benötige nahezu zwölf Jagdstaffeln, um die für den Bodenkrieg erforderliche Luftunterstützung zu gewährleisten, kalkulieren die Analysten. Sie halten eine größere Luftflotte nötig für die Kernaufgaben der F-16: Unterdrückung der feindlichen Luftabwehr, Luftabwehr gegen Marschflugkörper und defensive, vom Boden ausgehende Luftabwehr. „Dieses Ziel würde 216 F-16 mit jeweils 18 Flugzeugen pro Staffel erfordern. Zusätzlich sollte die Nato eine Reserve an F-16 für den Nachschub bei Bedarf bereithalten, proportional zu den historischen Kampfverlusten“, fordern die Analysten.
Für den Bade- und Touristenort Starokostjantyniw ein Horrorszenario – deshalb macht auch bereits jetzt der Motorenlärm der eigenen Maschinen Angst: „Viele der Ukrainer, die nach ihrer Flucht aus ihren Häusern im Osten nach Starokostjantyniw kamen, hätten die Stadt verlassen, sobald sie das erste Dröhnen eines Kampfflugzeugs gehört hatten“, schreibt die AFP. Olena Shpachenko will wohl trotzdem bleiben – obwohl sie klarstellt: „Der Wunsch zu überleben ist stärker als das Bedürfnis nach Ruhe.“