Als ich ARD-Moderatorin auf Söders Fleisch-Genuss anspreche, geraten wir aneinander

Wer meine Kolumne "Nena und die andere Meinung" liest, weiß, wie sehr ich die Debatte mit Andersdenkenden schätze. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich debattensüchtig bin. Für mich gibt es nichts Schöneres, als mit Menschen, die so gar nicht meiner Meinung sind, über Politik und Wirtschaft zu diskutieren.

Eine, mit der ich das seit vielen Jahren sehr gerne tue, ist die Journalistin Jennifer Sieglar, Moderatorin und Reporterin beim Hessischen Rundfunk. Eine großartige Journalistin, prämiert mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, hat sie eine Dekade lang den Kindern bei "logo!" die Nachrichten erklärt, mehrere "Spiegel"-Bestseller geschrieben und Reportagen in der ganzen Welt gedreht. Ich bewundere sie für ihr Tun – obwohl wir in den seltensten Fällen einer Meinung sind.

Während der Corona-Pandemie verabredeten wir uns sogar gemeinsam mit unseren Männern zur digitalen Debatte und stritten über die Maßnahmen. Mein Mann und ich waren Team Freiheit, das Ehepaar Sieglar-Schreder Team Vorsicht.

Jetzt hat Jennifer Sieglar mit ihrem Mann, dem Journalisten und Filmemacher Tim Schreder, ein Buch geschrieben. Nicht über Corona, sondern über Longevity. Der Titel: "Einfach nicht altern? Die Wissenschaft der Langlebigkeit einfach erklärt."

Das Milliardengeschäft mit der Langlebigkeit

Ich gestehe an dieser Stelle: Ich kann das Thema Longevity schon seit Längerem nicht mehr ertragen. Ich fühle mich im Team Hedonismus sehr wohl. Warum sollte man sich auch sein Leben lang kasteien, um am Ende ein paar Jahre mehr zu haben? Und wann hat ein legendärer Partyabend je mit Salat und Wasser begonnen? Ganz zu schweigen davon, dass ich Spaghetti Bolognese liebe. Und Fleischpflanzerl.

Vor allem: Will man wirklich das Leben drastisch verlängern? Welche Qualität hätte es? Sehe nur ich die Gefahr einer Selbstoptimierungsspirale – ewige Jugend als neuer Leistungszwang? Vor allem dürfen wir alle nicht vergessen, dass hinter dem Longevity-Trend eine milliardenschwere Industrie steckt. Ich greife also zum Telefon und rufe Jennie an.

"Es geht immer darum, Maß zu halten"

Brockhaus: "Hallo Jennie, wo erreiche ich dich?"

Sieglar: "Zuhause am Schreibtisch, bereit für die Debatte mit dir!"

Brockhaus: "Jennie, wir wollen heute über Longevity sprechen. Aktuell sind die Medien eher voll von Bier, Fleisch und Party. Seit knapp zwei Wochen hat das Oktoberfest München fest im Griff. Dir müsste das Oktoberfest mit Blick auf deine Recherchen für dein neues Buch über Longevity ja eigentlich missfallen, oder?"

Sieglar: "Ne, überhaupt nicht. In meinem Buch heißt es natürlich, dass man auf seine Ernährung achten sollte und dass man Alkohol vermeiden sollte. Aber es steht auch drin, dass es total wichtig ist, Lebensfreude zu haben, einen Sinn im Leben zu verspüren, sich in Gesellschaft zu begeben und mit Freunden eine schöne Zeit zu haben. Und es geht immer darum, Maß zu halten. Das Oktoberfest ist ja nicht das ganze Jahr. Deswegen habe ich grundsätzlich kein Problem mit dem Oktoberfest."

Brockhaus: "Da bin ich beruhigt, aber wie sieht es bei dir selbst aus: Trinkst du nach deinen Recherchen noch Alkohol?"

Sieglar: Ja, aber deutlich weniger. Früher habe ich mir sehr wenig Gedanken gemacht und gerne mal zwei Gläser Wein einfach so abends zu Hause getrunken. Das habe ich komplett eingestellt, als ich gemerkt habe, dass es mir nicht guttut: dass es meinen Schlaf negativ beeinflusst, dass es mir am nächsten Tag schlechter geht. Deswegen bin ich davon ziemlich losgekommen und trinke jetzt nur noch zu besonderen Anlässen oder wenn ich richtig Lust drauf habe."

Genuss oder schädlich? Söder und seine Fleisch-Posts auf Instagram

Brockhaus: "Es gibt ja mittlerweile viele Longevity-Influencer, die Salat, Wasser und Schlaf propagieren. Und dann gibt es glücklicherweise auch Menschen wie Markus Söder, den ich eher als Influencer des Hedonismus bezeichnen würde – zum Beispiel mit seiner Rubrik "Söder isst" auf seinem Instagram Profil. Wenn du auf deine Recherchen blickst: Wie schätzt du das Profil von Markus Söder ein?"

Sieglar: "Also das, was er da propagiert – und ich glaube wirklich, dass er es bewusst propagiert – ist extrem ungesund. Zu 95 Prozent zeigt er fettiges Fleisch, Wurst, Frittiertes, Pizza, Süßigkeiten. Da gibt es kein Obst, kein Gemüse, nichts mit echtem Nährwert. Niemand würde wollen, dass sich sein Kind so ernährt."

Brockhaus: "Du würdest also sagen, dass Markus Söder mit seinem Instagram-Profil den Menschen sogar schadet?"

Sieglar: "Ich würde sagen: ja. Politiker haben eine Vorbildfunktion. Keiner von ihnen würde sich öffentlich beim Fahrradfahren ohne Helm zeigen, da gäbe es sofort einen Aufschrei. Aber beim Thema Ernährung fehlt das Bewusstsein. Entweder weiß er es nicht, es ist ihm egal, oder er will sich bewusst von den Veggie-Vorschlägen der Grünen abgrenzen."

"Live your Life, iss deine Wurst, sei happy"

Brockhaus: "Ich fahre immer ohne Helm Fahrrad. Aber zurück zu Markus Söder: Also propagiert Markus Söder für dich tödliches Essen und die Grünen sind die Longevity-Heilsbringer?"

Sieglar: "Nein, das glaube ich nicht. Aber was Söder macht, ist nicht gut. Zwillingsstudien zeigen: Gene haben nur zu 15 Prozent Einfluss auf Gesundheit und Langlebigkeit. 85 Prozent haben wir selbst in der Hand, und die Ernährung ist der größte Faktor – vor Sport, Schlaf oder Stressmanagement."

Brockhaus: "Also würdest du sagen, er propagiert tödliches Essen."

Sieglar: "Er sagt natürlich nicht: 'Macht es wie ich.' Aber er normalisiert es. Und das halte ich nicht für in Ordnung. Zumal die WHO Wurst als karzinogen eingestuft hat. Wer täglich 50 Gramm Wurst isst, erhöht sein Darmkrebsrisiko um 18 Prozent. Wenn man ab und zu Wurst isst, ist das kein Problem. Aber so, wie er es präsentiert, ist es definitiv ungesund."

"Viele wissen gar nicht, welche Auswirkungen Ernährung hat"

Brockhaus: "Ich gestehe an dieser Stelle: Ich bin Fan von Söders Instagram-Profil. Mir geht dieser ganze Longevity-Wahnsinn um Ernährung und Lifestyle viel zu weit. Ich habe auf dem Oktoberfest acht Weißwürste gegessen. Ich finde, wir übertreiben es.

Und was man über Söder weiß: Er trinkt ja wenig Bier, eher Cola Light. Wahrscheinlich ist das auch schädlich, aber darf jemand nicht einfach sagen: Mein Guilty Pleasure ist deftiges Essen? Dafür macht er Sport und trinkt weniger Alkohol als andere.

Ich finde, wir sollten aufhören, jedem reinzureden. Würde ich ein Buch zu dem Thema schreiben, wäre es ein Plädoyer für den Hedonismus. Und ich finde gut, dass Spitzenpolitiker wie Markus Söder propagieren: Live your Life, iss deine Wurst, sei happy."

Sieglar: "Nein, bei Markus Söder fehlt die Balance. Er zeigt nur das Ungesunde. Wenn er auch posten würde, dass er joggt, Sport macht, wenig Alkohol trinkt – dann wäre es anders. Mir geht es nicht ums Vorschreiben. Jeder soll machen, was er will. Aber viele wissen gar nicht, welche Auswirkungen Ernährung hat. Und genau darum habe ich das Buch geschrieben.

Wir haben eine Übergewichtspandemie, steigende Krebszahlen bei jungen Menschen, neun Millionen Menschen mit Diabetes in Deutschland. Prognosen gehen bis 2040 von zwölf Millionen aus. Das hängt mit Fertigprodukten, Junkfood und unseren Essgewohnheiten zusammen.

Ich habe selbst jahrelang so gelebt. Aber ich finde, dieses Wissen muss verbreitet werden – und Politiker sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Cola Light ist übrigens leider auch super ungesund. Neueste Studien zeigen, dass der Süßstoff dein Darm-Mikrobiom schädigen kann."

Brockhaus: "Mein Problem bei dem, was zu erzählst: Du sprichst über ein Leben für morgen statt im Jetzt. Und ich stelle es mir wahnsinnig stressig vor, wenn man nur noch überlegt, was man darf und was man nicht darf.

Vor allem kann Longevity keine Unfälle, oder Schicksalsschläge verhindern. Ich kann morgen vom Bus überfahren werden. Viele schöne Momente sind mit Feiern, Essen, Wein, Abenteuer verbunden."

"Es macht Spaß, auch mal auszubrechen"

Sieglar: "Ich kann nur betonen: Mein Leben hat sich überhaupt nicht negativ verändert, seitdem ich gesünder lebe. Im Gegenteil. Mir geht es mental besser, ich fühle mich in meinem Körper superwohl, habe Muskeln, bin fitter. Das macht Spaß."

Brockhaus: "Das glaube ich dir, aber lass uns an dieser Stelle ehrlich bleiben: Sind deine Partyabende genauso lustig wie früher mit Alkohol? Ich kann dir sagen: Bei mir hat noch nie eine lebendige Nacht mit Salat und Wasser begonnen."

Sieglar: "Ich gebe dir recht: Es macht Spaß, auch mal auszubrechen. Niemand muss perfekt sein. Ich war auch letzten Freitag feiern und habe Alkohol getrunken – am nächsten Tag habe ich es aber bereut. Wichtig ist, Maß zu halten. Bewusst auswählen, wann man feiert, und nicht aus Gewohnheit noch zwei Abende danach Wein trinken."

Brockhaus: "Wie schön, da kommen wir doch auf einen Nenner: Von täglichem Trinken habe ich noch nie etwas gehalten. Ganz ohne Longevity-Trend. Das hat wie immer Spaß gemacht mit dir Jennie. Ganz viel Erfolg für euer Buch!"

Nun interessiert mich, was Sie denken, liebe Leserinnen und Leser: Sind Sie diese Woche Team Sieglar, oder Team Brockhaus? Wie blicken Sie auf das Tun von Markus Söder und den Longevity Trend?

Seien Sie sich gewiss: Ich lese immer alle Kommentare, Mails und Nachrichten. Wenn Sie mögen, lesen wir uns nächste Woche wieder. Was ich mir wünsche: Debattieren Sie! Respektieren Sie nicht bloß die Meinung des anderen – zelebrieren Sie sie!

Ihre Nena Brockhaus 

Nena Brockhaus, geboren 1992, ist Wirtschaftsjournalistin, Fernsehmoderatorin, politische Kommentatorin und fünffache SPIEGEL-Bestsellerautorin (Unfollow, Pretty Happy, Ich bin nicht grün, Alte Weise Männer, Mehr Geld als Verstand). Ihr aktuelles Buch MGAV stieg auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste ein. Nach Stationen bei Handelsblatt, Wirtschaftswoche und Bunte moderierte sie für BILD die tägliche Polit-Talkshow Viertel nach Acht. Seit 2024 kommentiert Brockhaus für WELT TV wöchentlich die deutsche Innenpolitik. Mit ihrer Kolumne "Nena und die andere Meinung" für FOCUS online möchte sie zu einem differenzierten Meinungsbild in unserer Gesellschaft beitragen – gerne auch mit unpopulären Thesen und der Erweiterung des Sagbaren.