Sicherheitsanalystin über Trump-Vorgehen: "In unserer heutigen Zeit beispiellos"
Widerstand zwecklos: Das ist die Botschaft von US-Präsident Donald Trump. Im demokratisch regierten Bundesstaat Kalifornien will er sein Ziel der Massenabschiebung von Ausländern ohne gültige Papiere mit Hilfe militärischer Sicherheitskräfte durchsetzen.
Dafür bricht der Republikaner auch mit dem Tabu, die Nationalgarde eines Bundesstaats ohne die Einwilligung des jeweiligen Gouverneurs einzusetzen. Nachdem es im Raum Los Angeles vereinzelt zu Protesten gegen Beamte der US-Einwanderungsbehörde ICE gekommen war, befahl Trump den Einsatz von mindestens 2000 Soldatinnen und Soldaten der Nationalgarde.
Gouverneur Newsom: "Wird Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttern"
Kaliforniens demokratischer Gouverneur Gavin Newsom erklärte, der US-Präsident heize die Lage dadurch absichtlich an und nehme eine weitere Eskalation billigend in Kauf. Ein solcher Einsatz sei nicht Aufgabe der Nationalgarde "und wird das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttern".
Es gebe keinen Mangel an Sicherheitskräften, die Regierung wolle "ein Spektakel" inszenieren. Am Sonntag erklärte Newsom, er habe die Trump-Regierung offiziell dazu aufgefordert, "ihre unrechtmäßige Stationierung von Truppen im Los Angeles County" rückgängig zu machen und sie unter sein Kommando zurückzugeben.
Wichtig zu wissen: In den USA haben im Normalfall die Bundesstaaten die Kontrolle über die Nationalgarde. Sie ist eine militärische Reserveeinheit und Teil der US-Streitkräfte. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Nationalgarde, die bei Waldbränden, Wirbelstürmen, Überflutungen oder Unruhen im Inneren eingesetzt werden kann.
Sie steht dann unter dem Befehl des jeweiligen Gouverneurs. Der US-Präsident kann theoretisch das Kommando übernehmen - aber nur im äußersten Notfall von nationalem Ausmaß. Also etwa bei Krieg oder im Falle einer nationalen Katastrophe.
Sicherheitsanalystin: "Dieses Szenario ist beispiellos"
Experten blicken alarmiert auf das, was sich gerade in Los Angeles abspielt. Juliette Kayyem, leitende nationale Sicherheitsanalystin bei CNN und ehemalige Beamtin des Department of Homeland Security (DHS), bezeichnete das Vorgehen der Trump-Regierung am Wochenende als extreme Überreaktion.
Auf X schrieb sie: "Dieses Szenario – Unruhen in einer Stadt, die direkt von der Polizei und den staatlichen Behörden geregelt werden, überstimmt von einem Präsidenten, der sich einem Gouverneur widersetzt – ist in der heutigen Zeit beispiellos."
Zu CNN sagte sie am Samstag, eine Demokratie setze "bei Unruhen dieser Art kein Militär ein". Die Lockerung der Standards für den Einsatz der Nationalgarde durch die Regierung gemäß Artikel 10 des United States Code sei besorgniserregend.
"Das ist Teil eines umfassenden Versuchs des Weißen Hauses unter Trump, die militärischen Ressourcen des Bundes im zivilen Bereich einzusetzen – ohne einen Aufstand, ohne eine schwere Überschwemmung, ohne eine große Krise."
Verteidigungsminister droht mit Militäreinsatz
Und es könnte noch schlimmer kommen. Trumps Regierung droht bereits mit dem Einsatz der regulären Streitkräfte im Innern. Verteidigungsminister Pete Hegseth erklärte, bei Bedarf könnten auch in Kalifornien stationierte Marineinfanteristen der Streitkräfte mobilisiert werden.
"Sie sind in hoher Alarmbereitschaft", schrieb er auf der Plattform X. Newsom reagierte entsetzt darauf: Der Verteidigungsminister drohe damit, Soldaten "auf amerikanischem Boden gegen die eigenen Bürger einzusetzen", schrieb er auf X. "Das ist geistesgestörtes Verhalten."
Die am Freitag ausgebrochenen – und vereinzelt auch gewaltsamen – Proteste im Raum Los Angeles richteten sich gegen die Sicherheitskräfte der US-Einwanderungsbehörde ICE, die Migranten ohne gültige Papiere festnahmen, um sie abzuschieben.
Heimatschutzministerium sprach von massiver Eskalation
Das Weiße Haus sprach von "normalen Abschiebeeinsätzen". Manche Demonstranten bewarfen die Sicherheitskräfte unter anderem mit Steinen. Das Trump unterstellte US-Heimatschutzministerium sprach von einer massiven Eskalation.
Die Sicherheitskräfte traten den Demonstranten in voller Montur mit Schutzschilden und Helmen entgegen, auch Tränengas wurde eingesetzt. In der offiziellen Bekanntmachung des US-Präsidenten hieß es, die Nationalgarde werde 60 Tage im Einsatz sein oder so lange, wie es der Verteidigungsminister für nötig halte.
Das US-Militär teilte am Sonntagvormittag (Ortszeit) mit, erste Soldaten seien im Raum Los Angeles angekommen. Um die 300 Soldaten würden an drei verschiedenen Orten eingesetzt, um Eigentum und Personal des Bundes zu schützen.
Professor sieht "unglaublich gefährlichen" Moment
Daniel Kanstroom, Professor an der Boston College Law School, bezeichnete die aktuelle Situation im Interview mit dem "Time Magazine" als "unglaublich gefährlichen" Moment in Amerika.
Der Professor beschrieb ein "tektonisches Problem" der Einwanderung in den USA, Trumps Taktik habe die Krise nur verschärft. "Wenn Beamte scheinbar willkürlich Menschen festnehmen und sie von der Straße holen, ohne einen Haftbefehl vorzulegen, ohne zu erklären, wer sie sind, ohne respektvoll zu sein, dann erzeugt das in der Bevölkerung ein Gefühl von Terror und Angst", so Kanstroom.
Das führe "früher oder später zu einer Art Widerstand, und genau das beobachten wir gerade". Außerdem macht der US-Präsident in seinen Augen eines "ungewöhnlichen, wenn nicht beispiellosen" Gebrauch vom Begriff "Notstand".
Fest steht: Der Einsatz der Nationalgarde gegen den Widerstand des Gouverneurs ist eine höchst ungewöhnliche Machtdemonstration der Regierung. Seit 1965 hatte kein US-Präsident mehr die Nationalgarde eines Bundesstaats gegen dessen erklärten Willen übernommen.