Über die Geschichte der Lebzelter in Dachau: Handwerkskunst von höchstem Ansehen

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Das Lebzelterhaus (rechts im Bild) auf einer Aufnahme um 1960. Das Foto ist heute auf einer Infotafel neben dem Rathauseingang zu sehen. © ps

Die Gästeführerin Ilona Huber weiß viel über die Geschichte der Lebzelter in Dachau. Der Heimatzeitung gibt sie einen Einblick in das damals hoch angesehene und mittlerweile ausgestorbene Handwerk.

Dachau – Schokolade, Kuchen, Kekse, Eis: Süßigkeiten sind heute in großer Auswahl und für wenig Geld zu haben. Doch über viele Jahrhunderte war das undenkbar. Zucker war nicht verfügbar, und so existierte nur eine Art von süßem Gebäck, eine rare Kostbarkeit – die mit Honig verfeinerten Lebzelten. Hergestellt wurde dieses Backwerk vom Lebzelter, einem hoch angesehenen Handwerker, der laut Zunftordnung alle Produkte der Biene – also Wachs und Honig – verarbeiten durfte. Das erklärt Gästeführerin Ilona Huber, die sich eingehend mit der Geschichte des Lebzelterhandwerks in Dachau und darüber hinaus beschäftigt hat und eine thematische Führung anbietet unter dem Titel „Lebzelter, Wachszieher, Metbrauer – Eine Zunft zwischen Glauben und Genuss“.

In Dachau spiegelt sich diese Tradition im sogenannten Lebzelterhaus, das Georg Ertl 1624 erwarb und dort sein Handwerk als Lebzelter ausübte. Das Gebäude ist für den Rathausneubau 1970 abgerissen worden. Doch die erhaltene Originalfassade zeugt auch nach 400 Jahren noch von dieser Tradition. Und die exponierte, zentrale Lage des Gebäudes lässt ahnen, welch hochangesehenes wie auch prosperierendes Handwerk diese in Vergessenheit geratene Kunst der Lebzelter war.

Lebzelten, Kerzen und Met – es ist ein aus heutiger Sicht seltsamer Produkt-Mix, den die Lebzelter anboten in ihrem Laden, der mit Wohnung und Werkstatt in einem Haus lag. Die Zunftordnung gab diesem Handwerk das Monopol auf alle Produkte der Biene, also Wachs und Honig. Somit wurden Kerzen und aus Wachssträngen aufwändig gestaltete Votivgaben hergestellt, wurde Met gebraut und aus dem Auswaschwasser der Honigwaben und mit dem süßen Honig sowie feinen Gewürzen die begehrten Lebzelten gebacken.

Handwerker waren kreativ und buken etwa in Buchstabenform

Die Herstellung des Dauergebäcks war zeitaufwändig, „der Teig musste zehn Monate gehen und stehen“, erzählt Ilona Huber. Vor dem Backen wurde der Teig dann in kunstvoll handgeschnitzte Model gedrückt, es entstanden Lebzelten mit Motiven zu verschiedensten Anlässen. „Die Model waren das Kapital der Lebzelter.“ Die Herzform war über Jahrhunderte beliebt, sagt Ilona Huber vor der Vitrine im Bezirksmuseum, wo Besucher eine Sammlung historischer Model bewundern können. Schon damals waren die Handwerker kreativ. „So wurden beispielsweise Buchstabentafeln mit dem ABC gebacken, die Kinder wohlhabender Familien zum Schulanfang erhalten haben.“

Gästeführerin Ilona Huber zeigt das Portrait des 1744 verstorbenen Georg Ertl, das die Rückseite seiner Grabtafel in der Pfarrkirche St. Jakob ziert. Ertl brachte vor 400 Jahren das Handwerk ins später als Lebzelterhaus bekannte Gebäude.
Gästeführerin Ilona Huber zeigt das Portrait des 1744 verstorbenen Georg Ertl, das die Rückseite seiner Grabtafel in der Pfarrkirche St. Jakob ziert. Ertl brachte vor 400 Jahren das Handwerk ins später als Lebzelterhaus bekannte Gebäude. © ps

Von der Handwerkskunst her, so Huber, habe die Herstellung der Lebzelten das höchste Ansehen gehabt, „das meiste Geld verdienten die Lebzelter mit Kerzen und Votivgaben“. Die Zunftordnung ließ für den gesamten Landgerichtsbezirk nur einen Lebzelter zu.

Weitere Vertreter dieses besonderen Handwerks gab es erst wieder in Augsburg, Pfaffenhofen und München. Die Lebzelter in Dachau waren daher angesehen und wohlhabend, ihre Stellung in der Gesellschaft auch an der exponierten Lage des Lebzelterhauses sichtbar.

Von Georg Ertl ist zudem in der Pfarrkirche St. Jakob ein Grabstein erhalten, der ursprünglich an der Außenmauer angebracht war. Bei der Restaurierung der Kirche wurde auf der Rückseite des Epitaphs ein Portrait Ertls entdeckt. Die Tafel ist nun, vor der Witterung geschützt, im Innern der Kirche angebracht, eine Infotafel zeigt das auf der Rückseite verborgene Bild des Lebzelters aus dem 17. Jahrhundert.

Der Niedergang begann mit der weiten Verbreitung von Rohrzucker

Das mit Georg Ertl im Lebzelterhaus begründete Handwerk wurde dort über Jahrhunderte ausgeübt. „Denn die Gerechtsame lag auf dem Gebäude.“ Heute ist dieses Handwerk fast vergessen. Der Niedergang begann mit dem Import von Rohrzucker, wurde verstärkt durch den in großen Mengen verfügbaren heimischen Rübenzucker, Konditoren übernahmen die Herstellung von Lebkuchen. Zucker war als Zutat von Lebzelten nicht zulässig, die einst schützende Zunftordnung wurde den Lebzeltern zum Hindernis. Zwar wurden später die Vorgaben der Zunft gelockert. „Aber ein mit Zucker hergestellter Teig lässt sich in den herkömmlichen Holzmodeln nicht verarbeiten“, erzählt Gästeführerin Huber.

Um die Jahrhundertwende unterstützten Dachauer Künstler wie Hermann Stockmann das traditionsreiche Handwerk, entwarfen Motive für dann mit Zuckerguss aufwändig handbemalte Lebkuchen. Doch der Niedergang des Handwerks war nicht aufzuhalten. Mit dem letzten Lebzelter Johann Altherr starb dieses Handwerk 1947 in Stadt und Landkreis aus.

Heute Teil des Rathaus-Gebäudes: Das ehemalige Lebzelterhaus (rechts), von dem beim Umbau in den 1970er Jahren nur die historische Fassade erhalten wurde. Eine Infotafel am Haus informiert über das Lebzelterhandwerk und seine Geschichte.
Heute Teil des Rathaus-Gebäudes: Das ehemalige Lebzelterhaus (rechts), von dem beim Umbau in den 1970er Jahren nur die historische Fassade erhalten wurde. © ps

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