Perspektiven dank dem Berufsbildungswerk Kirchseeon

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Florian (22) arbeitet am liebsten an der Drehmaschine. © Rossmann

Die jungen Erwachsenen, die am Berufsbildungswerk Kirchseeon ihre Ausbildung machen, haben nicht selten einen holprigen Start hingelegt. Das heißt aber nicht, dass man nicht noch durchstarten kann. Davon erzählen vier Azubis.

Kirchseeon - Taki trägt Schwarz, und zwar ausschließlich. Ihren Schreibtisch hat die 20-Jährige aber in Pink dekoriert – vom Mauspad bis zum Tacker ist alles im Design von „Hello Kitty“, der pinken, japanischen Kult-Katzenfigur. „Komisch irgendwie“, sagt Taki und lacht, dass die Augen mit den Nasenpiercings um die Wette blitzen. Ist halt ihr Style. Hier, im Berufsbildungswerk Kirchseeon (BBW), darf sie so sein, wie sie ist. „Man wird hier gesehen und verstanden“, findet sie.

Das BBW Kirchseeon ist ein Haus, das genau dies als seinen Auftrag versteht, erklärt Gizem Ulas (29), Teamleiterin in der Ausbildung und Vertrauensperson für die Azubis. Junge Erwachsene, die sich mit dem Start ins Berufsleben schwerer tun, sind die Zielgruppe; sei es wegen einer Lernschwäche, einer psychischen Vorgeschichte, einer Behinderung oder eines anderen Hemmschuhs im Gepäck. Hier, auf dem Hügel, wo die Berufsschule, die Ausbildungswerkstätten und ein Wohnheim stehen, sollen sie die Zeit bekommen, um zu glänzen.

Taki (20) macht die Ausbildung zur Mediengestalterin.
Taki (20) macht die Ausbildung zur Mediengestalterin. © Rossmann

Taki macht die Ausbildung zur Mediengestalterin. Ihr Reich ist die Medienwerkstatt, wo auch die Buchbinder sitzen und die Klingen der Papierguillotinen so lang sind wie ein Kindergartenkind groß. Sie hat sich schon mal den Fingernagel abgezwickt, gibt sie augenzwinkernd zu. Mehr ist zum Glück nicht passiert. Sie arbeite gerne handwerklich, aber für schwere Arbeiten habe sie nicht die Statur. Nun designt die 20-Jährige Parfumschachteln oder Werbeplakate, um sich fit fürs künftige Berufsleben zu machen.

Von der Bäckerin über den Gärtner und die Tischlerin bis zum Zerspannungsmechaniker oder Raumausstatterin: 98 Azubis in 26 Berufsbildern arbeiten zurzeit im BBW. Damit bietet die Einrichtung eine ganze Reihe von handwerklichen Ausbildungsrichtungen und eine ganze Reihe beruflicher Perspektiven.

Wir machen das Scheinwerferlicht, die Azubis sind die Stars.

Für Florian zum Beispiel, tätowierte Handgelenke und Adidas-Kapuzenpulli, der eine Schreinerausbildung in einem klassischen Betrieb frustriert abgebrochen hat und jetzt mit Begeisterung an der Drehmaschine Aluhülsen für einen Motorzylinder ausfräst. Gut, zu den Edelstahlwannen, die der 22-Jährige neulich zusammenschweißen musste, gibt er schmunzelnd zu: „Das war nicht so geil.“ Dann sagt er über seinen Arbeitsplatz, wo es nach Metallspänen riecht und an den schweren, schreienden Maschinen manchmal die Funken fliegen: „Aber insgesamt gefällt es mir hier ziemlich gut.“ Den Job will er später auch auf dem freien Arbeitsmarkt machen, erzählt er, wenn er sich richtig eingegroovt hat.

So mancher BBW-Azubi hat unschöne Erfahrungen hinter sich. Bekam von Lehrern oder Meistern an den Kopf geworfen, wie dumm er oder sie doch seien, dass sie sich nicht so haben sollten, dass sie sich mal zusammenreißen müssten. Wenig hilfreich, findet Ausbilderin Ulas. Nicht jeder junge Mensch kommt gleich mit Stress, Lärm, Tempo, Teamdynamik oder Konkurrenzdruck zurecht. Die meisten bräuchten einfach Zeit.

Patric (24) hat Lust darauf, Fachlagerist zu werden.
Patric (24) hat Lust darauf, Fachlagerist zu werden. © Rossmann

Und das richtige Material. Dafür ist der 24-jährige Patric zuständig, der zwischen Regalreihen mit Reinigungsmitteln, Arbeitskleidung oder Schreibzubehör im BBW die Ausbildung zum Lageristen macht. Pakete empfangen, Lieferungen sortieren, einräumen, ausräumen und viel Zeit am Rechner verbringen, um das Warenwirtschaftssystem zu pflegen. „Manchmal kann das schon stressig werden“, sagt er und verschränkt die kräftigen Arme, die aus der noeonorange gefleckten Kapuzenjacke hervorschauen, vor der Brust. „Aber normalerweise kann ich in meinem Tempo arbeiten, das ist angenehm.“

Die Ausbildungsdauer lässt sich im BBW auch verlängern, erklärt Gizem Ulas vom Ausbilder-Team. Und die Tatsache, dass die Berufsschule mit auf dem Gelände integriert ist und sich Ausbilder und Lehrerschaft kennen und austauschen, nutzt wiederum den jungen Erwachsenen: Wenn es etwa in Mathe hakt, gibt es halt in kleiner Gruppe Nachhilfe. Und im Internat können einige Azubis sogar auf dem Gelände leben, anders als Taki und Patric, die aus München nach Kirchseeon pendeln, und Florian, der in Eglharting wohnt. Vom Bahnhof fährt extra ein Bus auf den Berg.

Tyra (17) sieht sich als Lackiererin oder Kirchenmalerin.
Tyra (17) sieht sich als Lackiererin oder Kirchenmalerin. © Rossmann

Pendlerin ist auch Tyra, aus dem Rosenheimer Land. Die 17-Jährige ist im ersten Lehrjahr und hat für den Arbeitstag ihre Alltagsklamotten gegen fleckenübersäte Hose und Pulli eingetauscht, die sie als angehende Malerin ausweisen. Aus den Ärmeln ragen die Hände mit liebevoll gestalteten, langen Fingernägeln hervor, die sie als Künstlerin ausweisen. Vielleicht klappt es ja mit beidem ein bisschen. Tyra mag es, mit Schablonen oder Tupftechnik kleine Kunstwerke zu gestalten, von denen eines, ein Löwenkopf, Gizem Ulas‘ Büro verziert.

Sie ist sich aber auch nicht zu schade, im Lackierraum hinter der Schutzmaske einen Schwung Zaunleisten zu besprühen. „Ich bin auch gern auf der Baustelle.“ Je nachdem, wie die Ausbildung läuft, könnte sie sich gut vorstellen, Autolackiererin zu werden. Oder vielleicht sogar Kirchenmalerin. Jedenfalls will sie den Rückenwind in Kirchseeon nutzen, um ihr Leben selber in die Hand zu nehmen. Ausbilderin Gizem Ulas formuliert es so: „Wir machen das Scheinwerferlicht, die Azubis sind die Stars.“

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