„Der Markt springt nicht an“ – wichtiges Segment der Autobranche steht vor Elektro-Problemen
Die Autobranche steht bei der Elektrifizierung vor Problemen. Das betrifft auch Nutzfahrzeuge. Ein neuer Plan der EU könnte den Umschwung bringen.
Brüssel/Berlin – Bürokratie, Klimavorgaben und zuletzt der Rohstoffmangel: Die deutsche Automobilindustrie kämpft aktuell mit einer Vielzahl von Hürden. Welche Lösungen es dafür gibt, wollte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) zuletzt auf einem eigens dafür einberufenen Kongress wissen. vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt sprach außerdem von einer „starken Verunsicherung“, die die Weltwirtschaft ergriffen habe, sowie von der „enormen Konkurrenz aus China“. Die vbw richtete das Schlaglicht in diesem Rahmen auch auf Nutzfahrzeuge.
„Markt springt nicht an“ – Elektrifizierung bei Nutzfahrzeugen stockt
Nutzfahrzeuge stehen dabei vor ähnlichen Herausforderungen wie Pkw, wenn es um ihre Elektrifizierung geht. Die notwendige Lade-Infrastruktur muss vorhanden sein, außerdem muss die Nachfrage nach diesen Fahrzeugen hochfahren, wenn der Sektor nachhaltig erstarken soll. „80 Prozent aller Anwendungen, die unsere Kunden so haben, können wir mit einem batterieelektrischen Antrieb abdecken“, erklärte Benedikt Nesselhauf, Head of Brussels Office bei MAN Truck & Bus SE, beim politischen Dialog der vbw in Brüssel. Dabei bestehen jedoch mehrere Hürden.
Einerseits geht es um die Nachfrage der Kunden. „Wir sind in einer technologischen Situation, in der wir eigentlich den Bedarf unserer Kunden erfüllen können, aber wir haben das Problem, dass der Markt nicht anspringt“, erklärte Nesselhauf. Damit meint er, dass die Technologie für elektrifizierte Lkw eigentlich da ist, auch die Reichweite ist für diese Fahrzeuge kein Problem. Langstreckenlieferungen machen nur einen geringen Prozentsatz der Fahrten aus; „das Meiste findet unter 300 Kilometer statt“. Die Reichweite von Elektromotoren soll also für Lkw ausreichen.
Andererseits fehlt es generell an Ladestationen für elektrisch betriebene Lkw. In der gesamten EU sind laut Nesselhauf weniger als 1.000 Ladepunkte verfügbar, an denen Nutzfahrzeuge problemlos „tanken“ können. In der Theorie gebe es natürlich mehr, aber Nesselhauf machte klar, dass es auch auf die Zugänglichkeit ankommt. Die Elektro-Tankstellen sollten zum Beispiel nicht auf eine Weise installiert sein, dass das aufzuladende Fahrzeug andere Autos oder gar Zufahrtswege blockiert. Kurz gesagt: „Die notwendigen Voraussetzungen sind nicht da.“
EU-Plan soll Probleme von Nutzfahrzeugen bekämpfen – „waren sehr erfreut“
Der im März vorgestellte sogenannte Action-Plan der Europäischen Union (EU) macht Nesselhauf allerdings Hoffnung. „Wir waren mit Blick auf den Action-Plan sehr erfreut. Nutzfahrzeuge sind leider nicht sexy“, teilte er mit. Der sogenannte Industrial Action Plan for the European automotive sector sieht unter anderem vor, dass emissionsfreie schwere Nutzfahrzeuge länger von der Straßennutzungsgebühr vollständig befreit sind. Ursprünglich sollte die Maßnahme am 31. Dezember 2025 enden, diese Deadline ist gefallen.
Weiter soll der Action-Plan Mitgliedstaaten dazu ermutigen, weitere „Maßnahmen zur ökologischen Ausrichtung von Unternehmensflotten“ zu ergreifen. Er versprach zusätzliche Flexibilisierungsmöglichkeiten durch eine „gezielte Änderung der CO₂-Emissionsnormen“ für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.
Kritik an EU-Plan – keine „erfolgsversprechende Elektromobilitätspolitik“
Der Verband der Automobilindustrie (VDA) bewertet den zunehmenden Schwenk auf Nutzfahrzeuge ebenfalls positiv. Nutzfahrzeuge bezeichnete der Verband in einer entsprechenden Meldung als das „Rückgrat der europäischen Wirtschaft“. Die „besonderen Herausforderungen“, die sich daraus ergäben, müssten „stärker anerkannt werden“. Genau wie Nesselhauf pocht der Verband darauf, dass die Lade- und H₂-Tankinfrastruktur stärker werden müsse.
VDA-Präsidentin Hildegard Müller sagte dazu: „Die im Rahmen einer ‚European Clean Transport Corridor Initiative‘ in Aussicht gestellte Anerkennung der Lkw-Ladeinfrastruktur als Teil der kritischen Infrastruktur und beschleunigte Genehmigungsverfahren sind insofern erste wichtige Bausteine, um die notwendige Beschleunigung zu erreichen. Hier kommt es jetzt auf eine schnelle Umsetzung an.“
Vonseiten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) kam dagegen Kritik. „Jetzt den Fahrzeughochlauf zu entschleunigen und gleichzeitig eine weitere Ausweitung des Ladeangebots zu fordern, ist offensichtlich nicht schlüssig und alles andere als eine erfolgsversprechende Elektromobilitätspolitik“, sagte Kerstin Andrae, Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, dazu. Die EU-Kommission und die Regierung seien aufgefordert, den reduzierten Schwung der CO₂-Flottengrenzwerte an anderer Stelle auszugleichen. Der BDEW verwies dabei auf „nachhaltige Steueranreize“ für E-Fahrzeuge. Diese sollen eine größere Wirkung zeigen als teure Förderprogramme.
Optimismus für die Autobranche – EU-Plan kann Elektrifizierung für Nutzfahrzeuge beschleunigen
Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. geht aktuell davon aus, dass eine Umsetzung des sogenannten EU-Aktionsplans für die Automobilindustrie mehrere große Probleme lösen kann. „Wichtig sind dabei Maßnahmen, die einen schnellen Abbau von Bürokratie ermöglichen“, erklärte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Weiter betonte der vbw die Wichtigkeit von Technologieoffenheit für Deutschlands Erfolg auf ökologischer und ökonomischer Ebene.
„Die jüngsten Maßnahmen aus Brüssel, etwa die Flexibilisierungsmöglichkeit zur Erreichung der CO₂-Zielvorgaben für die Autohersteller, stimmen uns zuversichtlich, dass eine echte Trendwende in Europa möglich ist“, erklärre Brossardt.