Ja! Nein! Der Grünen-Streit um die Asylreform
„Das erzeugt Leid“: EU-Abgeordnete bekämpften das Paket, für das Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock wirbt.
München/Brüssel – Die Außenministerin war erkennbar erleichtert, vielleicht sogar glücklich. Ein „Meilenstein“ sei das, eine „gute Nachricht“, Europa bekomme verbindliche Regeln mit Humanität und Ordnung, verbreitete Annalena Baerbock Minuten nach der entscheidenden Abstimmung über die Asylreform. Was nicht so recht zur Freude der Grünen-Politikerin passt: Ihre Parteifreunde haben fast komplett gegen alle Details gestimmt.
Tatsächlich ist das Votum der EU-Abgeordneten vom Mittwochabend ungewöhnlich, spannend und folgenreich. Bis fast Minuten vor der Abstimmungsserie war nicht sicher, ob das Asylpaket nicht noch mit einem Knall platzt. Im EU-Parlament, 705 Abgeordnete groß, ist die Mehrheit ja nie so klar absehbar wie zum Beispiel im Bundestag, wo Rote, Gelbe, Grüne fast immer gemeinsam stimmen und bombensicher in der Überzahl sind.
In Brüssel/Straßburg kollidieren oft Partei- und nationale Interessen und die Fraktionen sind zersplitterter. Die knapp 180 Christdemokraten unter CSU-Mann Manfred Weber sind zwar die größte Fraktion, können aber gerade mal ein Viertel der Abgeordneten zusammenkratzen.
Die Grünen sind in der EU-Asylfrage gespalten
Der Kampf für den Asylpakt wurde so zur Machtprobe und Zitterpartie. Mit den 100 Liberalen und einem Teil der 140 Sozialdemokraten reichte es nicht zur Mehrheit. Umso zentraler waren die Grünen-Stimmen. In der Fraktion setzten sich aber die Gegner glasklar durch. Das Paket werde „mehr Bürokratie, einen Asylflickenteppich und weiter Leid erzeugen“, sagt der deutsche Grüne Erik Marquardt, der Meinungsführer. Seine Leute stimmten gegen den Grenzschutz ebenso wie gegen innereuropäische Solidaritätsmechanismen.
Dass Baerbocks Brüsseler Parteifreunde somit auch ihr vorwerfen, mit ihrem Kurs Leid zu erzeugen, ist pikant. Es ist auch Ausdruck der Zerrissenheit der Grünen in der Migrationspolitik, die zuletzt auf dem Karlsruher Parteitag im November Schlagzeilen gemacht hatte. Öffentlich warben die Außenministerin, mehrere Kabinettskollegen und auch Pragmatiker wie Winfried Kretschmann für den Asylpakt.
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Asyl-Reform: Weber (CSU) kritisiert knappes Abstimmungsergebnis
Für die Hoffnung der Grünen, nach der Europawahl im Juni Teil einer „Gestaltungsmehrheit“ im Parlament zu werden, ist das ein Rückschritt, schimpfen potenzielle Partner. „Die Grünen haben mit ihrem unverantwortlichen Handeln den radikalen Parteien von rechts und links und den Europa-Gegnern in die Hände gespielt“, sagt Weber. „Eine absehbar so knappe Abstimmung über einen zentralen und jahrelang verhandelten Kompromiss für ideologische Spielchen zu nutzen, ist einer grünen Regierungspartei unwürdig.“ Die Grünen und auch einige Rote „stellen sich damit ins europapolitische Abseits“.
Tatsächlich gab es auch in der SPD, deren Kanzler Olaf Scholz massiv für den Pakt warb, zahlreiche Abweichler. Die Rosenheimerin Maria Noichl stimmte dagegen.
Was noch brisant ist am EU-Votum: Am Ende sind es auch Stimmen aus Italien, die mehrere wackelige Einzelabstimmungen und somit den Pakt gerettet haben. Die Abgeordneten der gern als „postfaschistisch“ beschriebenen Fratelli d‘Italia von Partei- und Regierungschefin Giorgia Meloni verhalfen (neben anderen) Webers Bündnis zur Mehrheit.
Die noch radikaler positionierten Abgeordneten der „ID“-Fraktion stimmen dagegen, wohl auch aus Taktik: Im Europawahlkampf brächte ein geplatzter Pakt Rückenwind für extreme und europafeindliche Kandidaten. Auch da allerdings weichen Italiener ab: Die Lega-Abgeordneten votierten teils mit Ja oder Enthaltung.