ARD-Journalistin Ruhs über „links-grüne Meinungsmacht“: „Müssen auch AfD‑Wähler ansprechen“

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Wie neutral sind die Medien in Deutschland? ARD-Journalistin Julia Ruhs sieht einen „links-grünen“ Einschlag – und kritisiert im Merkur-Interview auch den eigenen Arbeitgeber.

Julia Ruhs ist das konservative Aushängeschild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eines Rundfunks, den Konservative zusehends als eher links eingefärbt bezeichnen. Und so sieht auch Ruhs bei manchen Sendungen in ARD oder ZDF „schon eine Unausgeglichenheit“.

In Medien und Öffentlichkeit dominiert laut Ruhs ohnehin vor allem eine politische Schlagseite: die „links-grüne Meinungsmacht“; so heißt ihr jetzt erschienenes erstes Buch. Die Medien würden ihren Teil zu Polarisierung und auch zu einer stärkeren AfD beitragen, sagt die 31-jährige Journalistin. „Wir müssen durch unser Programm auch AfD‑Wähler ansprechen, weil auch diese Menschen berechtigte Anliegen haben.“

Die gebürtige Baden-Württembergerin arbeitet für den Bayerischen Rundfunk und den NDR. Dort hat sie seit kurzem eine eigene Sendung namens „klar“. Sie dreht sich laut NDR-Selbstbeschreibung um „große Streitfragen aus der Mitte der Gesellschaft“ und soll zum Beispiel „gegensätzliche Meinungen zum Thema Migration“ aufzeigen. Vor einer BR-Spätschicht Mitte August kommt Julia Ruhs ins Münchner Pressehaus. Im Interview mit dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA geht es vor allem um die Frage, warum Deutschland ihrer Meinung nach so gespalten ist. Dabei landet Ruhs immer wieder bei denselben Gründen.

Julia Ruhs: „Wer über die Folgen von Migration spricht, ist plötzlich Rassist“

Frau Ruhs, Ihr Buch trägt den Titel „Links-grüne Meinungsmacht: Die Spaltung unseres Landes“. Wie gespalten ist Deutschland Ihrer Meinung nach?

Deutschland ist auf jeden Fall polarisiert. Seit einigen Jahren dominieren Streitfragen wie Migration, Corona und Krieg. Bei mehreren Themen stehen sich Menschen unversöhnlich gegenüber; es gibt häufig nur noch Freund oder Feind.

Woran liegt diese Polarisierung?

Es liegt auch daran, dass in der Öffentlichkeit die letzten Jahre überwiegend linkere Meinungen dominiert haben. Einerseits in der Politik – allein schon durch Angela Merkel, die ja eigentlich konservative Positionen vertreten sollte, in der Migrationskrise 2015 aber eine 180-Grad-Wende hingelegt hat. Dann hatten wir die Corona-Zeit als Katalysator, durch den sich gewisse Leute nicht mehr in der Politik wiedergefunden haben und legitime Kritik an den Maßnahmen nicht gehört wurde. 

Und das ist ein generelles Problem. Meinungen werden oft als rechts oder demokratiefeindlich abgestempelt. Wer über die Folgen von Migration spricht, ist plötzlich Rassist. Wenn man die zweifelsohne vorhandenen Probleme von Migration aber verschweigt, führt das nur zu weniger Vertrauen in den Staat und auch in die Medien.

Julia Ruhs im Münchner Pressehaus im Gespräch mit Politikreporter Andreas Schmid.
Julia Ruhs im Münchner Pressehaus im Gespräch mit Politikreporter Andreas Schmid. © Sven Hauberg/IPPEN.MEDIA

Das heißt, die Medien tragen ihren Teil zu dieser Polarisierung bei?

Ja, einen Teil schon. Es führt zu Frust bei den Menschen, wenn bestimmte Sorgen und Themen nicht mehr angemessen vorkommen – im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in der Medienwelt generell. 

Da müssen wir etwas differenzieren. Es gibt natürlich eher linke Medien wie den Spiegel, die SZ oder die taz. Aber es gibt doch genauso konservativere Blätter wie die FAZ, die Welt oder die Bild. Zudem bilden sich neue Medien rechts der Mitte. Wen meinen Sie also mit „den Medien“? 

Ich meine die etablierten Medien, auch wenn ich diesen Begriff ungern benutze. In der etablierten Medienwelt fehlte in den vergangenen Jahren manche Sichtweise. Umfragen zeigen, dass Journalisten meist eine linksliberale Haltung haben. Ich mache dem Spiegel oder der SZ keinen Vorwurf, Welt oder Bild wiederum folgen anderen Leitlinien. Als privater Verlag ist das ihr gutes Recht. Bei den Öffentlich‑Rechtlichen sehe ich eine solche Einseitigkeit kritischer. Obwohl man da auch differenzieren muss: bei BR24-Fernsehen, wo ich arbeite, kann ich mich nicht beklagen. Aber bei anderen Sendungen in ARD oder ZDF sehe ich schon eine Unausgeglichenheit. Das erzeugt Frust und führt dazu, dass Menschen fordern, man müsse den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abschaffen.  

Gehen Sie da mit?

Nein, auf keinen Fall. Gerade heute brauchen wir den öffentlich‑rechtlichen Rundfunk als gesellschaftlichen Kitt. Mein Ideal ist ein zeitgemäßer Rundfunk, der rechte und linke Zuschauer anspricht. Es kann nicht sein, dass sich Teile der Gesellschaft nicht wiederfinden. Meiner Meinung nach müssen wir durch unser Programm auch AfD‑Wähler ansprechen, weil  auch diese Menschen berechtigte Anliegen haben. Würden wir diese sachlich abbilden, wären viele eher bereit, ihre Rundfunkbeiträge zu zahlen.

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Kritiker, gerade aus dem rechten Lager, wollen die Rundfunkbeiträge ja komplett abschaffen. 

Ja, sie sprechen dann vom Kampfbegriff der GEZ-Zwangsgebühren, dabei gibt es die GEZ in der Form seit Jahren gar nicht mehr …

Sollten die Rundfunkgebühren bleiben, oder muss man vielleicht neue Wege gehen, zum Beispiel ein Abo-Modell wie bei Netflix?

Die Beiträge sollten bleiben. Ein Abo‑Modell würde nur einen kleinen Teil der Bevölkerung erreichen, so würde unser Mediensystem weiter zersplittern. Die Aufgabe des Rundfunks ist es, ein Angebot und eine Plattform für alle zu schaffen.

Medien und die AfD: „Diese Strategie hat oft das Gegenteil bewirkt“

In Ihrem Buch geht es viel um die AfD. 105-mal kommt der Begriff vor, keine andere Partei wird öfter genannt. Wie sollten Medien mit der AfD umgehen? 

Deutlich entspannter. Medien sollten nicht glauben, den Auftrag zu haben, die AfD mit allen Mitteln bekämpfen und kleinschreiben zu müssen. Diese Strategie hat oft das Gegenteil bewirkt: Menschen sind genervt, wenden sich von etablierten Medien ab und suchen alternative Plattformen. Das schafft Parallelöffentlichkeiten.

Wie blicken Sie auf dieses ja immer noch vergleichsweise neue Medienphänomen der alternativen Medien?

Auf manchen Plattformen braucht man seine Zeit gar nicht vergeuden, da wird man nur dumm im Kopf. Andere liefern durchaus gute Beiträge; wenn Sie ein Beispiel wollen, da meine ich etwa die Interviews von Ralf Schuler bei Nius. Andere Formate, Blogs oder Youtube-Kanäle gefallen mir weniger, ich halte sie teilweise für Stimmungsmache. Ich würde aber nicht sagen, dass alternative Medien prinzipiell eine Gefahr für die Demokratie sind. Es ist doch eher demokratisch, dass sich neue Medien bilden. Wo viel Nachfrage herrscht, entsteht eben ein Angebot. 

Julia Ruhs Buch „Links-grüne Meinungsmacht“
Julia Ruhs Buch „Links-grüne Meinungsmacht“ erscheint am 18. August im Langen Müller Verlag und kostet 20 Euro. © Jann Wilken

ARD-Journalistin Julia Ruhs: „Die Medien sind mit schuld am Erstarken der AfD“

Diese Medien vertreten oft eine rechtsgerichtete Ausrichtung. Sie aber sind überzeugt, dass das nicht zum Erstarken der AfD beigetragen hat; ein Kapitel in Ihrem Buch heißt: Wie der Mainstream rechte Kräfte groß gemacht hat. Wie hat er das denn getan?

Die Medien sind mit schuld am Erstarken der AfD. Journalisten, die eher links-grün eingestellt sind, können sich oft nicht wirklich in die Sorgen und Nöte von AfD-Wählern hineinversetzen. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder dasselbe Phänomen erlebt: Bestimmte Themen galten plötzlich als rechts und fanden im Diskurs nicht mehr ausreichend statt, etwa Kritik an der Corona-Politik oder das Thematisieren von Kriminalität und Migration. Die AfD und alternative Medien wurden also immer stärker, weil bestimmte Meinungen „vom Mainstream“ nicht mehr abgedeckt wurden. Das betrifft die Parteien, aber eben auch die Medien.

Das geht in die Richtung „man darf nicht mehr alles sagen“. Laut einer Allensbach-Umfrage hat die gefühlte Meinungsfreiheit in der Bevölkerung den tiefsten Stand seit den 1950er-Jahren erreicht. Ist die freie Rede in Deutschland tatsächlich gefährdet?

Die klassische Meinungsfreiheit ist nicht gefährdet. Man darf alles sagen. Es gab zwar die Fälle von Hausdurchsuchungen wegen ungeschickter Tweets – das ist überzogen und sollte nicht vorkommen, aber für mich sind das Einzelfälle. Ich sehe also nicht, dass der Staat da großartig Meinungen einschränkt, und die Medien tun das auch nicht. Wenn mir Leute sagen, wir müssten das schreiben, was von oben befohlen wird, dann schüttel ich den Kopf. Was aber tatsächlich zugenommen hat, ist der soziale Druck einer Meinung. 

Das heißt?

Viele Menschen haben Sorge, wenn sie bestimmte Meinungen äußern. Sie fürchten Ausgrenzung durch Freunde, Familie oder Kollegen, wenn sie abweichende Ansichten äußern. Eventuell im Beruf auch den Verlust von Aufträgen, und, dass sie sich ihren Ruf ruinieren. Sie werden möglicherweise dann als AfDler, Trump-Anhänger, Rassisten oder gar Nazis gebrandmarkt. Solche Dinge passieren sehr schnell und sind auch mir schon passiert.

Inwiefern?

Als ARD-Volontärin hatte ich einen Kommentar gegen das Gendern formuliert – und würde dafür im Internet übel angefeindet. Ich war plötzlich rechtsradikal, rückständig, AfD-nah. Man muss meine Position zum Gendern nicht teilen. Dass man aber selbst bei so normalen Positionen die inflationär verwendete Nazi-Keule schwingt, hat mich damals schon getroffen. Es zeigt, wie polarisiert das Meinungsspektrum in Deutschland ist. 

Wie blicken Sie in die Zukunft, was muss sich ändern?

Der Schlüssel liegt in einer anderen Personalpolitik. Medien müssen es schaffen, Leute aus verschiedenen Milieus anzuziehen. Von links bis rechts, von Arbeitern bis Studierten. Dann müssen alle Menschen, nicht nur Journalisten, wieder offener werden; raus aus ihrer Blase und auch andere Meinungen einfach anhören und nicht gleich verurteilen. Damit wäre der Gesellschaft schon viel geholfen. (Interview: Andreas Schmid)

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