„Auf Kosten der territorialen Integrität“: So gefährlich ist Trumps Friedensplan für die Ukraine
Trumps überraschender Sieg löst in Deutschland Besorgnis aus. Was müssen wir vom neuen US-Präsidenten erwarten? Ein Experte erklärt.
Eine große Mehrheit der Deutschen hat sich Kamala Harris als amerikanische Präsidentin gewünscht. Nach Trumps überraschendem Erdrutschsieg fürchtet die deutsche Wirtschaft nun die Folgen seines Protektionismus. Im Ukraine-Krieg sind Deutschland und Europa unter Präsident Trump finanziell und militärisch auf sich gestellt, sagt Dominik Tolksdorf, Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) mit dem Spezialgebiet USA und transatlantische Beziehungen. Er hat bis vor zwei Jahren in den USA gelebt.
Deutsch-Amerikanische Freundschaft
Schon nach Trumps erstem Wahlsieg wurde vielerorts das Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft besungen. Was bedeutet die zweite Amtszeit? Müssen wir uns auf eine erneute transatlantische Eiszeit einstellen?
Die politischen Beziehungen werden jetzt viel schwieriger werden. Aber trotzdem muss natürlich ein Weg gefunden werden, mit der Trump-Regierung erneut zusammenzuarbeiten. Auch wenn auf politischer Ebene Spannungen in der Handels- und Sicherheitspolitik zu erwarten sind – die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und den USA sind stark und werden weiterbestehen. Die Deutschen wissen auch: Nicht jeder Amerikaner ist Trump-Wähler, und auch die allermeisten Trump-Wähler wollen keinen Autokraten als Präsidenten. Die Gründe für die Zustimmung unter seinen Wählern sind sehr vielfältig.
Warum haben die Amerikaner Trump gewählt?
Ich glaube, dass die Wirtschaft das wichtigste Argument für den Wahlsieg der Republikaner war. Viele Menschen haben zuletzt eine große Preissteigerung bei Lebensmitteln, Mieten, Immobilien erlebt. Die persönliche Wahrnehmung vieler Trump-Wähler ist, dass es Ihnen unter Trump finanziell besser ging – auch wenn die Statistiken zeigen, dass die Inflation zuletzt wieder auf Normalniveau gesunken ist. Aber die rapide Inflation davor hat Spuren hinterlassen.
Handelspolitik
Vor allem die deutsche Wirtschaft fürchtet Trumps „America First“-Prinzip. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat errechnet, dass eine zweite Trump-Präsidentschaft Deutschland bis zu 180 Milliarden Euro kosten könnte. Welche Konsequenzen drohen in der Handelspolitik?
Das transatlantische Handelsverhältnis wird weiter eng und umfassend bleiben – auch nach weiteren vier Jahren Trump werden Deutschland und die EU zu den wichtigsten Handelspartnern der USA gehören, und umgekehrt. Klar ist aber: Donald Trump wird wieder verstärkt auf Zölle setzen, um das Handelsdefizit der USA zu verringern. Gleichzeitig möchte er die heimische Produktion stärken. Das ist ein langfristiger Prozess, der vor allem während der Biden-Präsidentschaft vorangebracht wurde. Darauf kann jetzt Trump weiter aufbauen.
Müssen wir uns auf Aluminium- und Stahlzölle gefasst machen?
Das ist zu befürchten, aber auf Zölle ist die EU heute besser vorbereitet als noch in der ersten Amtszeit Trumps. Europa könnte diesmal recht schnell reagieren und Gegenmaßnahmen treffen.
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Welche?
Die Mitgliedsstaaten können Gegenzölle einsetzen. In seiner letzten Amtszeit waren das beispielsweise Zölle auf Whiskey und Motorräder – aber es gibt eine ganze Produktpalette, die infrage kommt. Zunächst wird Europa aber das Gespräch mit Trump suchen. Die Bundesregierung hat versucht, die Kontakte ins republikanische Lager zu stärken. Wie belastbar die sind, ist dann allerdings eine andere Frage. An das direkte Trump-Umfeld kommt man nicht ran, und es ist ja auch noch nicht klar, welches politische Personal künftig eine Rolle spielen wird.
Wenn die Gespräche nicht fruchten, droht ein weltweiter Handelskrieg?
Zumindest mit China besteht der Handelskonflikt schon seit vielen Jahren, der sich auch unter Biden fortgesetzt hat. Aber Biden hat zwischen Partnern wie der EU und Rivalen wie China unterschieden, das ist Trump nicht so wichtig. Ihm ist ein Handelsdefizit gegenüber allen Staaten ein Dorn im Auge, und wir müssen uns darauf einstellen, dass er auch gegen die EU Maßnahmen ergreifen wird, um das Defizit umzukehren.
Ukraine
Trump hat versprochen, den Ukraine-Krieg an einem Tag zu beenden. Wie soll das gehen?
Jeder weiß, dass das nicht mit zwei Telefonaten mit Selenskyj und Putin getan ist. Aber es ist wahrscheinlich, dass Trump Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges anstreben wird, und das könnte auf Kosten der territorialen Integrität der Ukraine hinauslaufen. Darum ist es wichtig, dass Europa seine Unterstützung für die Ukraine in den nächsten Monaten verstärkt und eine Strategie entwickelt, wie es das Vakuum nach einem möglichen Ausfall amerikanischer Finanz- und Militärhilfen füllen kann.
Also steht Europa in der Ukraine jetzt alleine da?
Trump hat im Wahlkampf zwar viel zur Ukraine geäußert, aber fraglich ist, wie sehr er sich bisher mit den Details des Krieges auseinandergesetzt hat. Aber er muss jetzt etwas in der Hinsicht liefern. Die Europäer sollten deshalb klar signalisieren, dass sie bereit sind, einen noch größeren Anteil der Unterstützung zu leisten, und das dauerhaft.
Trump verweist ja auch gern darauf, dass die Europäer durch seinen Druck ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben. Es sollte erst einmal davon ausgegangen werden, dass der Kongress nach der Amtseinführung von Trump keine weiteren US-Hilfen verabschiedet wird und Trump erst einmal sehen möchte, wie weit er mit Verhandlungen kommt. Europa muss in dieser Zeit einspringen.
Sicherheitspolitik
Erstmals hat Deutschland das Nato-Ziel erreicht, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Ist das dem Druck von Trump zu verdanken?
Die Zielmarke wurde schon 2014 beschlossen, also vor Trump. Aber Trump hat dann mehr Druck ausgeübt. Ich glaube, der entscheidende Faktor aber war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Trump hat mehrfach mit einem NATO-Austritt gedroht und angekündigt, zahlungssäumige Mitglieder nicht vor möglichen russischen Angriffen schützen zu wollen. Macht er damit Ernst?
Ein NATO-Austritt ist formal unwahrscheinlich, weil Trump dafür eine 60-Prozent-Mehrheit im Senat bräuchte. Es gibt auch genügend Republikaner, die das ablehnen würden. Aber Trump könnte immer wieder andeuten, dass er sich als US-Präsident gegenüber der NATO-Beistandspflicht (Artikel 5) nicht mehr verpflichtet fühlt und damit starken Druck auf die Alliierten ausüben.
Warum tut sich die deutsche und europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik so schwer damit, auf eigenen Füßen zu stehen? Wir haben doch schon eine Amtszeit Trump hinter uns …
Deutschland hat zwar Fortschritte gemacht, aber eine totale Kehrtwende hat trotz angekündigter Zeitenwende während der Biden-Jahre nicht stattgefunden. Das ist überraschend, denn gerade durch den erneuten Einmarsch Russlands in der Ukraine ist der Handlungsdruck enorm gewachsen. Andere Staaten wie Polen haben die Bedrohung durch Russland schon seit vielen Jahren viel ernster genommen und in ihr Militär investiert. Sie schauen ungläubig auf Deutschland.
Auf europäischer Ebene wurden einige Maßnahmen getroffen, die Kommission hat zum Beispiel eine europäische Rüstungsstrategie vorlegt. Aber das ist eher ein langfristiger Prozess. In der Rüstung bleiben die meisten europäischen Staaten weiter stark auf die USA angewiesen.
Politisches Vorbild
Geopolitisch richtet sich der Fokus der USA immer mehr nach Asien. Was müssen Deutschland und Europa tun, um nicht an Relevanz zu verlieren?
Vom „pivot to Asia“ spricht man seit vielen Jahren, und das wird auch langfristig die Ausrichtung der USA bleiben. Das heißt, es sollen vermehrt militärische Ressourcen auf Asien ausgerichtet werden. Nicht auszuschließen ist deshalb, dass die USA unter Trump ihre konventionellen Fähigkeiten in Europa zumindest schrittweise reduzieren. Umso wichtiger ist es, dass Europa seine konventionelle Verteidigung weiter ausbaut und die USA entlastet. Das kann dann wiederum auch gegenüber Trump wirken. Andererseits hat Europa auch eine strategische Bedeutung für die USA und wird als Partner und Alliierter weiter eine wichtige Rolle spielen.
Trump flirtet immer wieder mit der Diktatur. Ist er damit ein Vorbild für populistische Parteien in Deutschland?
Trump wird Populisten wie Orbán und anderen weiter Auftrieb geben. Ein Kongress mit demokratischen Mehrheiten hätte wahrscheinlich versucht, Maßnahmen zu treffen, um gegen die Verbreitung von Desinformationen auf Social Media und so weiter besser vorgehen zu können. Unter Trump wird das schwierig – zumal sein wichtigster Wahlhelfer X-Chef Elon Musk ist. Das ist auch für Europa ein Problem. (Die Fragen stellte Stephanie E. Fritzsche.)